Kommunalwahl mit Rechtsdrall AfD erobert Thüringen nicht, rückt aber deutlich vor


Er stand zwar nicht zur Wahl für Kommunalämter, dennoch warb die AfD mit ihrem Landesvorsitzenden, dem Rechtaußen Björn Höcke.
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Ein Rechtsextremist feiert seinen Überraschungserfolg, die AfD festigt ihre Stellung als stärkste politische Kraft neben der CDU: Der Ausgang der großen Kommunalwahl in Thüringen bestätigt einen fortgesetzten Rechtsruck im Land. Auch eine Newcomer-Partei jubelt, während Grüne und Linke leiden.
"Sensation geschafft", bejubelt Tommy Frenck auf seinen Internetkanälen seinen Einzug in die Stichwahl um den Landratsposten im Thüringer Kreis Hildburghausen. Der Rechtsextremist beendet den Eintrag mit fünf Ausrufezeichen, dabei ist seine Lieblingszahl doch die Acht. So zu sehen auf seinem ebenfalls am Sonntag auf Facebook beworbenen Kochbuch "Die 88 besten Fleischgerichte aus dem Reich", das er über seinen Versandhandel Druck18 vertreibt. Die 88 steht in der Szene für Heil Hitler, weil H der achte Buchstabe im Alphabet ist. Die 18 steht nach gleicher Logik für Adolf Hitler. Der voll tätowierte ehemalige NPD'ler ist einer der wichtigsten Akteure der rechtsextremen Szene Mitteldeutschlands.
Ein Viertel der 34.619 Wählerinnen und Wähler stimmte am Sonntag dennoch oder genau deswegen für Frenck als neuen Landrat - auch weil die AfD ausgerechnet hier keinen eigenen Kandidaten aufstellte. Dennoch ist sie der große Gewinner der Kommunalwahlen in Thüringen, zwei Wochen vor der Europawahl und etwas mehr als drei Monate vor der Landtagswahl am 1. September. Der bundesweite Abwärtstrend der AfD nach den Skandalen um radikale Abschiebefantasien, Bestechungs- und Spionagevorwürfen sowie der gerichtlich bestätigten Überwachung durch den Verfassungsschutz spiegelt sich in den Zahlen aus Thüringen nicht wider. Auch wenn die befürchtete "blaue Welle", also eine Eroberung mehrerer Landratsämter durch die AfD, nicht eingetreten ist.
AfD auch ohne weiteren Landrat erfolgreich
Der innerhalb des AfD-Spektrums besonders weit rechts stehende Thüringer Landesverband unter seinem Vorsitzenden Björn Höcke kann den 26. Mai als Erfolg verbuchen. Und das, obwohl Höcke gerade erst wegen des Verwendens einer nationalsozialistischen Parole strafrechtlich verurteilt wurde. Im Juni letzten Jahres eroberte die AfD im thüringischen Sonneberg ihr bundesweit erstes Landratsamt. Dass nun eher kein zweites hinzukommt, tut dem Erfolg keinen Abbruch. In neun von 13 Landkreisen zogen AfD-Kandidaten in die zweite Runde ein. Auf die fünf Oberbürgermeisterämter in Erfurt, Gera, Jena, Suhl und Weimar hatte die AfD ohnehin keine Chance, weil sie im städtischen Wählermilieu stets schlechter ankommt als auf dem Land.
In den Stichwahlen am 9. Juni, parallel zu den Europawahlen, sind Landratsposten für die AfD unwahrscheinlich. Dann dürften die Wähler der demokratischen Parteien relativ geschlossen für die jeweiligen Konkurrenten von CDU, SPD und Freien Wählern stimmen. Diese gingen mit Ausnahme des Landkreises Altenburger Land jeweils als Erstplatzierte aus der Wahl hervor, teilweise nur knapp unter der absoluten Mehrheit. Insbesondere die sechs bisherigen Amtsinhaber von CDU und SPD würden voraussichtlich gewinnen, sagt Hans-Günter Henneke, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages, der Nachrichtenagentur dpa. "Zumal sie fünfmal einen beachtlichen Vorsprung haben."
Ein Problem für die CDU
In den Landtagen hingegen, die am Montagmittag nicht vollständig ausgezählt sind, ist die AfD künftig meist stärkste und wenn nicht, dann zweitstärkste Kraft hinter der CDU. Beide Parteien liegen am Montagmittag, als rund 90 Prozent aller Stimmen ausgezählt sind, landesweit bei um die 27 Prozent. Beide Parteien würden sich gerne mit Platz eins brüsten, doch werden sie so oder so nur wenige zehntausend Stimmen auseinanderliegen.
Die Zahl der errungenen Sitze dürfte am Ende ohnehin in etwa gleich sein. Das ist beachtlich für die AfD, die anders als die CDU nicht überall auf den Listen vertreten war. Und es ist ein Problem für die CDU: Will sie auf kommunaler Ebene nicht ständig mit den links von ihr stehenden Sozialdemokraten, Linken, Grünen und Wagenknecht-Abgeordneten stimmen, kommt sie an der AfD mit ihrem Mandatsanteil von jeweils 20 bis 35 Prozent nicht vorbei. Sie ist nunmehr in mindestens neun Kreis- und Stadtparlamenten stärkste Kraft. Bisher war das nur bei einer Versammlung der Fall. Die berühmte Brandmauer bröckelt damit weiter.
Insgesamt können AfD und CDU jeweils mehr Stimmen auf sich vereinigen als SPD, Grüne, FDP und Linke zusammen, obwohl letztere mit Bodo Ramelow den noch immer sehr beliebten Ministerpräsidenten stellt. Die mit rund 62 Prozent auch im historischen Vergleich sehr hohe Wahlbeteiligung bei einer Kommunalwahl war demnach nicht zum Nachteil der AfD.
Die CDU verdankt ihren Vorsprung bei den Landräten nicht zuletzt den anderen Nicht-AfD-Wählern. Das zeigt auch das Gegenbeispiel Hildburghausen, wo der CDU-Kandidat Dirk Lindner mit 0,2 Prozentpunkten knapp hinter dem Rechtsextremisten Frenck auf Platz drei landete. Ein kommunales Bündnis gegen Frenck war in Hildburghausen nicht zustande gekommen, anders als in anderen Landkreisen gegen die AfD.
So ist das Wahlergebnis vom Sonntag ein Fingerzeig für den 1. September: Die CDU versucht sich mit ihrem Spitzenkandidaten Mario Voigt als erste Alternative zur AfD zu positionieren. Voigt war im April demonstrativ zu einem TV-Duell gegen Höcke in den Ring gestiegen. Nach einhelliger Einschätzung wollte Voigt damit den Landtagswahlkampf zum Zweikampf zwischen CDU und AfD stilisieren, in der Hoffnung, möglichst stark auf Platz zwei hinter der AfD zu landen. Dann, so das Kalkül, könnte er anstelle Ramelows die kommende Landesregierung anführen. Mit welcher Mehrheit, ist offen.
Ramelows Linke regiert seit 2020 mit SPD und Grünen, wird aber mangels Mehrheit von der CDU toleriert. Womöglich könnten Linke und CDU die Rollen tauschen, doch ein Wiedereinzug von Grünen und SPD ist keinesfalls sicher.
Starkes Debüt des BSW, SPD hofft
Stark sind dagegen die Aussichten des BSW. Das Bündnis Sahra Wagenknecht liegt in einer Umfrage von infratest dimap mit 16 Prozent auf Platz drei, hinter der CDU mit 20 Prozent und der AfD mit 30 Prozent. Zur Kommunalwahl ist das BSW erstmals bei einer Wahl angetreten und kommt aus dem Stand in vier Kreisen bei den Kreistags- und Stadtratswahlen auf teils zweistellige Ergebnisse. Im Wartburgkreis sowie in den Kreisen Sonneberg, Greiz und Gotha trat das BSW mit eigenen Listen an. Ein vorläufiges Endergebnis gibt es bislang nur im Kreis Greiz, wo das Bündnis 11,1 Prozent erreichte.
Neben AfD, BSW und CDU deutet auch die SPD das Ergebnis vom Sonntag als Erfolg: "Sozialdemokratische Kommunalpolitik hat heute Rückenwind erfahren", teilte Landesinnenminister Georg Maier mit, der Spitzenkandidat seiner Partei für die Landtagswahl ist. Mit rund 11 Prozent ist die SPD drittstärkste Kraft. Die Landrätin von Schmalkalden-Meiningen, Peggy Greiser, wurde mit 63,3 Prozent bestätigt.
Im Kyffhäuserkreis, in den Kreisen Unstrut-Hainich und Gotha holten die amtierenden SPD-Landräte jeweils Ergebnisse von rund 40 Prozent und mehr. Sie dürften die zweiten Runden gegen den jeweiligen AfD-Bewerber gewinnen. Erfurts sozialdemokratischer Oberbürgermeister Andreas Bausewein landete mit 22,7 Prozent 5,5 Punkte hinter dem CDU-Herausforderer Andreas Horn und muss nun in die Stichwahl.
Grüne und Linke im Abwärtsstrudel
Die Grünen liegen nach Auszählung von 86 Prozent aller Stimmen bei gerade einmal 3,8 Prozent. Die auf dem Land besonders im Osten schwach aufgestellte Partei halbiert damit im Vergleich zu 2019 ihr Wahlergebnis. Die Grünen zählen ebenso wie die Linke zu den großen Verlierern der Wahl. Beide beklagten genauso wie die SPD vermehrt Übergriffe im Wahlkampf. Die in der thüringischen Fläche deutlich stärker verankerte Linkspartei des Ministerpräsidenten fällt nach Auszählung der meisten Stimmen von 14 auf 8,5 Prozent. Der Abwärtsstrudel der Linken, einst größte politische Kraft im Osten, setzt sich damit fort.
Gleiches bei der FDP: Bei der Kommunalwahl kommt sie auf 2,7 Prozent der Stimmen, ein Wiedereinzug der Partei von 27-Tage-Ministerpräsident Thomas Kemmerich in den Landtag scheint so gut wie ausgeschlossen. Ein Landesparlament allein aus CDU, BSW und AfD ist möglich. Anders als mit der Linken hat Voigt eine Zusammenarbeit mit dem BSW bisher nicht ausgeschlossen. Diese wiederum lehnt wie die CDU eine Zusammenarbeit mit der AfD ab. Die Neulinge spült es vielleicht direkt in Regierungsverantwortung.
Quelle: ntv.de, mit dpa und AFP