Grünen-Politiker im Interview Er wird bedroht, weil er Höcke vor Gericht brachte
16.05.2024, 13:29 Uhr Artikel anhören
Der 1981 geborene Sebastian Striegel aus Halle sitzt seit 2011 für die Grünen im Landtag von Sachsen-Anhalt und ist Mitglied der Rechtsextremismuskommission des Grünen-Bundesvorstands.
(Foto: Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag von Sachsen-Anhalt)
Sebastian Striegel, Abgeordneter der Grünen in Sachsen-Anhalt, hat mit einer Strafanzeige den Prozess gegen Björn Höcke in Gang gebracht. Seit Monaten drohen ihm Anhänger des Rechtsextremisten mit Gewalt. Hier erzählt er, was er erlebt - und der Staat tun könnte, Leute vor Hasskriminalität zu schützen.
ntv.de: Herr Striegel, das Urteil gegen Björn Höcke wegen Verwendung einer Nazi-Parole geht auf eine Strafanzeige von Ihnen zurück. Wie bewerten Sie den Ausgang des Verfahrens?
Sebastian Striegel: Der von Höcke auf einer Wahlversammlung der AfD öffentlich gerufene Satz "Alles für Deutschland" war Wahlspruch der Sturmabteilung (SA) der NSDAP, einer Terrororganisation, die ihre Gegner zusammengeprügelt oder totgeschlagen hat. Der Spruch ist Erkennungszeichen der Neonazi-Szene. Dass das Landgericht Halle es als erwiesen angesehen hat, dass Höcke diese SA-Parole vorsätzlich verwendet und ihn mit 13.000 Euro Geldstrafe verurteilt hat, erfüllt mich mit Genugtuung.
Nach Bekanntwerden Ihrer Strafanzeige hat der Mob auch über Sie gerichtet. "Dem müsste man mal anständig auf die Schnauze geben", hieß es etwa in Mails an Sie. Gab es viele Beleidigungen nach dem Urteil gegen den Thüringer AfD-Chef?
Ich bin nicht bereit, hinzunehmen, dass auf öffentlichen Plätzen wieder NS-Parolen gerufen werden. Der Fanatismus der extremen Rechten in Reaktion auf das Ermittlungs- und Gerichtsverfahren hat mich nicht überrascht. Höcke ist so etwas wie der Säulenheilige der AfD. Mein Büro und ich haben im Laufe des Ermittlungsverfahrens und während des gesamten Prozesses Dutzende Mails und Kommentare mit wüsten Beschimpfungen und Drohungen erhalten. Auch nach dem Urteil war das so. Inhalte mit strafrechtlicher Relevanz - Bedrohung, Beleidigung, Verleumdung und Volksverhetzung - bringe ich konsequent zur Anzeige.
Welche Folgen hat das für die Absender der Hassbotschaften?
Nach meinem Eindruck nehmen Polizei und Staatsanwaltschaften die Vorgänge ernst. Natürlich kommt es auch zu Einstellungen wegen Geringfügigkeit oder häufiger, weil kein Täter ermittelt werden konnte. Aber es gibt immer wieder Strafbefehle oder Einstellung von Verfahren gegen Geldauflage. Der Rechtsstaat zeigt hier schon klare Kante. Das ist nötig. Er könnte es nur noch stringenter tun.
Was meinen Sie mit "stringenter tun"?
Wir brauchen in allen Bundesländern zentralisierte Stellen zur Bekämpfung von Hasskriminalität. Es muss zudem einfacher werden, Hasskriminalität aus dem Netz auch anzuzeigen. Und ich wünsche mir, dass die Polizei an kriminalitätsbelasteten Orten im Internet stärker unterwegs ist. Aktuell sehen viele das Internet noch als Ort, an dem sie ohne Gefahr ihrem Hass freien Lauf lassen können. Das vergiftet die öffentliche Diskussion, schreckt ab und führt dazu, dass Betroffene von Hass sich aus Debatten zurückziehen.
Ein Neonazi hat vor fünf Jahren im Internet Ihre Privatanschrift veröffentlicht und dazu aufgerufen, Sie "ans Tageslicht zu zerren". Ist er zur Rechenschaft gezogen worden?
Obwohl der Mann vor meiner Wohnung stand, mir nachgestellt und mich bedroht hat, ist er dafür nicht belangt worden. Die Staatsanwaltschaft befand den Eingriff in meine Persönlichkeitsrechte und die meiner Familie als zu gering. Der Beschuldigte ist inzwischen jedoch wegen anderer szenetypischer Straftaten mehrfach verurteilt worden und sieht demnächst seinem Berufungsprozess entgegen. Diesmal könnte es auf eine Haftstrafe ohne Bewährung hinauslaufen.
Pöbeleien gegen Politiker gab es schon immer. Die krasse Verrohung der Sprache inklusive brachialer Ankündigungen von Gewalt erlebt das Land erst neuerdings. Können Sie einen Zeitpunkt nennen, ab dem es eskalierte? Vielleicht die Flüchtlingskrise?
Beleidigungen und Drohungen sind keine neuen Erscheinungen. Aber dabei blieb es ja nicht. Zugenommen hat die Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker, wobei die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke der traurige Höhepunkt war. Der Gewalt gingen immer auch Drohungen in Foren oder den sozialen Medien voraus. Die Zu- und Abnahme erfolgte stets in Wellen. Immer dann, wenn Rechtsextreme einen Diskurs anheizen, erleben wir einen Anstieg von Angriffen auf politisch Aktive, körperlich und gegen deren Büros. Während der Humanitätskrise der Jahre 2015 und 2016 war das deutlich an Zahlen abzulesen. Auch in der Zeit der Corona-Pandemie und in den ersten Monaten nach dem russischen Überfall auf die Ukraine.
Würden Sie sagen, dass Sie in Lebensgefahr sind?
Ich bin gut geschützt, was mit meinem Status als Abgeordneter zu tun hat. Ich nehme das als Privileg wahr. Es ist keine Selbstverständlichkeit. Ich wünsche mir, dass alle politisch Aktiven in diesem Land so sicher sein können. Das werden wir nicht mit mehr Polizei, sondern nur mit einem gesellschaftlichen Klima von mehr Dialog und weniger Feindmarkierung erreichen können.
Sie haben als junger Mann die "Baseballschlägerjahre" im Osten erlebt. Falls es einen gab: Wo war der Unterschied zu heute?
Die Zeit war vor allem von rassistischer Gewalt geprägt. Man denke nur an die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda oder Quedlinburg unter Beteiligung Hunderter und dem Beifall aus der Bevölkerung. Bis auf die Demonstration in Heidenau, als im Sommer 2015 Rechtsextreme versuchten, mit Gewalt den Einzug von Asylbewerbern in eine Flüchtlingsunterkunft zu verhindern, hat es solche Massen-Exzesse zum Glück nicht mehr gegeben. Der Staat handelt heute bei rassistischer Gewalt und rechtem Terror wesentlich konsequenter. Die Polizei zeigt, dass sie rassistische oder antisemitische Übergriffe deutlich ernster nimmt.
Und heute?
Mir fällt vor allem auf, dass die politische Debattenkultur Schaden genommen hat. Sich zuzuhören, in Auseinandersetzungen auch Grautöne des Gegenübers zu akzeptieren, fällt vielen schwer. Die Bereitschaft anzunehmen, dass jemand auf der anderen Seite vielleicht doch recht haben, einen berechtigten Punkt haben könnte, ist gering. Ich denke, wir brauchen eine größere Bereitschaft, darüber nachzudenken: Was könnte mein ganz persönlicher Beitrag zu einer Problemlösung sein?
Das ist doch genau das, was die politischen Lager momentan einander vorwerfen, die AfD insbesondere den Grünen.
Von Demokratinnen und Demokraten erwarte ich, dass sie miteinander im Dialog bleiben. Gespräche mit der AfD erlebe ich dagegen regelmäßig als sinnlos, denn die Partei hat kein Interesse an politischen Lösungen. Die AfD kennt für jedes Problem einen Schuldigen: "Ausländer", "Juden", "die Eliten", "die Altparteien"‚ "die da oben", wer oder was auch immer. Ein Ringen um echte Lösungen für ein konkretes Problem vor Ort habe ich von den Rechtsextremen bisher nie erlebt. Dabei brauchen wir in diesen herausfordernden Zeiten genau dies: den engagierten Streit um die beste Lösung, konstruktive Auseinandersetzung, ins Gespräch kommen, miteinander reden. Sonst fliegt uns die Gesellschaft um die Ohren.
Mit Sebastian Striegel sprach Thomas Schmoll
Quelle: ntv.de