Schwere Zeiten für Stromkunden Anbieterwechsel verboten?
20.09.2020, 06:33 Uhr
"Der Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt lebt vom Wechsel des Anbieters. Wir sehen es kritisch, wenn versucht wird, den Wechsel von Kunden zu erschweren", sagt die Bundesnetzagentur.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Schufa will wohl nicht nur entscheiden, ob Verbraucher kreditwürdig sind, sondern steht in dem Verdacht an einer Datenbank zu arbeiten, mit deren Hilfe Energieversorger "Vielwechsler" systematisch ablehnen könnten. Die Auskunftei weist die Vorwürfe zurück, Verbraucherschützer sind alarmiert.
Häufig als Datenkraken verschrien, sammeln Auskunfteien wie die Schufa nicht mehr nur Daten über das Kauf- und Kreditverhalten von Millionen Verbrauchern, sondern strecken ihre Fangarme in immer weitere Lebensbereiche aus. Neu im Visier der Datensammler ist nach Medienberichten auch das Wechselverhalten von Strom- und Gaskunden.
Laut Recherchen von "NDR" und "Süddeutscher Zeitung" arbeiten die Auskunfteien Schufa und Crifbürgel an Datenbanken, mithilfe derer Anbieter die Kunden herausfiltern könnten, die wiederholt ihren Tarif gewechselt haben. Die Sorge von Verbraucherschützern: Anbieter könnten Mehrfachwechsler dann entweder systematisch ablehnen oder ihnen attraktive Konditionen vorenthalten, wie Barbara Saerbeck vom Bundesverband der Verbraucherzentralen dem "NDR" gegenüber sagte. Und auch die Bundesnetzagentur äußerte sich wie folgt zum Thema: "Der Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt lebt vom Wechsel des Anbieters. Wir sehen es kritisch, wenn versucht wird, den Wechsel von Kunden zu erschweren."
Schufa-Datenbank zum Wohle des Kunden?
Die Schufa weist die Vorwürfe entschieden zurück und bezeichnet die Ausführungen von "NDR" und "Süddeutscher Zeitung" als irreführend. In einer Stellungnahme erklärte Unternehmens-Sprecher Ingo Koch, der "Schufa-E-Pool" sei bislang nicht "marktfähig": "Wir verfolgen die Idee grundsätzlich aber weiter." Es sei derzeit offen, "ob und wenn, in welcher Ausgestaltung" sie wieder aufgegriffen werde. Die Datenbank wurde den Recherchen zufolge bis Mitte August 2020 im Netz sowie in einer aktuellen Unternehmensbroschüre beworben. Die Internetseite war entfernt worden, nachdem "NDR" und "Süddeutscher Zeitung" zu den Hintergründen dieser Datenbank angefragt hatten. Bei der Vorstellung des "Schufa-E-Pools" in einer Firmenbroschüre habe es sich um ein "redaktionelles Versehen" gehandelt, sagte Koch.
Abgesehen davon sei "die Idee hinter dem E-Pool nicht das Verhindern eines Wechsels", so der Schufa-Sprecher. Demnach sei die Auskunftei entsprechenden Begehrlichkeiten aus der Energiewirtschaft sogar schon frühzeitig entgegengetreten. Es werde in der Datenbank "nach gegenwärtigem Entwicklungsstand lediglich die faktische und zeitliche Existenz des aktuellen Energiekontos gespeichert" sowie gegebenenfalls unbezahlte Rechnungen. Mit solchen Informationen seien die Energieversorger dann sogar in der Lage, Kunden als Vertragspartner anzunehmen, die sie sonst vielleicht nicht annehmen würden.
Bisher dürfen nur Daten von Kunden, die ihre Rechnungen nicht bezahlen oder die betrügen, branchenweit ausgetauscht werden. Allerdings sollen die neuen Datenbanken auch Daten von vertragstreuen Kunden enthalten.
Der Traum der Stromanbieter: Schläfer
Wie auch immer. Klar ist: Kunden, die Unternehmen über Jahre oder Jahrzehnte die Treue halten und selbst bei jährlichen Preiserhöhungen nicht weiter reagieren als mit einem Schulterzucken, sind den Unternehmen am liebsten. 69 Prozent der deutschen Haushalte werden laut Bundesnetzagentur noch immer von ihrem lokalen Anbieter versorgt.
Laut Check24 zahlen Verbraucher in Deutschland dadurch jedes Jahr 1,2 Milliarden Euro zu viel - denn die Preisunterschiede zu alternativen Tarifen sind gewaltig, nicht selten erlauben sich Grundversorger Margen von 20 bis 30 Prozent. Kunden in diesen überteuerten Tarifen werden von Anbietern intern als "Schläfer" bezeichnet. Entsprechend unlieb sind ihnen "wache" Kunden, die es wagen, den Tarif zu wechseln, um Geld zu sparen. Die Datenbanken kommen wie gerufen, um solche Kunden gar nicht erst annehmen zu müssen.
Datensammler machen Kunden zum "Freiwild" der Branche
Die systematische Bewertung des Kunden-Wechselverhaltens wäre ein weiterer Schachzug der Anbieter, um an diesem äußerst lukrativen, auf Trägheit ausgerichteten Geschäftsmodell festzuhalten. Die entsprechende Datenbank der Schufa soll den Namen "E-Pool" tragen und verspricht den Recherchen von NDR und "Süddeutscher Zeitung" zufolge in einem Werbeflyer "wertvolle Hinweise" durch Informationen zum bestehenden Vertragskonto und der bisherigen Laufzeit.
Anbieter wie Eprimo, ein Tochterunternehmen des Stromriesen Innogy, lassen sich dazu in ihren Geschäftsbedingungen bereits eine weitreichende Vollmacht einräumen, um so "an die Schufa Holding AG als Betreiber des Schufa-E-Pools Daten über die Beantragung, die Aufnahme und Beendigung des Energieversorgungsvertrages zu übermitteln". Laut Thilo Weichert, Datenschutzexperte und früherer Landesdatenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein, könnte dies dazu führen, dass Verbraucher ihren Anbieter nicht mehr frei wählen können und somit "zum Freiwild der gesamten Branche" würden, wie er gegenüber dem NDR warnte.
Aufwachen und Recht auf freie Anbieterwahl verteidigen
Da es rund 1200 Stromanbieter in Deutschland gibt - mehr als in jedem anderen europäischen Land - können sich Verbraucher leicht zur Wehr setzen. Durch eine Wechselentscheidung gegen Anbieter, die Verbraucher zu gläsernen Kunden machen wollen, können Verbraucher ein klares Zeichen setzen. Zu diesen Anbietern gehören anscheinend auch einige der Stromriesen hierzulande: Sowohl Eon als auch Vattenfall sollen bereits eingeräumt haben, mit der Schufa sowie Crifbürgel zu entsprechenden Datenbanken im Austausch zu sein.
Dabei waren es die Stromanbieter selbst, die das regelmäßige Tarif-Wechseln zur klügsten Option für Verbraucher gemacht haben. Stromanbieter buhlen seit der Liberalisierung des Strommarktes vor 20 Jahren um die Gunst neuer Kunden, indem sie wechselwilligen Verbrauchern attraktive Angebote unterbreiten. Häufig beinhalten diese Angebote im ersten Vertragsjahr einen Neukunden-Bonus. Diese Bonusangebote basieren jedoch auf einer Wette der Anbieter: dass nur ein kleiner Teil der neu gewonnenen Kunden den Tarif weiter im Blick behält. Durch den Wegfall des Bonus im zweiten Vertragsjahr wird der Tarif entsprechend teurer. In der Folge zahlt man als treuer Kunde mehr als ein neuer. Wer hingegen jährlich wechselt, spart damit bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 5000 Kilowattstunden laut Check24 aktuell 298 Euro - und schlägt damit den Anbieter mit seinen eigenen Waffen.
Bund will Datenbanken auf Diskriminierung überprüfen
Ob die geplanten Datenbanken bald den Traum der Anbieter vom gläsernen Kunden und dem Herauspicken der "Schläfer" wahr machen, ist noch nicht entschieden. Die Datenschutzbehörden der Länder und des Bundes wollen sich Anfang November dazu abstimmen und prüfen, ob eine derartige Diskriminierung von Kunden rechtlich möglich ist.
Dabei sind wache Verbraucher in einer stärkeren Position, als den meisten Menschen bewusst ist, denn die Ablehnung eines Anbieterwechsels hat keine relevanten Auswirkungen: Verbraucher können einfach einen anderen aus häufig bis zu 500 Alternativtarifen wählen - und das Problem ist gelöst. Vielmehr geht es für Verbraucher bei den Wechsler-Datenbanken um Folgendes: sich das Recht der freien Anbieterwahl nicht wegnehmen zu lassen.
Selbst optimieren oder per Autopilot
Verbrauchern stehen zwei Handlungsoptionen zur Verfügung, um nicht länger als Schläfer bezeichnet zu werden. Die erste Option: Das sprichwörtliche Kreuz im Kalender - um dann Jahr für Jahr vor Ablauf der Kündigungsfrist über eines der klassischen Vergleichsportale erneut einen günstigen Tarif mit Bonus auszuwählen. Mit überschaubarem Aufwand spart man so jedes Jahr Hunderte Euro.
Die zweite Option: die jährliche Tarifoptimierung an einen sogenannten Tarifaufpasser übergeben. Anders als die klassischen Vergleichsportale sorgen diese Wechselhelfer nicht nur für die einmalige Tarifoptimierung, sondern behalten den gesamten Markt kontinuierlich im Blick und stellen sicher, dass Kunden auch in den Folgejahren nicht zu viel berechnet wird. Sobald sich ein günstigeres Angebot findet, wird man vom Tarifaufpasser informiert und eine Woche später automatisch in den besten Tarif gewechselt. Stiftung Warentest hat das Segment dieser Tarifaufpasser einem Langzeittest unterzogen und die vier Dienstleister Esave, SwitchUp.de, Wechselpilot und Wechselstrom als "sehr empfehlenswert" bewertet. Während man bei der Mehrheit der Tarifaufpasser einen Anteil der Ersparnis als Gebühr bezahlt, findet sich unter den empfehlenswerten Wechselhelfern mit dem Marktführer SwitchUp.de auch ein kostenfreier Service.
Stiftung Warentest empfiehlt diese Lösung vor allem dann, wenn man die günstigen Bonustarife nutzen, sich jedoch nicht jedes Jahr selbst darum kümmern möchte: "Dank der Tarifaufpasser können auch Bequeme solche Tarife nutzen, denn wenn es im zweiten Jahr teurer wird, sind sie bereits im neuen Vertrag."
Egal, ob man selbst wechselt oder mithilfe eines Tarifaufpassers: Es wird Zeit, dass Anbieter beginnen, ihre treuen Kunden fair zu behandeln. Bis dahin bleibt diesen nur ein Weg, um nicht länger den Kürzeren zu ziehen. Wechseln!
Quelle: ntv.de, awi