Ähnliche Unfälle gab es bereits Könnte Coronavirus aus Labor stammen?
22.04.2020, 17:13 Uhr
Der Huanan-Fischmarkt in Wuhan gilt als Epizentrum der Corona-Pandemie. Doch wie gelangte das Virus dorthin?
(Foto: picture alliance/dpa)
Wenig ist über den Ursprung des Coronavirus Sars-CoV-2 bekannt. Der Erreger stammt aus Fledermäusen, das scheint sicher. Doch wie gelangte er mit Menschen erstmals in Kontakt? Die Theorie eines Labor-Unfalls erhält zuletzt Auftrieb. Doch wie plausibel ist sie?
Könnte es tatsächlich sein, dass ein Unfall in einem Labor die Coronavirus-Pandemie ausgelöst hat? US-Präsident Donald Trump hatte vergangene Woche erklärt, seine Regierung versuche festzustellen, ob das Virus aus einem Labor in der chinesischen Provinzhauptstadt Wuhan stammt, von der aus sich die Seuche verbreitete. Auch in US-Medien wurde über diese Möglichkeit bereits spekuliert. Doch wie plausibel sind diese Theorien? Und wie könnten sie belegt oder entkräftet werden?
Was derartigen Spekulationen Raum bietet, ist die Tatsache, dass nichts über den Ursprung von Sars-CoV-2 zweifelsfrei bekannt ist. Zwar gilt der Huanan-Markt in Wuhan, auf dem Fisch und Wildtiere gehandelt werden, bislang als Epizentrum der Seuche. Doch schon daran gibt es Zweifel: Frühe Studien etwa hatten bei 14 von 41 Corona-Patienten keine Verbindungen zum Markt gefunden. Zudem gibt es bisher keinen Beleg dafür, dass Fledermäuse auf dem Markt gehandelt wurden - die Tiere sind laut Weltgesundheitsorganisation WHO mit hoher Wahrscheinlichkeit das ursprüngliche Wirtstier. Allerdings leben jene Fledermäuse, in denen die am engsten mit Sars-CoV-2 verwandten Coronaviren gefunden wurden, in der subtropischen Provinz Yunnan - mehr als 1000 Kilometer entfernt von Wuhan in Zentralchina.
Möglich, aber ebenfalls nicht zweifelsfrei belegt ist, dass der Erreger mittels eines anderen Tieres, etwa dem Gürteltier, auf den Menschen übergesprungen ist. Aber auch der Handel mit Gürteltieren ist für den Markt nicht belegt. Wie kam das Virus dann auf den Huanan-Markt, wenn nicht über infizierte Tiere?
Die Möglichkeit, dass das Virus als Biowaffe entwickelt und gezielt ausgebracht wurde, wird von Forschern nach Analyse des Erbguts von Sars-CoV-2 zwar ausgeschlossen. Doch es bleibt die ebenfalls diskutierte Möglichkeit, dass sich etwa ein Mitarbeiter eines Labors versehentlich erstmals angesteckt haben könnte und dann womöglich außerhalb seiner Arbeitsstätte unwissentlich die Pandemie auslöste.
Was für Hinweise gibt es für den Ursprung des Virus aus einem Labor?
Bei der Suche nach einer Antwort auf die Frage des Ursprungs von Sars-CoV-2 sind auch zwei Forschungseinrichtungen in Wuhan in den Fokus gerückt, in denen nachweislich Fledermäuse gehalten wurden oder wo mit Sars-ähnlichen Viren aus Fledermäusen gearbeitet wurde: das Wuhan-Institut für Virologie (WIV) sowie das Wuhaner Zentrum für Seuchenkontrolle und -prävention (WHCDC). Das WIV liegt rund zwölf Kilometer vom Huanan-Markt entfernt, das WHCDC hingegen befindet sich mit etwa 300 Metern Entfernung in unmittelbarer Nähe des Marktes.
Bei Experimenten am WIV wurden unter anderem Sars-ähnliche Erreger aus Fledermäusen derart miteinander kombiniert, dass sie plötzlich menschliche Atemwegszellen angreifen konnten. Die Veröffentlichung rief sofort Kritik von anderen Forschern hervor, die solche Untersuchungen als riskant bezeichneten - mit Blick auf die Möglichkeit, ein derartiges Virus könnte aus dem Labor "entkommen". Allerdings handelt es sich bei Sars-CoV-2 nach Überzeugung von Forschern um kein auf diese Weise künstlich erschaffenes Virus.
Am WHCDC wurden Fledermäuse gehalten und untersucht. Darauf wies ein Anfang Februar veröffentlichter Aufsatz mit dem vielsagenden Namen "Die möglichen Ursprünge des 2019-nCoV Coronavirus" der chinesischen Forscher Botao Xiao und Lei Xiao hin. "Das Killer-Coronavirus entstammt vermutlich aus einem Labor in Wuhan", schreiben die Autoren. Als Gründe nennen sie unter anderem die erwähnte Nähe des WHCDC zum Huanan-Markt und andere Indizien, die größtenteils durch Studien und Medienberichte belegt sind. So wurden in den 2010er-Jahren Fledermäuse in der Einrichtung seziert. Ein Forscher soll zudem bei der Arbeit in einer Höhle in Kontakt mit Fledermaus-Urin gekommen sein. Gegenüber dem "Wall Street Journal" gab Autor Xiao später jedoch an, dass er den Aufsatz zurückgezogen habe, da seine Thesen nicht durch "direkte Beweise untermauert" werden könnten.
Ist es plausibel, dass ein Virus aus Versehen aus einem Labor in die Umwelt gelangt?
In der Vergangenheit wurden bereits häufiger bei Labor-Unfällen mitunter sehr gefährliche Erreger freigesetzt. Auch Menschen wurden dabei angesteckt und kamen zu Tode. Berühmt ist etwa der Pocken-Unfall aus dem Jahr 1978 im britischen Birmingham, bei dem sich eine Frau mit Pocken-Viren aus einem Labor ansteckte und später daran starb. In Deutschland wurde im Jahr 1967 das tödliche Marburg-Virus versehentlich auf mehrere Labor-Beschäftigte übertragen, die mit Versuchsaffen aus Uganda arbeiteten. Im Jahr 2004 gab es zudem ausgerechnet in China ebenfalls einen Labor-Unfall. Und das - ausgerechnet - mit Sars-Cov-1, dem engen Verwandten und Vorgänger von Sars-CoV-2. Zwei Forscher des Labors wurden damals mit dem Erreger infiziert.
Sind die Sicherheitsstandards in den Labors in Wuhan hoch genug?
Das WIV ist seit 2015 als ein Labor mit der höchsten Schutzstufe 4 zertifiziert - als erstes und einziges Labor in China. In derartig hochgesicherten Einrichtungen darf an gefährlichen Erregern wie Pocken oder Ebola geforscht werden. Für das Isolieren von Sars-CoV-2 empfiehlt die US-Seuchenschutzbehörde CDC die zweithöchste Schutzstufe 3. Die Labore im WHCDC in der Nähe des Huanan-Markts erfüllen die Schutzstufe 2. Allerdings ist nicht belegt, dass dort gezielt mit Sars-ähnlichen Viren hantiert wurde.
Von Zweifeln an der Sicherheit im WIV ist allerdings in einer Kolumne in der "Washington Post" zu lesen: US-Diplomaten hatten demnach Bedenken hinsichtlich der Sicherheitsvorkehrungen in der Einrichtung geäußert. Eine schriftliche Mitteilung von Diplomaten warnte zudem davor, dass die Arbeit des Labors an Fledermaus-Coronaviren ein Risiko für eine neue Pandemie darstelle.
Was spricht gegen die Labor-These?
Das WIV selbst weist Gerüchte, dass Sars-CoV-2 aus dem Labor entwichen sein könnte, kategorisch zurück. Der Direktor der Einrichtung, Yuan Zhiming, betonte gegenüber chinesischen Medien: "Es ist unmöglich, dass das Virus von uns kam." Die Einrichtung verfüge über strenge Kontrollmechanismen und halte sich an Vorgaben. Daher sei man sich diesbezüglich sicher.
Die Chef-Virologin des Instituts, Zheng-Li Shi, welche auch den Spitznamen "Batwoman" trägt, hatte nach eigenen Angaben zwar zunächst selbst befürchtet, das Virus könne aus ihrem Labor stammen, wie die Zeitschrift "Scientific American" berichtet. Nach der Analyse von Gensequenz sei jedoch klar geworden, dass Sars-CoV-2 nicht eines jener Viren war, welche ihr Team in Fledermaushöhlen im Süden Chinas gesammelt hatte, so Shi. Bereits früh nach dem Corona-Ausbruch war Shi wegen ihrer Arbeit mit Coronaviren aus Fledermäusen in die Schusslinie geraten, woraufhin sie in sozialen Medien beteuert hatte: "Ich schwöre bei meinem Leben, [das Virus] hat nichts mit dem Labor zu tun."
Deutschland und Frankreich sehen ebenfalls keine Beweise für einen Laborunfall. Die Bundesregierung hatte am Freitag mitgeteilt, dass sie keine eigenen Erkenntnisse über die Entstehung des Virus habe.
Wie kann die Wahrheit ans Licht kommen?
Zwar gibt es keine Beweise dafür, dass das Virus Sars-CoV-2 absichtlich oder aus Versehen aus einem der Labore in Wuhan entwichen ist. Allerdings bleibt es umgekehrt nach wie vor auch nicht ausgeschlossen. Um die Theorien zum versehentlichen Labor-Ursprung zu erhärten oder zu entkräften, wäre Transparenz bei allen relevanten Daten und Informationen nötig - ein Umstand, der laut Wissenschaftlern derzeit in China nicht gegeben ist.
Quelle: ntv.de