Union verärgert über Asylpolitik Was Scholz geliefert hat - und was nicht


Seit dem großen Asylkompromiss zwischen Bund und Ländern sind 17 Wochen vergangen. Beide Seiten ziehen nun Bilanz und besprechen weitere Schritte. CDU und CSU sehen sich von der Ampel getäuscht, der Bund tue nicht genug zur Senkung der Migration. Dabei ist in den vier Monaten einiges passiert.
Mit dem Ende der Corona-Krise ist der Migrationsdruck auf Europa wieder massiv gestiegen. Im vergangenen Jahr nahm die Zahl der Asylantragsteller in den 27 EU-Staaten, Norwegen und der Schweiz um 18 Prozent zu, auf 1,14 Millionen. Fast jeder Dritte dieser Asylanträge wurde in Deutschland gestellt, wo die Zahl der Erstanträge sogar um 51 Prozent höher ausfiel als im Vorjahr. Kein Wunder, dass Ursachen und Folgen der Migration eines der wichtigsten politischen Themen im vergangenen Jahr waren. Bundeskanzler Olaf Scholz versprach schließlich, Deutschland werde "im großen Stil abschieben". Den Ministerpräsidenten von CDU und CSU sagte er bei der Ministerpräsidentenkonferenz Anfang November diverse Maßnahmen zu, um die Zuwanderungszahlen zu senken.
17 Wochen später sitzen Kanzler und Länderchefs wieder beisammen und ziehen Bilanz. Doch wie so oft fällt die Bewertung sehr unterschiedlich aus - je nachdem, ob die Beteiligten den Regierungsparteien im Bund - SPD, Grünen und FDP - angehören oder der oppositionellen Union. Deren CDU stellt sechs Ministerpräsidenten sowie Bayerns Regierungschef Markus Söder von der CSU. Letztere sehen sich betrogen: Die Ampel habe nur wenige Vereinbarungen umgesetzt und diese auch nur zum Teil.
Mehr Grenzschutz, mehr Abschiebungen
Die Ampel widerspricht und verweist darauf, dass die Asylzahlen im Dezember um 13,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken sind, sowie um 9,3 Prozent im Januar im Vergleich zum Januar 2023. Ein Sprecher von Bundesinnenministerin Nancy Faeser führte dies auch auf die im Oktober wiedereingeführten stationären Grenzschutzkontrollen in den an Polen, Tschechien und die Schweiz angrenzenden Regionen zurück. Auch an der Grenze zu Österreich werden die temporären Maßnahmen fortgesetzt, was bei der Polizei viel Personal bindet.
Zudem gebe es deutlich mehr Abschiebungen: 2023 seien 16.430 ausreisepflichtige Personen aus Deutschland abgeschoben worden sowie 5053 Menschen nach der Dublin-Verordnung an ein anderes EU-Land rücküberstellt worden, listet das Bundesinnenministerium auf. Das sei eine Steigerung um 278 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Von den deutlich erweiterten Durchgriffsmöglichkeiten für die Polizei im Zuge des im Januar verabschiedeten "Rückführungsverbesserungsgesetzes" verspricht sich Faeser eine weitere Steigerung der Abschiebezahlen. Diese sind noch immer deutlich von den 22.097 Abschiebungen in 2019 entfernt. Damals waren aber auch noch mehr Menschen ohne Aufenthaltsberechtigung im Land, die in den Jahren 2015 und 1016 eingereist waren.
Rücknahme-Partnerschaften stocken
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst verwies in der Sendung "Maischberger" darauf, dass die für die Umsetzung der Abschiebungen zuständigen Ausländerbehörden der Kommunen weiter an einer entscheidenden Hürde scheitern: der Aufnahmebereitschaft des Herkunftslandes. Die Union fordert daher deutlich mehr Rücknahmeabkommen, wie sie die Bundesregierung inzwischen mit Georgien geschlossen hat.
Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, laut einem Entwurfspapier zur Ministerpräsidentenkonferenz verhandele die Bundesregierung derzeit entsprechende Vereinbarungen mit der Republik Moldau, Kolumbien, Usbekistan, Kirgisistan, den Philippinen und Kenia. Hessens Ministerpräsident Boris Rhein forderte in der "Bild am Sonntag" Klarheit über weitere Rückführungsabkommen. Auch der Deutsche Städtetag rügt, dass sich bisher kaum ein zusätzliches Land zur verbindlichen Rücknahme von Ausreisepflichtigen bereit erklärt habe.
Rhein verlangte zudem, dass die Ampel mehr Länder als bislang als sichere Herkunftsstaaten ausweist. Diese Liste ist seit Anfang November um Georgien und Moldau erweitert worden. Tunesien, Marokko und Algerien aufzunehmen, wie es die Union fordert, lehnen vor allem die Grünen bislang ab.
Asylanträge dauern und dauern und ...
Unzufriedenheit herrscht bei der Union auch über die weiterhin lange Bearbeitungszeit von Asylanträgen, insbesondere mit Blick auf Menschen mit sehr geringer Chance auf Anerkennung. Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer liege weiter bei 7,2 Monaten, erklärt CDU-Innenpolitikerin Andrea Lindholz. Scholz habe sechs Monate zum Ziel ausgegeben; im Fall von Menschen aus Ländern mit einer Anerkennungsquote unter fünf Prozent waren sogar weniger als vier Monate Bearbeitungsdauer angepeilt.
Auch Scholz ist damit unzufrieden, macht seit Monaten den Ländern Druck, die Ausländerbehörden und die übrigen mit Zuwanderern befassten Institutionen stärker zu digitalisieren. Hierfür war im November zusätzliches Geld bereitgestellt worden. "Mit 1160 zusätzlichen Kräften beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und 300 Millionen Euro zusätzlich für die Digitalisierung und Beschleunigung der Asylverfahren zeigen wir, dass wir Tempo machen", sagte Bundesinnenministerin Faeser der "Süddeutschen Zeitung". Die Fehleranalyse ist zwischen Ampel und Union durchaus einhellig, wo es aber mehr hakt - bei der Bundesbehörde BAMF oder den kommunalen Behörden - scheint eine Frage der Parteibrille zu sein.
Ebenfalls in die Mühlen des Parteienstreits geraten ist die bundeseinheitliche Bezahlkarte, die im November vereinbart worden war. Während einige Kommunen längst vorangegangen sind, einen Teil der Gelder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht mehr in bar auszuzahlen, hatten mehrere unionsgeführte Länder auf eine bundeseinheitliche Regelungsgrundlage gepocht. Hiergegen hatten sich die Grünen lange gesträubt, in der vergangenen Woche aber nachgegeben: Der Bund hat eine einheitliche Vorlage geschaffen, damit Asylbewerbern und abgelehnten Menschen mit Duldungsstatus Geld auf eine Bezahlkarte überwiesen werden kann.
Weniger Bargeld, weniger Anspruch auf Sozialhilfe
Insbesondere die Union verspricht sich eine abschreckende Wirkung, wenn Menschen ohne Bleibeaussicht während ihres Aufenthalts weniger Bargeld vom Staat erhalten und auch weniger Geld ins Heimatland zurücküberweisen können. Migrationsforscher meldeten hierzu Zweifel an, die Grünen fürchten zudem einen diskriminierenden Effekt sowie weitere Integrationshürden. Doch der im November geschlossene Asylkompromiss ist klar darauf ausgelegt, Deutschland als Asylziel weniger attraktiv im Vergleich zu Resteuropa zu gestalten.
Unabhängig von der tatsächlich abschreckenden Wirkung ist es aus Sicht der Befürworter auch eine Frage der Gerechtigkeit, dass die Steuerzahler in Deutschland Zuwanderern keinen Lebensstandard weit über EU-Durchschnitt finanzieren müssen. Vor dem Hintergrund solcher Überlegungen können seit Februar Asylantragsteller und Geduldete erst nach 36 statt 18 Monaten Aufenthalt Sozialhilfe und Bürgergeld beanspruchen. Bis dahin müssen sie mit deutlich niedrigeren Sätzen nach dem von der Ampel entsprechend reformierten Asylbewerberleistungsgesetz auskommen.
Warten auf Außengrenzverfahren
Erwartbar am wenigsten Fortschritt gibt es in der Frage nach Asylverfahren außerhalb der Europäischen Union, deren Prüfung CDU und CSU im November durchgesetzt hatten und die auch Teil des Programmentwurfs der CDU sind. Die auf deutscher und europäischer Ebene laufende Prüfung, ob Asylverfahren in Staaten außerhalb der EU rechtlich möglich seien, sei noch nicht abgeschlossen, sagte hierzu ein Sprecher des Bundesinnenministeriums zu Wochenbeginn. Zu dieser Frage sei das Bundesinnenministerium aktuell mit Juristen und Juristinnen sowie Migrationsexperten im Austausch.
Italien forciert solch ein Modell derzeit mit Albanien, die britische Regierung will irregulär eingereiste Migranten künftig in Ruanda unterbringen. Beide Vorhaben harren noch der Umsetzung. Die Bundesregierung hält es ohnehin für wahrscheinlicher, den Zuwanderungsdruck über eine Verabschiedung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zu senken. Die EU hatte sich im Dezember auf die GEAS-Reform geeinigt. Sie sieht unter anderem Asylverfahren direkt an den EU-Außengrenzen vor. Damit das Paket mit insgesamt fünf Gesetzestexten angewandt werden kann, müssen die Mitgliedsländer und das Europaparlament es noch formell beschließen.
Länder und Kommunen wollen mehr Geld
Die Union fordert, die Umsetzung der Reformmaßnahmen einzuleiten. Das Bundesinnenministerium tut, nach eigenen Angaben, genau das. Zudem pocht die Union auf eine Erneuerung des EU-Türkei-Abkommens sowie auf eine Stärkung der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Streit gibt es auch weiterhin um die Aufteilung der Kosten der Flüchtlingsunterbringung. Im November hatte Scholz den Ländern eine Pro-Kopf-Pauschale ab 2024 in Höhe von 7500 Euro zugesagt. Ländern und Kommunen ist das nicht genug.
Sie verweisen insbesondere auf die weiter steigenden Unterbringungskosten, weil in Deutschland schließlich auch eine Baukrise herrscht, Wohnraum und bebaubare Flächen rar sind. Die Bundesregierung hatte sich lange geweigert, mehr Geld zu zahlen, musste aber angesichts der parteiübergreifenden Allianz der Länderchefs nachgeben. Dies droht nun erneut, allerdings sind die Kassen der Ampel leerer denn je und auch ohne weitere Zugeständnisse an die Länder raufen sich Ampelvertreter jetzt schon die Haare, wie sie überhaupt einen Haushalt für das kommende Jahr aufstellen sollen.
Quelle: ntv.de, mit dpa, rts und AFP