Gefahr durch Sturmfluten Ostseeküste könnte zum Katastrophen-Hotspot werden
05.12.2023, 14:20 Uhr
Nach der Sturmflut ist die Infrastruktur der Lotseninsel fast komplett zerstört. (Bild vom 9. November)
(Foto: picture alliance/dpa)
Ein steigender Meeresspiegel und immer stärker werdende Stürme: Der Klimawandel bedroht auch die deutsche Ostseeküste. Ohne baldige Schutzmaßnahmen könnten in Zukunft Zehntausende Menschen in der Region von Überschwemmungen betroffen sein, sagen Forschende.
Gebrochene Deiche, zerstörte Häuser, gesunkene Boote: Eine Rekordsturmflut trifft Ende Oktober die deutsche Ostseeküste und richtet katastrophale Schäden an. Angesichts des immer schneller voranschreitenden Klimawandels könnten solche extremen Stürme in Zukunft immer häufiger werden. Fatale Aussichten für die Region. Denn die besonders stark ansteigenden Pegel und tiefliegenden Landflächen machen Deutschlands Ostseegebiete besonders anfällig für verheerende Überschwemmungen. Wie weit der Küstenschutz vor künftigen Sturmfluten schützt und welche Maßnahmen am wirksamsten sind, haben Joshua Kiesel von der Universität Kiel und sein Team untersucht.

Überflutete Fläche bei 1,50 Meter Pegelanstieg und einer Jahrhundertflut - mit 1,50 Meter höheren Deichen (l.) oder einer Deichrückverlegung (r.).
(Foto: Kiesel et al./ Communications Earth & Environment)
Für ihre Studie, die im Fachmagazin "Nature Communications Earth & Environment" erschien, bildeten sie die deutsche Küstentopografie samt bestehender Deiche in einer hochauflösenden Simulation nach. Anschließend setzte das Team die Küste virtuell einer 200-Jahres-Sturmflut bei einer Meeresspiegelerhöhung von einem oder eineinhalb Metern aus - dies entspricht den Vorhersagen des jüngsten Weltklimaberichts für einen weitgehend ungebremsten Klimawandel bis 2100.
Zusätzlich simulierten die Forschenden zwei verschiedene Szenarien des verbesserten Küstenschutzes: Zum einen eine Erhöhung der Deiche um 1,50 Meter, zum anderen eine Rückverlegung der Deiche. Dabei werden die alten Deiche durchbrochen und das Land dahinter als Pufferfläche bei Überflutungen ausgewiesen.
Worst Case: 1000 Quadratkilometer überschwemmt
Das Ergebnis: Eine Jahrhundertflut würde unter heutigen Bedingungen rund 217 Quadratkilometer Landfläche überschwemmen. Bei einem Meeresspiegelanstieg von einem Meter wäre fast viermal so viel Land überflutet. Bei anderthalb Metern Pegelanstieg wären sogar mehr als 1000 Quadratkilometer Land von Überschwemmungen betroffen.
"Der Großteil unserer simulierten Überflutungsflächen befindet sich in Mecklenburg-Vorpommern, mit den Hotspots in den Bodden von Fischland-Darß-Zingst, Rügen, Usedom und im Peene-Mündungsgebiet", berichten Kiesel und sein Team. "In Schleswig-Holstein sind insbesondere die Flensburger Förde, die Eckernförder Bucht, Fehmarn, Travemünde sowie Lübeck betroffen."
Selbst Deicherhöhungen um 1,5 Meter brächten demnach kaum zusätzlichen Schutz. Laut Simulationen wären ohne solche Erhöhungen bis zu 63.000 Menschen von den Überschwemmungen betroffen. Mit Anpassungen wären es demnach immer noch bis zu 50.000 Menschen. Einen etwas besseren Schutz würde der Studie zufolge die Rückverlegung der Deiche kombiniert mit einer Erhöhung der Landesschutzdeiche bieten: Eine Jahrhundertflut bei erhöhtem Meeresspiegel würde dann 26 Prozent weniger Menschen treffen als ohne Anpassung. Allerdings bliebe die überflutete Fläche nahezu gleich.
Lückenhafte Deichlinie
"Wir konnten die Effektivität auf der einen Seite von bestehenden und erhöhten Deichen und auf der anderen Seite von rückverlegten Deichen einschätzen", schreibt Kiesel laut Mitteilung. Aber: "Beides wird vermutlich nicht ausreichen, um dem fortschreitenden Meeresspiegelanstieg standhalten zu können." Das Überflutungsrisiko durch Stürme und Meeresspiegelanstieg werde ohne darüber hinausgehende Anpassungen deutlich weiter ansteigen.
Der Grund für die relativ geringe Wirkung der Küstenschutzmaßnahmen: "Die Überflutungskarten zeigen, dass das Wasser die Deiche nicht überspült, sondern sie umgeht oder tiefliegende Bereiche flutet, die zurzeit nicht durch Deiche geschützt sind", sagt Kiesel. Er fordert daher mehr Forschung über die Effektivität alternativer Anpassungskonzepte an den Meeresspiegel.
Denn künftig drohe auch die Gefahr durch kurz aufeinanderfolgende Sturmfluten. "Die bereits durch die erste Sturmflut geschwächte Infrastruktur wäre bei nachfolgenden Ereignissen deutlich anfälliger, mit noch schlimmeren Konsequenzen für die Menschen an der Küste."
Quelle: ntv.de, hny