Schutz vor dem Aussterben? KI zählt seltene Delfine über individuellen Ruf
16.09.2024, 10:18 Uhr Artikel anhören
Buckeldelfine rufen ihren Namen, die KI versteht sie und damit auch der Mensch.
(Foto: Nicole Macheroux-Denault)
Buckeldelfine sind bis zu drei Meter lang, buckelig, äußerst scheu und extrem selten. In Südafrika macht man sich große Sorgen um die im Kapgebiet lebenden Tiere. Nun hilft künstliche Intelligenz, die bedrohten Meeressäuger zu zählen und vielleicht sogar zu retten.
Die Tierwelt spricht, sogar unter Wasser. Delfine zum Beispiel. Doch so einfach wie in der Fernsehserie "Flipper", in der sich Delfin und kleiner Junge herzlich mit Schnattern, Klick- und Pfeiftönen austauschen, ist es nicht. Aber Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler machen große Fortschritte darin, zu entschlüsseln, wie Delfine miteinander kommunizieren. In Südafrika versteht man inzwischen, wenn seltene Buckeldelfine ihren Namen rufen. Künstliche Intelligenz (KI) hilft dabei. Und die Erkenntnisse könnten die bedrohten Meeressäuger vor dem Aussterben retten.
Buckeldelfine sind extrem selten. Weltweit gibt es noch 1500 erwachsene Tiere, ungefähr 500 davon leben am Kap von Afrika. Ungefähr! "Wir wissen nicht genau, wie viele es wirklich sind", erzählt Sasha Dines von der Organisation Sea Search ntv.de. Die junge Britin forscht seit Jahren über südafrikanische Buckeldelfine. "Sie sind extrem schüchtern. Man sieht sie nur selten."
Der lang gezogene Rückenbuckel in der Mitte ihres Körpers lässt die Meeressäuger unförmig erscheinen. Über ihre Lebensweise ist wenig bekannt. Die zwischen zwei und drei Meter langen Delfine sind schwierig von Booten aus zu sehen, weil sie seichtes Wasser in Küstennähe bevorzugen. "Sie zu zählen, ist mühsam", sagt Dines. "Seit Jahrzehnten fotografieren wir ihre Finnen. Jedes Tier hat eine individuelle Zeichnung, anhand derer wir sie erkennen."
Die junge Frau hat viele Tage auf Booten an der Küste Kapstadts verbracht. An guten Tagen kommen sie und ihre Kolleginnen mit Fotos von fünf individuellen Buckeldelfinen zurück. Über Jahrzehnte wurden diese Fotos in einer Datenbank gesammelt und von Wissenschaftlern persönlich ausgewertet. Aber erst wenn eine Tier- oder Pflanzenart nachweislich selten geworden ist und alarmierende Zahlen präsentiert werden, bekommt sie den Schutz, den sie benötigt. Nur wie zählt man scheue Unterwassersäuger? Wie zählt man etwas, was man nur selten sieht? Und dann noch verlässlich? Dines' Antwort: Man schaut, ob man die Tiere gut hört.
Individuelle Stimmen herausfiltern
Das Meer ist voller tierischer Stimmen. In ihrer Doktorarbeit beweist Dines: KI kann Rufe individueller Delfine herausfiltern. Diese sogenannten bioakustischen Daten präsentieren ganz neue Möglichkeiten, nicht nur Buckeldelfine, sondern auch viele andere Tierarten zu zählen.
Und so funktioniert es: "Delfine nutzen verschiedene Töne, um mit ihren Artgenossen zu kommunizieren. Echo-Klicks oder Pfeiftöne zum Beispiel", erklärt Dines. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wissen: Jede Delfinart nutzt einen eigenen Pfeifton, mit dem in einer Gruppe kommuniziert wird. "Noch wichtiger: Jedes Tier hat einen ganz individuellen Pfeifton. Wir nennen es ein akustisches Label. Aber man könnte auch sagen, es ist eine Art individueller Name." Diesen ruft das Tier regelmäßig hinaus ins Meer. Beispielsweise Sarah, Sarah, Sarah - immer wieder. Man stelle sich vor, ein Meer gefüllt mit Namensrufen - und die Delfine hören, erkennen und finden einander anhand derer.
"Der Name eines Delfins ändert sich nie", sagt Dines. "Er ist ursprünglich das Band zwischen Mutter und Kalb. Über die Jahre kristallisiert sich der Namens-Pfeifton klarer heraus, aber es bleibt immer derselbe Ton." Das weiß man aus Untersuchungen von Unterwasseraufnahmen, die über Jahrzehnte von Delfinen in Gefangenschaft in Zoos und Aquarien aufgezeichnet wurden.
KI lernt Delfinisch
Diese Erkenntnis ist wichtig für das Sea Search Team in Südafrika. In weiser Voraussicht zeichnen Forschungsteams seit sieben Jahren in Küstenregionen Unterwassergeräusche auf. Das zahlt sich jetzt aus. Bei der Auswertung dieser Aufnahmen kommt nun KI zum Einsatz. Jedes Geräusch ist ein Datensatz, es gibt Millionen Daten - Unterwassergeräusche und -rufe von Delfinen, Walen, Seehunden, Booten oder Menschen. Sie zu filtern, ist eine Mammutaufgabe, von Menschen nicht leistbar.
"Wir haben das KI-Programm trainiert. Es war ein aufwendiger Prozess", erklärt Dines. Zunächst sammelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Beispiel-Pfeiftöne von Buckeldelfinen, die sie selbst mit geübtem Ohr als solche erkannten. "Wir haben dem Programm beigebracht, wie ein Buckeldelfin klingt. Es kann jetzt die relevanten Tonsequenzen aus den sehr langen Tonaufnahmen herausfiltern." Nicht nur das, mithilfe der KI können auch wiederkehrende individuelle Rufe, also Delfinnamen erkannt und sortiert werden. Wenn "Sarah" ruft, hört KI sie - klar und deutlich. So können Delfine nun wesentlich verlässlicher gezählt werden.

(Foto: RTL)
Wie steht es um den Lebensraum unserer Meerestiere? Wie schützen wir Nashörner vor Wilderern? Was bringen Vogelhäuschen im eigenen Garten? Vom 16. bis 20. September 2024 stehen in der diesjährigen Nachhaltigkeitswoche, die RTL zusammen mit ntv, Vox, dem Stern, GEO, Brigitte & RTL+ veranstaltet, die Themenbereiche (Unter-)Wasserwelt & Artenvielfalt crossmedial im Mittelpunkt.
Die ersten Ergebnisse am Kap der Guten Hoffnung sind leider wenig erfreulich. "Wir sehen mehr alleinlebende Buckeldelfine und wesentlich kleinere Gruppen. Die Zahl der Tiere sinkt", stellt Dines fest. Sea Search stellt derzeit eine Analyse der Daten zusammen, um das Ausmaß der Bedrohung der Buckeldelfine fundiert darzustellen. Klar ist: Menschen sind ihre schlimmsten Feinde. Haifischnetze an den Stränden, Wasserverschmutzung und Lärmbelastung sind tödlich für die in seichtem Wasser lebenden Meeressäuger.
Mithilfe der Verbindung von Bioakustik und KI können zukünftig auch Modelle entwickelt werden, die die Bewegung individueller Delfine in Echtzeit darstellen. "Dann können Schiffsrouten kurzfristig verändert und zeitlich relevante Schutzzonen eingerichtet werden", so Dines. "Es ist nicht so, dass wir jetzt mit Delfinen reden oder sie verstehen können", betont die britische Wissenschaftlerin. Nichts wäre faszinierender als das. Aber je mehr Daten gesammelt werden, meint die junge Britin, desto mehr Erkenntnisse gibt es über die intelligente Art der Tiere, miteinander zu kommunizieren. Das gilt nicht nur für Delfine, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler setzen längst auch Bioakustik ein, um die Kommunikation von Elefanten besser zu verstehen.
Quelle: ntv.de