Riskante Lücken im Impfschutz So viele Diphtherie-Fälle zählt das RKI
29.01.2025, 20:36 Uhr Artikel anhören
In Deutschland und vielen Teilen der Welt seit Jahrzehnten Standard: Die Sechsfachimpfung für Säuglinge schützt unter anderem vor Diphtherie.
(Foto: picture alliance/dpa)
In Brandenburg stirbt ein Kind nach einer Diphtherie-Infektion. Der Fall lenkt Aufmerksamkeit auf längst in Vergessenheit geratene Gesundheitsrisiken. In Deutschland tun sich wachsende Lücken im Impfschutz auf - mit ernstzunehmenden Gefahren für die Öffentlichkeit.
Die Gesundheitsbehörden in Deutschland haben in den vergangenen Jahren einen deutlichen Anstieg der Diphtherie-Fälle verzeichnet. Die durch Bakterien ausgelöste, potenziell lebensbedrohliche Krankheit galt in Europa dank der breit eingeführten Kinder-Impfung eigentlich schon so gut wie besiegt.
Doch ab dem Jahr 2009 tauchten nach jahrzehntelanger Ruhe vermehrt neue Fälle auf. Im Jahr 2022 stiegen die Fallzahlen sprunghaft an, wie Daten aus den Beständen des Robert-Koch-Instituts (RKI) belegen.
"Infektionen werden vor allem im Rahmen von Auslandsaufenthalten oder durch Kontakt mit Personen aus Endemiegebieten erworben", beschreibt das RKI die Hintergründe der Entwicklung. Der starke Anstieg ab dem Jahr 2010 geht nach Einschätzung der Experten jedoch auch auf vermehrte auftretende Fälle an Hautdiphtherie zurück.
Ein wichtiger Faktor dafür ist der verwandte Diphtherie-Erreger Corynebacterium ulcerans, der anders als C. diphtheriae nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Tieren vorkommt. Mögliche Ansteckungsherde sind dabei nicht nur Wild- und Nutztiere wie Schweine oder Kühe, sondern vor allem auch privat gehaltene Haustiere. Die Übertragungen vom Tier zum Menschen erfolgen "häufig von Hauskatze oder Haushund". Solche Infektionen, heißt es beim RKI, werden im Gegensatz zur herkömmlichen Diphtherie "meist im Inland" erworben.
Die wirksamste vorbeugende Maßnahme ist die Schutzimpfung gegen Diphtherie, lautet die klare Empfehlung der Epidemiologen. Die Impfung richtet sich dabei gegen das von den Bakterien produzierte Gift, nicht gegen den Diphtherie-Erreger selbst. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die Diphtherie-Impfung als Standard für Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
"Würgeengel der Kinder"
Ein zunehmendes Problem ist die in Teilen der Bevölkerung nachlassende Impfbereitschaft. Ansteckende Krankheiten wie Diphtherie, Masern oder auch Polio sind dank der medizinischen Erfolge bei ihrer Bekämpfung nahezu in Vergessenheit geraten. "Die letzte große Diphtherie-Epidemie ereignete sich in Deutschland zwischen 1942 und 1945", berichtet etwa der Berufsverband der deutschen Internistinnen und Internisten (BDI). Damals fielen Tausende Kinder pro Jahr der Diphtherie zum Opfer. Noch bis in die 1960er-Jahre kam es wiederholt zu einzelnen lokalen Ausbrüchen.
In der DDR gingen die Behörden ab 1961 mit einer Pflichtimpfung von Säuglingen und Kindern gegen die Diphtherie vor. In der BRD wurde ab 1960 zur Diphtherie-Impfung geraten, ab 1974 wurde sie in den Impfkalender für Säuglinge und Kinder aufgenommen.
Die Einführung der Impfkampagnen in Ost und West galt beiderseits des Eisernen Vorhangs als großer Erfolg. Auf beiden Seiten der innerdeutschen Grenzen gingen die Fallzahlen rapide zurück. "1958 erkrankten erstmals weniger als 10.000 Menschen", schildert der BDI einen der Meilensteine im Kampf gegen den "Würgeengel der Kinder", wie die Diphtherie einst auch genannt wurde. "In den 50er Jahren starben in Deutschland noch 4302 Menschen an Diphtherie, in den 60er Jahren waren es noch 273 Todesfälle.
Impflücken bei Erwachsenen
Todesfälle im Zusammenhang mit Diphtherie-Erkrankungen sind mittlerweile in Industriestaaten extrem selten. Eine ungeschützte Ansteckung mit Erregern kann jedoch auch heute noch zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen. Die Schilderungen aus alten Fallbeschreibungen lassen das furchtbare Schicksal der Betroffenen erahnen.
Die vor allem bei Kindern auftretende Kehlkopfdiphtherie war durch zunehmende Heiserkeit bis hin zum Stimmverlust, einem "bellenden Husten", anschwellender Atemnot, pfeifenden Geräuschen beim Einatmen, einer bläulichen Einfärbung der Lippen, einer "ausgeprägten Unruhe und Ängstlichkeit" und einem Erstarren bei vollem Bewusstsein gekennzeichnet, bis es schließlich zum Koma und im schlimmsten Fall zum Tod durch Ersticken kam.
In Populationen mit hoher Impfquote, heißt es beim RKI, machen abgeschwächte Krankheitsverläufe bei weitem den Großteil der erfassten Diphtherie-Fälle aus. "Diese milden Verläufe betreffen vor allem nicht vollständig grundimmunisierte Personen" sowie Patienten, deren Immunität aufgrund einer nicht erfolgten oder zu lange zurückliegenden Booster-Impfung nachgelassen hat.
In Deutschland werden die Impfquoten unter Schulanfängern seit 2005 jährlich erfasst. Der Anteil der vor Diphtherie geschützten Kinder liegt demnach kontinuierlich über 95 Prozent. Bei den Auffrischungsimpfungen für Erwachsene klaffen dagegen offenbar größere Lücken. Einer bundesweiten Studie zufolge hatte in Deutschland - trotz geltender Stiko-Empfehlung - nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten in den zurückliegenden zehn Jahren eine Auffrischimpfung gegen Diphtherie erhalten.
"Die Erwachsenen profitieren von einem guten, durch die hohen Impfraten der Kinder bedingten Herdenschutz", fasst das RKI die Lage zusammen. Bei Auslandsreisen und im Kontakt mit Tieren entfalle dieser Schutz jedoch. Somit sollte der eigene Impfstatus nicht nur vor Reisen ins Ausland regelmäßig überprüft werden.
Quelle: ntv.de, mmo