Schutz vs. Konkurrenz Welche Einflüsse soziale Lebensweisen im Tierreich haben
29.10.2024, 16:26 Uhr Artikel anhören
Ein Teil eines Rudels Grauwölfe in Aktion.
(Foto: IMAGO/Martin Wagner)
Kooperation oder doch lieber Einzelkämpfertum? Diese Frage stellt sich auch im Tierreich. Ein Forschungsteam untersucht soziales Verhalten unter Tieren und stellt fest, dass dieses einen erheblichen Einfluss auf den Alterungsprozess und die Fortpflanzungsfähigkeit hat.
Während manche Tierarten ihr Dasein lieber als Einzelgänger bestreiten, bevorzugen andere ein Leben in engen Gruppen. Welche Vor- und Nachteile die jeweiligen Lebensweisen haben, hat nun ein britischer Forscher untersucht, dessen Studie im Fachblatt "Philosophical Transactions of the Royal Society of London B" veröffentlicht wurde. Diese zeigt, dass das Sozialverhalten eines Tieres weit mehr beeinflusst als nur das Risiko, auf Artgenossen zu treffen - es kann Lebensspanne, Fortpflanzungserfolg und Anpassungsfähigkeit einer Art mitbestimmen.
Besserer Schutz, aber auch mehr Wettbewerb
Tiger streichen einsam durch ihre Reviere und kommen wie Schwarzbären nur zur Paarung zusammen. Menschen, Wölfe, Elefanten oder auch Schafe hingegen leben in Gruppen, in denen sie kooperieren und sich gegenseitig schützen können. Das Spektrum an Sozialität - also der Tendenz, Gemeinschaften und Gruppen zu bilden - ist im Tierreich groß.
Der Evolutionsökologe Rob Salguero-Gómez von der Universität Oxford hat nun untersucht, welche Vorteile und Kosten diese unterschiedlichen Lebensweisen haben können. Denn während soziale Arten zwar Vorteile in Form einer gemeinsamen Nutzung von Ressourcen, einen besseren Schutz vor Raubtieren und Unterstützung bei der Aufzucht von Nachkommen genießen könnten, sind auch Nachteile möglich. So breiten sich Krankheiten in dichten Gruppen schneller aus, ebenso kann es zu einem verstärkten Wettbewerb, Konkurrenz und Aggression in derartigen Sozialverbünden kommen.
Salguero-Gómez bewertete den Zusammenhang zwischen Sozialverhalten und verschiedenen Merkmalen der Lebensgeschichte wie Generationszeit (das ist die Zeit zwischen der Geburt einer Generation und der Geburt ihrer Nachkommen), Lebenserwartung und Länge des Fortpflanzungsfensters. Bislang habe sich die Forschung in diesem Kontext auf einzelne Arten oder Gruppen wie Vögel oder einige Säugetiere konzentriert. Für die aktuelle Studie untersuchte der Wissenschaftler indes 152 Tierarten aus einer Vielzahl taxonomischer Gruppen, darunter Vögel, Säugetiere, Insekten und Korallen.
Soziale Arten leben länger
Salguero-Gómez unterteilte die Lebensweise der Arten in verschiedene Stufen:
- Einzelgängerisch: Individuen verbringen ihre Zeit allein, außer zur Fortpflanzung, zum Beispiel Tiger
- Gesellig: Individuen verbringen Zeit in Gruppen, aber die sozialen Interaktionen sind locker, zum Beispiel Gnus
- Gemeinschaftlich: Die Individuen leben in unmittelbarer Nähe und teilen sich oft einen gemeinsamen Nist- oder Aufenthaltsbereich, betreiben aber keine kooperative Brutpflege, zum Beispiel Purpurschwalben
- Kolonial: Die Individuen leben in unmittelbarer Nähe und teilen sich immer einen gemeinsamen Nist- oder Aufenthaltsbereich, zum Beispiel einige brütende Vögel oder manche Wespenarten.
- Sozial: Die Individuen leben in unmittelbarer Nähe und bilden stabile, organisierte Gruppen, die sich an sozialen Verhaltensweisen wie kooperativer Brutpflege und hierarchischen Strukturen beteiligen, zum Beispiel Menschen und Elefanten
Wie Salguero-Gómez feststellte, hängt dieses Sozialkontinuum mit wichtigen Merkmalen der Lebensgeschichte zusammen: So lebten sozialere Arten im Schnitt länger, zögerten ihre Geschlechtsreife hinaus und pflanzten sich mit größerer Wahrscheinlichkeit erfolgreich fort als einzelgängerische, gesellige, gemeinschaftliche oder koloniale Arten. Womöglich würden sich sozialere Gruppen zwar nicht so gut an eine sich schnell verändernde Umwelt anpassen oder davon profitieren können, seien als Gruppe aber oft widerstandsfähiger. Insgesamt zeige die Studie, dass Sozialität zwar mit einigen offensichtlichen Kosten verbunden, der Gesamtnutzen jedoch größer sei.
Leben in Gruppen verursacht Stress
Die Studie ergab zudem, dass der jeweilige Sozialtypus Einfluss auf die Seneszenz (Alterungsprozess) hat, zum Beispiel darauf, wie lange die Tiere fortpflanzungsfähig sind und wie lange sie nach Ablauf der Fortpflanzungsfähigkeit noch leben. Das passt zu den Ergebnissen einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Arbeit, die sich mit den in komplexen Gruppen lebenden Orcas beschäftigte. Diese Studie stellte fest, dass Orca-Mütter in den Wechseljahren ihre Söhne beschützten. Mit anderen Worten: Die nicht mehr fortpflanzungsfähigen Weibchen nutzten ihre Zeit und Energie zum Schutz ihrer männlichen Nachkommen - ein Vorteil des Lebens in der Gruppe.
Mit Blick auf die Seneszenz ergebe sich aber über alle Tierarten ein uneinheitliches Bild, bilanziert die aktuelle Studie aus Oxford: So könne sich der Stress durch soziale Hierarchien und Konflikte bei einigen Arten auch negativ auf den Alterungsprozess der Individuen auswirken.
"Sozialität ist ein grundlegender Aspekt vieler Tiere. Allerdings fehlen uns immer noch taxonomieübergreifende Belege für die Fitnesskosten und -vorteile des Sozialverhaltens", wird Salguero-Gómez in einer Mitteilung zur Studie zitiert. In dieser sei anhand einer beispiellosen Anzahl von Tierarten nachgewiesen worden, dass sozialere Arten - also die meisten Affen, Menschen, Elefanten, Flamingos und Papageien - eine längere Lebensspanne und ein längeres Fortpflanzungsfenster aufwiesen als eher einzelgängerische Arten wie einige Fische, Reptilien und einige Insekten.
Die Ergebnisse der Studie hätten dabei nicht nur Implikationen für das Tierreich, so Salguero-Gómez: "In einer Zeit nach Covid, in der die Auswirkungen der Isolation für den Menschen - eine hochsoziale Spezies - deutlich spürbar waren, zeigt die Forschung, dass ein höheres Maß an Sozialität mit einigen handfesten Vorteilen verbunden ist."
Quelle: ntv.de, Alice Lanzke, dpa