
Max Verstappen musste sich nach dem Rennen erst einmal hinsetzen.
(Foto: AP)
Der Große Preis von Katar bringt die Formel-1-Fahrer an die Grenze ihrer körperlichen Belastbarkeit. Zahlreiche Piloten berichten von großen Problemen aufgrund der Hitze und Luftfeuchtigkeit. Es geht um Erbrechen, getrübte Sicht und Bewusstlosigkeit - und die Frage, wann es zu gefährlich wird.
Der "Cool Down Room" ist einer der besonderen Orte der Formel 1. Hier treffen sich nach dem Rennen und vor der Siegerehrung die Top Drei, im Hintergrund laufen die Highlights, die markanten Kappen mit den Aufschriften "1st", "2nd" und "3rd" liegen bereit. Manchmal entstehen hitzige Begegnungen und Diskussionen, wenn es zuvor auf der Strecke im Kampf um die besten Plätze eng geworden ist. Nach dem Großen Preis von Katar allerdings suchten Max Verstappen, Oscar Piastri und Lando Norris hauptsächlich das, was der Name des Raums verspricht: Abkühlung. Denn das Trio war nach 57 Runden bei deutlich über 30 Grad Lufttemperatur und rund 80 Prozent Luftfeuchtigkeit körperlich völlig am Ende.
"Hat jemand einen Rollstuhl?", fragte Red-Bull-Mann Verstappen in einer Mischung aus Scherz und Ernsthaftigkeit, als er zu den beiden McLaren-Piloten stieß. Norris hatte sich mit einer Wasserflasche in der Hand in einen Stuhl fallen lassen, Piastri lag erschöpft auf dem Boden. Der Weltmeister und Rennsieger setzte sich stöhnend in die Ecke, um seinen Hals hing ein Handtuch. Der Grand Prix in der Wüste hatte den Fahrern alles abverlangt, sie offensichtlich sogar überfordert. "Es ist nicht gut, wenn die Leute ins Medical Center müssen oder bewusstlos werden", sagte Norris. Und meinte mit "Leute" sich und die anderen 18 Piloten, die die Renndistanz von 308 Kilometern in Angriff genommen hatten. Carlos Sainz musste wegen eines Defekts an seinem Ferrari kurzfristig aussetzen.
Er ersparte sich die Tortur, die die eigentlich austrainierten Fahrer über ihre körperlichen Grenzen trieb. Logan Sargeant musste seinen Williams vorzeitig abstellen, weil er komplett dehydriert war. Teamkollege Alex Albon begab sich ins Medical Center, nachdem er fast zwei Minuten benötigt hatte, um aus seinem Cockpit auszusteigen. Eigentlich muss das innerhalb von rund 10 Sekunden gelingen, um sich bei Unfällen schnell in Sicherheit bringen zu können. Lance Stroll (Aston Martin) sagte "The Athletic" zufolge, er habe während der letzten 20 Runden Probleme bekommen: "Es ist absurd. Du verlierst in den Hochgeschwindigkeitskurven quasi das Bewusstsein im Auto." Eine Videosequenz in den sozialen Medien scheint das zu belegen.
Leclerc berichtet von "viel schlechterer Sicht"
Esteban Ocon berichtete, sich nach ungefähr 15 Runden im Auto übergeben zu haben. "Da habe ich gedacht: 'Scheiße, das wird ein langes Rennen.'", sagte der Alpine-Pilot, ohne ins Detail zu gehen, wie er trotzdem weiterfahren und als Siebter das Ziel erreichen konnte: "Aber dann habe ich mich daran erinnert, dass der Kopf der stärkste Körperteil ist. So habe ich es geschafft, das unter Kontrolle zu bekommen und das Rennen zu beenden." Eine solche Belastung aber habe er noch nie erlebt: Eigentlich schaffe er "zwei Renndistanzen, sogar in Singapur", was gemeinhin als körperlich härtestes Rennen der Saison gesehen wird. Doch Katar sei "die Hölle" gewesen.
Ferraris Charles Leclerc schilderte indes seine Eindrücke aus der Weltverbands-Garage, in der die Fahrer nach der Zieldurchfahrt gewogen werden. "Wir können uns dort immer anschauen", sagte der Monegasse, "und dieses Mal war zu spüren, dass etwas anders war als sonst." Manchen Piloten "ging es richtig schlecht. Das ist etwas, worüber wir sprechen müssen." Denn "es geht nicht um körperliche Vorbereitung, es geht einfach um Dehydrierung." Die sie so dramatisch, "dass deine Sicht viel schlechter wird, dass deine Herzfrequenz ins Absurde steigt, dass es extrem schwierig ist, die Kontrolle zu behalten."
George Russell fand es schlicht "unfassbar, wie heiß es war". Der Mercedes-Star trainiere zwar "manchmal in der Sauna, aber wenn es zu viel wird, willst du raus. Dieses Gefühl hatte ich heute ab der 12. Runde. Ich dachte, ich werde ohnmächtig. Ich war froh, als ich die karierte Flagge gesehen habe." Valtteri Bottas empfand die Temperaturen im Cockpit seines Alfa Romeo als "Folter" und attestierte: "Ein bisschen heißer und es wäre nicht mehr sicher." In der Übertragung war zu sehen, wie diverse Fahrer die Visiere ihrer Helme öffneten, um irgendwie an Frischluft zu kommen und dafür sogar die Hände vom Lenkrad nahmen, um den Luftstrom entsprechend zu lenken.
Hülkenberg bricht Interviews ab
Piastri, am Samstag Sprintsieger und am Sonntag Grand-Prix-Zweiter, sprach schlicht vom "härtesten Rennen meines Lebens". McLaren-Kollege Norris konstatierte, die Formel 1 habe "das Limit gefunden" und empfand es als "traurig, dass wir es auf diesem Weg gefunden haben". Viel mehr seien die Umstände "ziemlich gefährlich". Ähnlich äußerte sich Russell: "Wenn mehr als die Hälfte des Grid sagt, dass sie sich schlecht fühlen, kaum fahren können oder kurz vor der Bewusstlosigkeit stehen", müsse sich etwas ändern: "Du willst nicht das Bewusstsein verlieren, wenn du gerade mit 320 Kilometer pro Stunde unterwegs bist." Auch er habe kurz vor der Aufgabe gestanden, weil sein Körper der Überlastung nahe war.
Selbst Verstappen, der sich am Samstag zum dritten Mal in Folge zum Weltmeister gekrönt hatte und am Sonntag ungefährdet seinen 14. Sieg dieser Saison eingefahren hatte, fand es "einfach zu warm." Viele hätten "Probleme gehabt, obwohl sie extrem fit sind, sogar fitter als ich." Am Renntag waren in Lusail über 40 Grad gemessen worden. "Tagsüber ist es, als würdest du in einer Sauna herumlaufen und abends geht dann die Luftfeuchtigkeit hoch", so der Niederländer.
Entsprechend groß war das Bedürfnis nach Abkühlung weit über die Top Drei hinaus. Nico Hülkenberg (Haas) beendete laut "The Athletic" seine Interviews nach zwei Fragen, weil er auch er zu überhitzen drohte. Liam Lawson (Alpha Tauri) hatte sich der oberen Hälfte seines Rennoveralls entledigt und eine Kühlweste angelegt. George Russell trat indes im Pullover vor die Mikrofone, weil er offenbar etwas zu lange im Eisbad verbracht hatte.
In den sozialen Medien äußerten sich zahlreiche Menschen besorgt, dass den Fahrern zu viel abverlangt worden sei. Immerhin: Im Kalender 2024 ist das Rennwochenende in Katar für Dezember angesetzt - wie schon die Fußball-WM 2022, die wegen der unerträglichen Hitze in die Wintermonate verlegt worden war. Eine Diskussion über den Umgang mit vergleichbaren Verhältnissen wird die Formel 1 aber wohl dennoch führen müssen.
Quelle: ntv.de