Politik

CO2-Preise für Verbraucher "Grüne und SPD argumentieren teils wie Orban"

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Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban und die deutschen Grünen im Europäischen Parlament stehen beim Emissionshandel auf einer Seite, wirft ihnen der EVP-Abgeordnete Peter Liese vor.

(Foto: REUTERS)

Ab 2026 sollen auch fürs Heizen und für den privaten Autoverkehr strenge Emissionsregeln gelten. Je sauberer EU-Bürgerinnen und -Bürger wohnen und fahren, desto günstiger leben sie, lautet der Vorschlag der EU-Kommission. Aber was in Deutschland Konsens und durch die CO2-Steuer bereits gelebter Alltag ist, ruft in Staaten wie Frankreich, Polen und Ungarn Widerstand hervor. Mit einem Kompromissvorschlag versucht der Berichterstatter des Europaparlaments, Peter Liese (CDU/EVP), trotzdem eine Mehrheit für das geplante Regelwerk zu finden. Zögerlichen Regierungen will er eine zweijährige Übergangsfrist gewähren, erklärt er im "Klima-Labor" von ntv - unter anderem, um "Tanktourismus in ungekanntem Ausmaß" zu verhindern. Vorwürfe macht er aber auch den deutschen Grünen im Europaparlament. Denn anders als im Koalitionsvertrag vereinbart, würden sie die Pläne nicht unterstützen, sondern mit Klimaskeptikern wie dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán in einem Boot sitzen und teilweise dieselben Argumente nutzen.

ntv.de: Wie sähe Ihr Gesetz für den Emissionshandel (ETS) aus, wenn Sie keine Rücksicht auf Mehrheiten nehmen müssten?

Peter Liese: Nicht so ganz anders als das, was ich vorgelegt habe. Beim Schiffsverkehr und bei der Frage "Wie gehen wir mit der Industrie um?" habe ich schon das aufgeschrieben, was ich richtig finde. Bei Wärme und Straßenverkehr würde ich einen Vorschlag ohne Opt-out machen, weil wir in jedem Bereich einen CO2-Preis brauchen, um Menschen, nicht nur der Industrie, den Übergang zur Klimaneutralität zu ermöglichen. Deswegen würde ich den Emissionshandel dort ganz schnell starten, zum Beispiel 2023. Aber da muss man halt Kompromisse machen.

Je sauberer man lebt, je sauberer man arbeitet, desto günstiger wird es - das ist der Hintergedanke?

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Peter Liese sitzt seit 1994 für die CDU im Europäischen Parlament.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Das Ziel ist, Innovationen und umweltfreundliches Verhalten anzuregen. Und das geht, so sagt es die menschliche Erfahrung, nur, wenn diejenigen, die das nicht tun, es negativ zu spüren bekommen.

Wenn wir an das Portemonnaie herangehen?

Ja.

Und in diese Richtung wollen Sie das bisherige Emissionshandelssystem der EU verschärfen?

Genau. Die Verschärfung ist unausweichlich, weil wir ein viel höheres Klimaziel haben. Bisher haben wir einen Emissionshandel, der uns mit anderen Instrumenten bis 2030 zu 40 Prozent weniger Schadstoffausstoß führt. Aber das Europäische Parlament, die Mitgliedstaaten im Ministerrat und die Kommission haben gemeinsam beschlossen, dass wir 55 Prozent erreichen wollen. Dafür müssen wir in allen Bereichen nachlegen.

Wie funktioniert Emissionshandel (ETS)?

ETS ist ein Finanzinstrument zur Bekämpfung des Klimawandels, bei dem CO2 und andere Schadstoffe einen Preis bekommen. Das simple Prinzip lautet, dass alle, die sehr viel verschmutzen, sehr viel bezahlen müssen. Diejenigen, die sehr wenig verschmutzen, müssen wenig bezahlen.

Im europäischen ETS geben Zertifikate an, wie viele Schadstoffe über einen bestimmten Zeitraum ausgestoßen werden dürfen. Damit darf gehandelt werden. Unter anderem verdient E-Autobauer Tesla sehr viel Geld mit dem Verkauf seiner Abgaszertifikate an Unternehmen, die ihren erlaubten Ausstoß überschreiten.

Bisher gilt dieses System nur für die Wirtschaft, bald sollen in der EU auch Privatleute darunter fallen und profitieren, wenn sie besonders umweltschonend wohnen, heizen und unterwegs sind. Ein Teil der ETS-Einnahmen soll künftig in einen Klima-Sozialfonds fließen, der sozial schwächer gestellte Menschen beim persönlichen Klimawandel unterstützt.

Trotzdem sieht Ihr Kompromissvorschlag jetzt wieder eine Opt-out-Möglichkeit, eine zweijährige Übergangsfrist, bei der geplanten Besteuerung der privaten Haushalte vor, die mehr oder weniger mit Öl heizen und Verbrenner fahren. Warum ist das Gesetz sonst nicht mehrheitsfähig? In Deutschland ist das ja mit der CO2-Steuer seit 2021 de facto schon der Fall.

Das ist im Moment eine der Absurditäten der Klimadiskussion: In Deutschland haben wir einen breiten Konsens. CDU und CSU, SPD, Grüne und FDP unterstützen eine nationale CO2-Besteuerung auch beim Autofahren und beim Heizen, aber Grüne und SPD im Europäischen Parlament lehnen eine Ausweitung auf die Europäische Union ab - genauso wie die üblichen Verdächtigen Ungarn und Polen. Dann ist es natürlich nicht einfach, so etwas umzusetzen. Bevor man diesen Gedanken also ganz aufgibt, bin ich für einen Kompromiss: Überall, wo es geschäftlich ist, wird sofort ein CO2-Preis eingeführt. Da, wo es den Endkonsumenten betrifft, gibt es eine Übergangsfrist. Ansonsten bringt man deutsche Speditionen nur in die unmögliche Lage, dass sie sehr viel Geld sparen, wenn sie über die Grenze fahren und dort tanken. Das würde zu einem Tanktourismus in ungekanntem Ausmaß führen.

Wo kommt diese Ablehnung denn her? Sie haben Polen und Ungarn genannt, Frankreich soll auch gegen die Ausweitung des ETS auf Privatleute sein.

Ob Frankreich dagegen ist, ist noch nicht klar. Ich höre sehr unterschiedliche Signale. Auch, dass Präsident Emmanuel Macron der Sache durchaus offen gegenübersteht, es vor der Wahl aus Angst vor den Gelbwesten aber ein bisschen schwierig wird.

In Polen und Ungarn ist es die übliche Mischung. Dort sind populistische Regierungen an der Macht, die gerne mit dem Zeigefinger auf Brüssel zeigen und sagen: Ihr seid schuld an den hohen Energiepreisen! Außerdem sind die aktuellen Regierungen in Polen und Ungarn generell skeptisch, was Klimaschutzmaßnahmen angeht. Das ärgert mich besonders, dass deutsche Grüne und deutsche Sozialdemokraten jetzt mit Viktor Orbán und Herrn Kaczynski in einem Boot sitzen und teilweise sogar dieselben Argumente nutzen.

Aber Widerstand kommt ja von allen möglichen Seiten. Nicht nur die Grünen kritisieren Ihre Pläne, sondern der WWF auch. Dort ärgert man sich, dass Sie den Klimaschutz für Verbraucher teurer machen, anstatt die Industrie zu belasten.

Wir müssen beim Klimaschutz schon die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft im Blick haben. Wenn wir immer höhere Ziele für die Autoindustrie beschließen, wenn wir es zu schnell und nicht richtig machen, können Menschen arbeitslos werden. Das übersehen manche Umweltverbände. Wenn wir die Schraube überdrehen, kann es gerade dadurch soziale Unruhen geben. Hinzu kommt, dass beim bestehenden Emissionshandel der Stromsektor mit drin ist. Aber wenn wir beim Strom noch strenger sind, trifft das die Verbraucherinnen und Verbraucher doch auch. Der Strompreis hängt direkt mit dem ETS-Preis zusammen. Das wird gerade für sozial Schwache in ärmeren Ländern wie Bulgarien und Rumänien zum Problem.

Es gibt keine Zauberformel, wo man Klimaschutz macht, ohne dass es irgendjemand merkt. Umweltziele können wir nur durch einen Instrumentenmix erreichen. Und wer den Eindruck vermittelt, man könnte einfach immer nur da streng sein, wo es die Industrie trifft, macht den Menschen etwas vor.

Wo finde ich das Klima-Labor?

Das Klima-Labor finden Sie bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed

Kommt es durch diese Opt-out-Regelung nicht zu einer einseitigen Belastung? Wenn die Bundesregierung oder der Bundestag darauf verzichten, Frankreich aber nicht, werden deutsche Unternehmen doch anders als französische belastet.

Alle, die wirtschaftlich tätig sind, sind in meinem Vorschlag mit drin. Dieses Opt-out gibt es nur für Endverbraucher, den privaten Verkehr und das private Wohnen und nur für zwei Jahre.

Und wie soll das in der Praxis aussehen? Ein Spediteur bezahlt an der Tankstelle dann einen anderen Preis als eine Privatperson?

Sie haben mich ja am Anfang gefragt, wie ich es machen würde, wenn ich allein entscheiden könnte. Dann würde ich natürlich kein Opt-out machen und ich hoffe immer noch, dass die Einsicht kommt, dass es entweder gar kein Mitgliedstaat oder nur sehr wenige nutzen. Aber die Idee kommt aus der französischen Regierungspartei LRM, also von Herrn Macron und seinem Umfeld.

Mein Parlamentskollege Pascal Canfin, der Umweltausschuss-Vorsitzende, sagt, er hat es geprüft und es ist möglich. Natürlich ist es das. Wenn wir in Deutschland in ein Café gehen und bestellen ein Brötchen und einen Kaffee, dann fragt die Verkäuferin regelmäßig: "Zum hier Essen oder zum Mitnehmen?" Weil ein unterschiedlicher Mehrwertsteuersatz drauf ist. An der Tankstelle werden Sie also demnächst gefragt, ob es eine dienstliche oder eine private Fahrt ist. Natürlich gibt es Abgrenzungsprobleme, natürlich ist diese Regelung anfällig für Betrug, aber das passiert in anderen Bereichen auch und das Opt-out ist ja zeitlich begrenzt.

Und die Abgrenzungsprobleme hätten ja auch nur die Mitgliedstaaten, die das Opt-out nutzen. Da sagt der Finanzminister dann vielleicht schon irgendwann: "Wisst ihr eigentlich, was das für ein Unsinn ist? Wir machen das nicht, ich kann das gar nicht nachrechnen, das führt zu Steuerhinterziehung."

War das der Plan? Wir machen das System so kompliziert, dass alle sagen: Oh nein, ich mache das lieber doch nicht.

Sagen wir mal so: Meine Vision ist, dass alle so schnell wie möglich einen CO2-Preis haben. Das Argument, dass wir differenzieren müssen, kommt aus Frankreich und aus der liberalen Fraktion im Europäischen Parlament. Bei denen liegt die Beweislast, dass es funktioniert. Ich nehme das auf, aber nicht, weil ich das toll finde.

Ihr Vorschlag sieht auch vor, dass die Länder, die diese Opt-out-Option ziehen, schlüssig darlegen müssen, wie sie ihre Klimaziele erreichen. Wie wollen Sie das überprüfen?

Die Mitgliedstaaten brauchen nationale Pläne. Die müssen darlegen, wie sie auf dem Pfad zu 2030 ihre Emissionen reduzieren und wie sie das finanzieren wollen. Da kann die Kommission natürlich schon sagen, ihr habt hier irgendwelche Luftblasen drin, das ist nicht wirklich hinterlegt, ihr kriegt kein Opt-out.

Ein wichtiger Punkt ist auch der Ausgleich über den Klima-Sozialfonds, den Sie anpeilen. Können Sie uns den noch mal kurz erklären?

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Es ist extrem wichtig, dass alles, was im Emissionshandel eingenommen wird, sehr zielgerichtet an die Menschen zurückgegeben wird. Deutschland macht das schon sehr gut. Es gibt seit vielen Jahren den Nationalen Energie- und Klimafonds, der aus dem ETS gespeist wird. Damit wird zum Beispiel die Erneuerung der Heizung unterstützt oder in der Industrie innovative Technik, aber andere Länder lassen das Geld im allgemeinen Haushalt versickern. Italien nutzt zum Beispiel nur 30 Prozent der ETS-Einnahmen für zielgerichtete Investitionen, Polen nur 50 Prozent. Wir wollen 100 Prozent sicherstellen.

Von diesen Einnahmen sollen aber auch 25 Prozent in diesen Klima-Sozialfonds gehen. Mit dem wollen wir gezielt Menschen unterstützen, die relativ wenig verdienen, aber im ländlichen Raum leben und ihr Auto brauchen, um jeden Tag zur Arbeit zu fahren. Leute, die einen alten Diesel fahren und unter den hohen Preisen leiden, sollen in die Lage versetzt werden, mit anderen Verkehrsmitteln, mit einem Elektroauto oder auch mit einer Kombination aus Carsharing und ÖPNV zur Arbeit zu kommen.

Das heißt, sie bekommen nur dann Geld, wenn sie sich ein Elektroauto kaufen oder wenn sie sich eine bessere Heizung einbauen lassen?

"Nur" würde ich zu radikal finden. Es wird Härtefälle geben, wo die Infrastruktur für ein Elektroauto fehlt und man trotzdem zur Arbeit muss. Da muss man sich andere Lösungen überlegen. Die EU-Kommission schlägt eine direkte Einkommensunterstützung vor, aber das darf kein Dauer-Instrument sein. Wenn wir jedes Jahr Schecks überweisen, werden wir nie klimaneutral.

Noch reden wir aber von einem Vorschlag. Was glauben Sie: Wird dieser Kompromiss eine Mehrheit gewinnen?

Ich habe sehr viel positive Rückmeldung bekommen von den Leuten, auf die es ankommt. Die proeuropäischen Kräfte im Europäischen Parlament arbeiten ja oft zusammen, Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale, die bei uns Renew-Fraktion heißen. Es ist selten der Fall, dass wir bei der Mehrheitsfindung auf Orbán und Kaczynski angewiesen sind oder auf die ganz Linken. Knackpunkt sind wirklich die Grünen. Im deutschen Koalitionsvertrag steht, die Bundesregierung will dieses System. Herr Habeck, der Bundeswirtschaftsminister, und sein Staatssekretär, Herr Graichen, unterstützen das. Die Grünen im Europäischen Parlament lehnen es ab. Deren Verhandlungsführer ist auch ein Deutscher, Michael Bloss. Ich bin gespannt, wie die sich untereinander verständigen.

Mit Peter Liese sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.

Klima-Labor von ntv

Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Kunstfleisch? Das Grauen 4.0. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. LNG? Teuer.

Das Klima-Labor - jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed

Quelle: ntv.de

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