Politik

Steffi Lemke verlangt Anstand "Viele Bayern haben sich bei mir über Markus Söder beklagt"

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Bei den Kommunalwahlen in Thüringen spielen die Grünen keine Rolle. Auch die Umfragen für die drei anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen legen nahe: Drei Jahre, nachdem Olaf Scholz als Klimakanzler die Bundestagswahl gewinnen konnte, gewinnen Umwelt- und Klimaschutz keine Wahlen mehr, sondern sind eine Belastung. Grüne Wahlkämpfer und Politiker werden beschimpft, bedroht oder sogar angegriffen und von Konkurrenten als Feindbild missbraucht. "Was Markus Söder gemacht hat, gehört definitiv nicht in den demokratischen Diskurs", sagt Bundesumweltministerin Steffi Lemke im "Klima-Labor" von ntv über dessen Margot-Honecker-Vergleich. Eine politische Kursänderung schließt die Dessauerin dennoch aus: "Wir haben Fehler gemacht und wollten Vorhaben wie das Heizungsgesetz zu schnell umsetzen, jetzt dürfen wir aber nicht ins andere Extrem umkippen und gar nicht mehr handeln." Wie sieht die Lösung aus? Lemke setzt auf Pragmatismus und Augenmaß. Dann erhalte man auch von Landwirten Beifall, wie sie berichtet.

ntv.de: Derzeit gibt es eine Welle von Angriffen auf Politiker und Wahlkämpfer. Neben der AfD sind davon vor allem die Grünen betroffen. Haben Sie eine Erklärung, warum gerade Ihre Partei so polarisiert?

Steffi Lemke: Gegenwärtig haben wir weltweit massiven Druck auf Umwelt-, Naturschutz- und Klimaschutzpolitik. Wenn ich mit Amtskollegen aus Ländern in Südamerika, Afrika oder Indien spreche, ist das überall der Fall. Die Nutzung natürlicher Ressourcen, um großes Wirtschaftswachstum zu erreichen, führt zu verstärkten Konflikten. In dieser Situation stehen eine grüne Partei oder Umwelt- und Naturschützer natürlich besonders im Fokus.

Und das hat wann begonnen?

Seitdem klar ist, dass die Luft dünner wird. Wir merken die Auswirkungen der Klimakrise immer stärker. Es gab vor anderthalb Wochen eine Hochwasserkatastrophe im Saarland. Ich weiß, Hochwasser hat es schon immer gegeben, aber diese massive Häufung nicht. Wir merken, dass die Temperatur steigt, es werden mehr Flächen für Industrie, Bauen und Verkehr verbraucht. Die Konflikte sind größer geworden. Wir wissen rational eigentlich alle, dass wir etwas ändern sollten oder müssen. Aber Menschen ändern ihre Gewohnheiten nicht gerne. Das kennt wahrscheinlich jeder von den Neujahrsvorsätzen: Nach einem Monat sind die wieder passé.

Wir wissen rational, dass sich Dinge verändern müssen? Ist es nicht so, dass sich viele Menschen gegen Veränderungen wehren? Gerade den Grünen wird doch nachgesagt: Die wollen uns vorschreiben, dass wir unser Leben ändern müssen.

Man streitet darüber, was, wann, wo, wie und wer. Das ist richtig und gehört zur Demokratie dazu. Ich bin in Dessau geboren und lebe dort bis heute. Seit 2018 gab es drei, vier extreme Dürrejahre. In dieser Zeit gab es im Supermarkt keine anderen Themen als das Bewässern des Gartens oder das Austrocknen unserer Landschaft an der Elbe. Das erleben die Menschen hautnah und bringen das mit der Klimakrise in Verbindung. Dass die globale Temperatur in den vergangenen Jahrzehnten relevant angestiegen ist und Veränderungen da sind, sagen ja nicht die Grünen, sondern Meteorologen oder Versicherungsgesellschaften. Selbst die NATO hat Klimaveränderungen in ihre Sicherheitsstrategie aufgenommen.

Wenn die Menschen in ihrer Heimat so bewegt sind von Erderwärmung und Klimaschutz, müssten die Grünen in Wahlumfragen doch bei 40 Prozent stehen. Stattdessen sind es fünf Prozent.

In Umwelt- und Naturschutzfragen wird uns von allen Parteien die höchste Lösungskompetenz zugeschrieben. Aber Sie haben recht, im Alltag haben viele Menschen andere Sorgen: die eigene Familie, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine oder den Überfall der Hamas auf Israel. Ich treffe manchmal Menschen, die keine Nachrichten mehr hören wollen, sondern sich einfachen Parolen und Versprechungen zuwenden, weil sie sich überfordert fühlen. Das müssen wir in der Politik berücksichtigen und mit Augenmaß Probleme lösen.

Speziell den Grünen wird aber eine gewisse Arroganz vorgeworfen und fast ein ideologisches Handeln. Es ist ein sehr polemisches Beispiel, aber CSU-Chef Markus Söder hat Sie in einer Rede am Politischen Aschermittwoch als 'grüne Margot Honecker' bezeichnet und im Bierzelt Applaus dafür bekommen.

Die Grünen machen selbstverständlich Fehler, wir sind auch nur Menschen. Was Markus Söder gemacht hat, war etwas anderes. Er lebt wohl in einer eigenen Welt, die tendenziell aus einem Bierzelt besteht. Margot Honecker steht für Verbrechen der DDR. Sie war für die Bildungspolitik verantwortlich, die damals das Quälen von Kindern und Jugendlichen in Jugendwerkhöfen zu verantworten hatte. Das gehört definitiv nicht in den demokratischen Diskurs.

Hat sich Herr Söder dafür bei Ihnen erklärt?

Glücklicherweise verfügt Markus Söder nicht über die Kraft, mich zu verletzen. Aber was er damit verletzt, ist unsere Demokratie. Das ist nicht das, was die Menschen in diesen Zeiten von verantwortlichen Politikern erwarten. Sie verlangen seriöse Politik mit Augenmaß, Verantwortungsbewusstsein und dass wir das große Ganze, unsere Gesellschaft, unseren Zusammenhalt, aber auch die Verantwortung für künftige Generationen im Blick behalten.

Trotzdem hat Markus Söder im Bierzelt Applaus bekommen. Seine Worte scheinen bei den Menschen auf offene Ohren gestoßen zu sein.

Im Bierzelt sorgt auch ein sexistischer Witz für Schenkelklopfer. Das hat aber nichts mit demokratischem Diskurs zu tun. Und ich habe viele Zuschriften von Bayern bekommen, die sich über diesen Ministerpräsidenten ihres Bundeslandes bei mir beklagt haben. Ich bin mir nicht sicher, ob die Menschen noch auf die Schenkel geklopft haben, als der Bierdunst verflogen war.

Aber warum findet so etwas denn überhaupt Anklang? Müssen die Grünen sich dem Vorwurf der Arroganz stellen und einen anderen Ton anschlagen? Noch mal: Sie stehen in Sachsen-Anhalt bei fünf Prozent. Die AfD, die als Gegenpol wahrgenommen wird, bei 30 Prozent.

Wo finde ich das "Klima-Labor"?

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Wir haben politische Fehler gemacht und wollten Vorhaben wie das Heizungsgesetz zu schnell umsetzen. Das hat Robert Habeck mehrfach gesagt. Wir dürfen jetzt aber nicht ins andere Extrem umkippen und deswegen gar nicht handeln. Das wäre die falsche Reaktion. Es gibt auch Grüne, die manchmal etwas oberlehrerhaft daherkommen. Ich bemühe mich, eine andere Sprache zu sprechen und pragmatische Politik zu machen. Mein Haus steht für Verbraucherschutz, Umwelt und Natur, aber wir machen das für die Menschen, um Heimat zu bewahren, um sauberes Wasser und saubere Luft zum Atmen sicherzustellen.

Und zur AfD: Nicht nur in Hamburg, München und Köln, sondern auch in Bitterfeld, Bautzen und Zittau gehen im Moment Tausende, Hunderttausende Menschen für Demokratie und unsere Verfassung auf die Straße. Die Menschen wehren sich gegen Rechtsextremisten, die Themen instrumentalisieren, um daraus politisches Kapital zu schlagen oder, wie wir inzwischen wissen, um schnödes Geld damit zu verdienen.

Bei den Bauernprotesten sieht man doch aber, dass sich die Wut vor allem gegen Umweltvorschriften richtet.

Ich bin in den Tagen der großen Proteste auf einem kleinen Betrieb in Mecklenburg-Vorpommern gewesen und in dem Dorf von 30 Bauern und gefühlt 60 Traktoren empfangen worden. Nach dem Gespräch wurde ich mit Beifall verabschiedet. Man kann also miteinander diskutieren, das geht. Bei einem Besuch in Bayern standen vor Kurzem Schilder an den Straßen, auf denen stand: Bauern brauchen faire Preise und Bienen. Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen. Bauern sind auf eine intakte Natur angewiesen und auf faire Preise. Diese Debatte ist mir bei den Demonstrationen zu kurz gekommen.

Aber wenn die Preise im Supermarkt steigen, sind zwar die Bauern glücklich, dafür alle anderen wütend.

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Verbraucher müssen nicht unbedingt mehr bezahlen, damit Bauern mehr verdienen. Teilweise haben wir höhere Verbraucherpreise, ohne dass die Landwirte profitieren. Die Bodenpreise sind in den letzten Jahren massiv angestiegen. Dieses Land besitzen die Bauern häufig nicht selbst, sondern pachten es. Ein relevanter Teil der Subventionen oder auch des Geldes, das die Verbraucher bezahlen, gehen inzwischen in Pacht- und Bodenpreise. An diesen Mechanismus müssen wir ran. Außerdem gibt es auch in Ostdeutschland einige Verbraucher, die gut situiert sind und sagen: Wenn ich gute Ware bekomme, bin ich gerne bereit, dafür mehr zu bezahlen. Dieses Geld muss aber bei den Bauern landen und nicht im Handel versickern. Auch dafür brauchen wir eine Lösung, denn das Bündnis zwischen Verbrauchern und Bauern ist von immenser Wichtigkeit.

Mit Steffi Lemke sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

Klima-Labor von ntv

Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.

Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?

Das Klima-Labor von ntv: Jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert, Spaß macht und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed

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Quelle: ntv.de

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