
Windkraft wird von den Forschern als "Rückgrat" der künftigen Stromversorgung genannt.
(Foto: imago images/Nature Picture Library)
Der Kampf gegen den Klimawandel erfordert den konsequenten Abschied von fossilen Energieträgern. Die gigantischen Kosten für die deutschen Klimaziele haben Forscher nun ermittelt. Aber aus ihrer Sicht dürfte es sich am Ende lohnen.
Würde Deutschland seine ambitionierten Klimaziele wirklich in die Tat umsetzen, dann könnte die Zukunft im Jahr 2050 in etwa so aussehen: Gewaltige Windparks auf dem Meer liefern Strom ans Festland, der über große Trassen im Land verteilt wird. An der Nordseeküste stehen Dutzende Großanlagen, in denen Wasserstoff erzeugt wird. Das Gas wird in unterirdischen Salzkavernen in Norddeutschland gespeichert oder in ein über ganz Europa verzweigtes Wasserstoffnetz eingespeist.
Große Tankschiffe, die in Patagonien mit aus Windstrom erzeugtem Wasserstoff betankt wurden, fahren in die deutschen Küstenhäfen ein. Über die Autobahnen Deutschlands düsen Elektroautos und -lastwagen fast geräuschlos, angetrieben mit Wasserstoff aus Brennstoffzellen oder Strom aus Akkus, durch von Rotoren übersäte Landschaften. In den Städten funkeln abertausende Photovoltaikanlagen auf den Dächern der bis an die Grenzen des Machbaren wärmeisolierten Häuser.
Diese Szenarien entspringen nicht der Fantasie von verträumten Klimaaktivisten, sondern sind Resultat komplizierter Berechnungen in leistungsstarken Computern am Forschungszentrum Jülich, einem Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft. Ihre Analyse haben die Forscher nun vorgestellt. Das Besondere an ihrer Herangehensweise: Ziel war es, den kostengünstigsten Weg hin zu einer fast CO2-freien Energiewirtschaft in Deutschland im Jahr 2050 zu finden.
Computer berechnet die Zukunft
Wie sie das gemacht haben: Es wurden die Daten der heute zur Verfügung stehenden klimaschonenden Technologien und weitere Rahmenbedingungen in die Computer eingespeist. "Alle Maßnahmen konkurrieren miteinander und das Modell sucht die kostenoptimalen Lösungswege", sagt Co-Autor der Studie, Peter Markewitz, zu n-tv.de. So entstand im Computer eine Welt, die der eingangs geschilderten ähneln könnte. "Das Modell entscheidet am Ende, welche Techniken genommen werden", so Markewitz.
Allerdings: Auch bei dem "kostenoptimalsten" Weg, den der Computer ermittelt hat, wird es immer noch ziemlich teuer werden, fanden die Wissenschaftler heraus. Laut der Studie müssten in den kommenden drei Jahrzehnten fast zwei Billionen Euro ausgegeben werden, um bis zum Jahr 2050 den CO2-Ausstoß um 95 Prozent zu reduzieren. Pro Jahr hätten die Kosten somit einen Anteil von 2,8 Prozent an der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung. Aber: "Das ist machbar, das ist doch eine sehr positive Botschaft", meint Co-Autor Detlef Stolten.
Einkalkuliert ist dabei bereits, dass die Kosten für Öl- und Gasimporte in dem Szenario praktisch bei null liegen. Aber Öl und Gas zu ersetzen, ist eine große Herausforderung. Dabei wird es laut der Studie etwa ohne synthetische Kraftstoffe nicht gehen. Deren Herstellung jedoch ist besonders teuer und benötigt viel Strom. Auch deshalb wird sich der Strombedarf Deutschlands bis 2050 fast verdoppeln. Die Kapazität von Wind- und Solarenergie muss in der Folge annähernd vervierfacht werden, was seinerseits viel Geld verschlingt.
Nur radikaler Umbau ergibt Sinn
Warum dann nicht das Ziel etwas niedriger stecken und so Kosten sparen? Dieser Idee macht das Modell der Jülicher Forscher einen Strich durch die Rechnung. Denn wenn man statt 95 Prozent im Jahr 2050 nur 80 Prozent CO2 einsparen wollte, ergibt sich eine völlig andere Zusammensetzung der Energieträger. Etwa würde Erdgas dann aus Kostengründen noch eine Rolle spielen, was wiederum den Bau von Gaskraftwerken erfordern würde. Stehen diese erst einmal, müssen sie auch weiter betrieben werden - was eine spätere Reduzierung des CO2-Ausstoßes schwierig und teuer macht.
Es geht also nur: entweder oder. Auch deshalb empfiehlt die Studie: Wenn schon umbauen, dann richtig. Sinn habe es nur, das Ziel von 95 Prozent CO2-Einsparung anzupeilen, was fast einer Klimaneutralität Deutschlands gleichkommt.
Allerdings will das mit den bisherigen Plänen der Bundesregierung noch nicht so ganz zusammenpassen. Zwar weisen einige Punkte des Klimaschutzprogramms 2030 in die richtige Richtung, sagt Studien-Co-Autor Martin Robinius. Doch etwa die geplanten Maßnahmen zum Ausbau der Windkraft dürften nicht ausreichen. Aber besonders die Windkraft wird von den Forschern als "Rückgrat der zukünftigen Stromversorgung" angesehen. Dafür sei ein jährlicher Ausbau von rund sieben Gigawatt an Leistung notwendig. Aktuell gestatten die von der Bundesregierung festgelegten Ausbaukorridore jedoch gerade mal drei Gigawatt.
Geringere Abhängigkeit vom Ausland
Im Angesicht der höheren Kosten betonen die Wissenschaftler auch die Vorteile eines Radikalumbaus: etwa eine geringere Abhängigkeit von Energieimporten. So müsse Deutschland heute rund 70 Prozent seiner Energie aus dem Ausland einführen. Im Jahr 2050 wären das im fast klimaneutralen Szenario nur noch 20 Prozent. Zudem sei der Umbau am Ende günstiger, betont Robinius. Denn die Kosten einer Klimakrise könnten am Ende jährlich 5 oder sogar 25 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmachen.
Zudem könnte Deutschland durch einen konsequenten Umbau so etwas wie die "Batterie Europas" werden. Im Norden Deutschlands böten die vorhandenen Salzkavernen in der Erde viel Potenzial, um den mit Windkraft erzeugten Wasserstoff als Energieträger zu speichern - auch für ganz Europa. "Man muss die Energiewende nicht als Gefahr begreifen", betont Robinius. Denn durch sie ergäben sich auch ganz neue Geschäftsfelder.
Quelle: ntv.de