Wissen

Nackte Zahlen gegen die Angst Wie groß ist die Terrorgefahr wirklich?

Das Kalkül der Attentäter geht auf: Die Anschläge von Paris verbreiten Furcht und Schrecken - weit über Frankreich hinaus. Auch in Deutschland fühlen sich Menschen plötzlich bedroht. Nüchterne Daten helfen, das Risiko einzuordnen.

Ein Wort zu Warnung vorweg: Wenn es um Menschenleben geht, wirken Zahlenvergleiche schnell zynisch. Dennoch können solche Zusammenstellungen helfen - insbesondere, wenn es darum geht, dem vagen Bedrohungsgefühl, das die Terroristen erzeugen wollen, konkrete Tatsachen gegenüberzustellen.

Wie groß also ist die Gefahr, in Deutschland einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen? "Es bleibt bei der grundsätzlichen Einschätzung, dass wir in Deutschland eine ernstzunehmende aktuelle Bedrohungslage insgesamt haben", erklärte der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, kurz nach der Absage des Fußball-Länderspiels in Hannover. "Aber darüber hinaus haben wir jetzt keinen konkreten Hinweis auf ein weiteres Ziel."

Gefühlte und tatsächliche Risiken

Für künftige Fußballspiele, Weihnachtsmärkte und Karnevalsumzüge liegen demnach derzeit keinerlei Hinweise auf geplante Attentate vor, wie der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Roger Lewentz, bestätigte. Die Bedrohung bei dem ausgefallenen Fußballspiel sei "sehr isoliert" gewesen, sagte Lewentz. "Dass die Bevölkerung sich jetzt mehr Sorgen macht, kann ich verstehen", fügte BKA-Chef Münch hinzu.

In Paris waren bei der Anschlagsserie von Ende vorvergangener Woche 130 Menschen ums Leben gekommen. Heimtücke und Kaltblütigkeit der Mörder wirken besonders schockierend. Doch ändert sich dadurch etwas am persönlichen Risiko, bei einem Terroranschlag zu sterben?

Grob zusammengefasst kann die Antwort nur lauten: Nein. Einem islamistisch motivierten Terroranschlag sind hierzulande bislang lediglich zwei Menschen zum Opfer gefallen: Im März 2011 erschoss ein extremistischer Einzeltäter zwei US-Soldaten am Frankfurter Flughafen. Allerdings konnten die Behörden mehrere Attentatsversuche - wie zum Beispiel in Bonn im Jahr 2012 - nur durch Glück vereiteln.

Risiko Nr. 1

Doch der akuten Bedrohungslage zum Trotz bleibt es den nackten Zahlen zufolge in Europa immer noch sehr viel wahrscheinlicher, den Folgen des eigenen Lebenswandels zu erliegen als durch eine Gewalttat ums Leben zu kommen. Schließlich raffen die sogenannten Zivilisationskrankheiten Tag für Tag Tausende Menschen dahin.

In Deutschland zum Beispiel verzeichnet das Statistische Bundesamt im Vergleichsjahr 2013 insgesamt rund 900.000 Todesfälle. Nur 394 davon gingen auf einen tätlichen Angriff zurück. Die überwiegende Mehrheit dieser Fälle waren das Ergebnis häuslicher Gewalt, Eifersuchtsdramen oder anderer zwischenmenschlicher Tragödien.

Die große Masse der Deutschen starb in jenem Jahr nicht durch die Hand fremder Kräfte, sondern an vermeidbaren Ursachen aus dem eigenen Verantwortungsbereich wie etwa Bewegungsmangel, Übergewicht oder dem Genussmittelkonsum - oder schlicht am hohen Alter. Zahlen aus dem Jahr 2015 liegen noch nicht vor. Doch in der Tendenz und der Größenordnung dürften die Verhältnisse ähnlich ausfallen: Todesursache Nummer Eins bleiben in Deutschland laut Statistik Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems.

Gefährliche Alltagsrisiken

Doch selbst, wer sich gesund ernährt und auf seinen Körper achtet, lebt in Deutschland alles andere als ungefährdet: Jahr für Jahr kommen hierzulande noch immer mehr als 3000 Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben. Nach Angaben der Statistiker erlagen im Vergleichsjahr 2013 insgesamt 3339 Bundesbürger den Verletzungen, die sie bei einem der gut 2,4 Millionen polizeilich registrierten Verkehrsunfällen auf deutschen Straßen erlitten hatten. Seit Kriegsende kamen in Deutschland bei Verkehrsunfällen den amtlichen Angaben zufolge insgesamt 695.791 Menschen ums Leben.

Mit dem islamistischen Terror verhält es sich dagegen ganz anders als mit Tabak, Alkohol, gutem Essen oder Autofahren: Das gefühlte Risiko, einem Anschlag zum Opfer zu fallen, wirkt wohl vor allem deshalb so bedrohlich, weil die vage Bedrohung für das eigene Leben von außen kommt, ein böser Wille dahinter steht und sich die Gefahr nicht durch das eigene Handeln kontrollieren lässt.

Tatsächlich lauern die Gefahren ganz woanders: Im Vergleichsjahr 2013 starben zum Beispiel 8675 Deutsche bei Unfällen im Haushalt. 15.000 Menschen erlagen dem Alkohol. Und etwa 121.000 Bundesbürger fielen den Folgen des Tabakkonsums zum Opfer. Die Terrorgefahr bleibt unverändert. Doch wenn es nur nach den nackten Zahlen ginge, müssten sich die Deutschen stärker vor sich selbst fürchten als vor fanatischen Extremisten.

(Hinweis für Mobilnutzer: Die Infografik zu den Todesfällen in Deutschland finden Sie hier.)

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen