Redelings Nachspielzeit

Sepp Maier feiert 80. Geburtstag Die verrückte "Katze von Anzing" mit den zwei Leben

Hätte er auch Komiker werden können?

Hätte er auch Komiker werden können?

Er ist der Entertainer des deutschen Fußballs. Doch einmal ist Sepp Maier der Spaß vergangen. Am 14. Juli 1979 wurde der Weltmeister von 1974 bei einem Autounfall lebensgefährlich verletzt. Er überlebte auch dank der Hilfe seines Freundes Uli Hoeneß. Nun feiert die Torwart-Legende ihren 80. Geburtstag.

"Ich denke gern an meine Zeit als Fußballer zurück. Damals - das ist immer das Paradies." Sepp Maier wusste schon immer, dass sein Leben als Fußballstar ein gutes gewesen ist. Trotzdem ist ihm auch schon früh klar gewesen, dass es ein Leben nach der Zeit zwischen den beiden Pfosten geben würde: "Der Sepp Maier kommt wieder. Womit? Weiß ich noch nicht. Aber irgendwas wird mir schon einfallen."

ANZEIGE
Das neue Buch der Fußballsprüche
71
22,00 €
Zum Angebot bei amazon.de

Und so ist es dann ja auch gekommen. Als Torwarttrainer beim FC Bayern München und bei der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft sorgte Sepp Maier nicht nur für gut ausgebildete Torhüter, sondern auch immer wieder für humorige Momente. Und für noch etwas war Sepp Maier damals bekannt: Seine Filmkamera hatte der ehemalige Bundesliga-Keeper stets im Anschlag. Die Aufnahmen, die Maier bei der Weltmeisterschaft 1990 machte, sind mittlerweile ein echtes Zeitdokument.

Doch beinahe hätte es dieses Video nie gegeben. Nur für einen Moment hatte Sepp Maier damals nicht aufgepasst - und schon war die Tasche mit der Videokamera und sämtlichen Kassetten aus dem fahrenden Auto gestohlen. Es war der Tag nach dem WM-Gewinn der deutschen Nationalmannschaft in Italien 1990. Die Fußball-Helden ließen sich gerade in Cabrios durch das feiernde Frankfurt kutschieren, als es passierte. Sepp Maier hat diesen verflixten Moment verflucht - bis es ihm nach quälenden Minuten, Stunden und Tagen endlich gelang, den wertvollen Inhalt der Tasche wiederzuerhalten. In einem zwielichtigen Lokal nahe des Frankfurter Bahnhofs bekam Maier gegen eine Zahlung von 1000 Mark die Kassetten zurück. Was für eine irre Geschichte! Aber typisch für den Mann, der vor 80 Jahren in Metten im niederbayerischen Landkreis Deggendorf geboren wurde.

"Und dann hab ich geträumt"...

442 Bundesliga-Partien stand der Torwart des FC Bayern München damals zu Zeiten seiner aktiven Karriere ununterbrochen im Kasten des späteren Rekordmeisters. Das sind 13 komplette Spielzeiten am Stück für ein und denselben Verein. Eine unglaubliche sportliche Glanzleistung. Und doch erinnern sich die meisten Fußballfans vor allem an eins beim Namen Sepp Maier: an den spaßigen Entertainer und das Karl-Valentin-Double auf dem grünen Rasen. Unzählige Geschichten und Anekdoten ranken sich um den Weltmeister von 1974. So soll der damalige Nationalkeeper Maier bei Empfängen nach Länderspielen gerne einmal die Schuhbänder der Gäste unter dem Tisch zusammengebunden haben. Und zwar so, dass die feinen Damen und Herren beim Aufstehen ihr blaues Wunder erlebten.

Zum Autor

Seine Streiche waren auch bei den Kollegen legendär wie gefürchtet. Doch den größten Schrecken verbreitete Maier einmal völlig unschuldig im Schlaf ("Ein Torwart muss Ruhe ausstrahlen, er muss nur aufpassen, dass er dabei nicht einschläft"). Es war die Nacht vor dem Triumph im Europacup 1967. Trainer Tschik Cajkovski hatte die Mannschaft vor dem Zu-Bett-gehen noch einmal richtig heiß gemacht. Beim Einschlafen überlegte der Bayern-Torhüter angestrengt, was in der morgigen Partie gegen die Glasgow Rangers alles passieren könnte.

Maier: "Und dann hab ich geträumt: eine Flanke fliegt in meinen 16er, ich spring hoch, die Schotten fliegen nur so rechts und links von mir weg, und ich pack' mir den Ball." Sepp Maier erinnert sich genau. Er zeigt, wie er seine Hände in der Nacht gehalten hat. Genauso wie auf dem Rasen, wenn die Kugel zwischen seinen Handschuhen klebte. Sein Traum ging noch weiter: "Ich hab den Ball fest, die Fans jubeln, und ich zeig ihnen den Ball, halt ihn hoch: 'Schaut her - ich hab ihn' ... da schreit einer: 'Sepp, Sepp - willst mich umbringen'. Ich wach auf: Da hab ich den Kopf vom Hans Rigotti in den Händen. Ich hätt' ihn fast erwürgt."

Iglus, Osterglocken und ein Radio

Sepp Maier hat in einem Vorwort zu einem seiner Bücher einst geschrieben: "Die größten Lieblinge beim Publikum sind meistens die Torschützen. Die werden dann, wenn sie dem Torhüter mal wieder ein Ei in den Kasten gelegt haben, so richtig abgebusselt. Und wer küsst mich? Doch ehrlich gesagt, bin ich ganz froh, dass das beim Keeper anders ist. Möchten Sie etwa von einem nass geschwitzten und matschverschmierten Spieler umarmt werden? Ich nicht! Ich bin doch kein Tor."

Doch gerade die Gemeinschaft war genau Maiers Sache. Sein Mannschaftskamerad Paul Breitner hat einmal gesagt: "Der Sepp war der Einzige, der sich auch um die Kleinen kümmerte, um die ganz unten, die Nobodys, um uns junge Spieler. Wenn der Seppl uns damals mit seinen Witzen nicht immer aufgeheitert hätte, wäre die ganze Gesellschaft nicht mehr zu ertragen gewesen." Und so lustig er war, so kollegial ging er auch mit seinen Teamgenossen um. Bei der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko sagte er zu seinem Konkurrenten Horst Wolter aus Braunschweig: "Wir können Freunde sein, wenn du darauf verzichtest, aufgestellt zu werden." Der Eintracht-Keeper war einverstanden: "Wir wohnten ja in einem Zimmer, und ich wollte meine Ruhe haben."

Maier war sicherlich einer der verrücktesten Spieler, die die Bundesliga je gesehen hat. Im Winter baute er auf dem Platz Iglus, und im Frühling pflanzte er in seinem Kasten Osterglocken an, versehen mit einem kleinen Hinweisschild: "Bitte nicht knicken!" Sein liebstes Hobby war das Zaubern, und so hatte Sepp Maier in seinem Autokofferraum immer seine kompletten Magier-Utensilien griffbereit liegen.

Sepp Maier war eben ein Spaßvogel, wie sich auch in dieser Geschichte zeigt: Am 12. Dezember 1970 spielten die Bayern bei Hessen Kassel und logierten im vornehmen "Hotel Reiss". Die attraktive Empfangsdame nahm einen Anruf entgegen: "Nein, haben wir leider nicht … was?" Erregt legte sie den Hörer auf die Gabel. Dann rief sie den Portier und die Boys zu sich: "Wisst ihr, was eben los war?", fragte sie immer noch empört. Portier und Boys traten näher. Die Dame entrüstete sich: "Da rief doch der Sepp Maier an und beschwerte sich, dass er kein Radio habe. Wir seien doch schließlich ein erstes Hotel, sagte er. 'Schicken Sie mir ein Radio rauf', verlangte er. Und als ich ihm sagte, wir hätten kein Radio da …" Die Empfangsdame, Sekunden vorher noch ärgerlich, muss plötzlich laut lachen. "Da sagte Sepp Maier: 'Dann schicken Sie mir halt jemanden rauf, der mir was vorsingt!'"

"Sie mussten gleich die Feuerwehr holen"

Vermutlich hat das sonnige Naturell des Sepp Maier etwas mit seiner glücklichen Kindheit zu tun. Als der kleine Maier mit einigen Kameraden Hölzer bei einem nahegelegenen Sägewerk entwendete, um ein Tor zu bauen, erwischte ihn sein Vater. Doch richtig böse konnte er auf die Jungs nicht sein. Er hob ihnen auf den letzten Metern sogar die Bretter über den Gartenzaun. Weil dies jedoch ein Nachbar sah und ihn bei der Polizei anzeigte, verlor der Vater seinen Job.

In einer anderen Geschichte aus seiner Kindheit wurde der Schuldige nie gefunden: "Der größte Blödsinn, den ich gemacht habe: Ich habe als Sechsjähriger einen ganzen LKW mit Glühbirnen umgekippt, genau vor dem Elektrogeschäft in Haar, wo mein Vater arbeitete. Sie mussten gleich die Feuerwehr holen. Passiert ist das so: Der LKW stand am Gartenzaun, und da sah ich unter der Ladefläche so einen komischen Hebel hervorschaun. Ich also nichts wie hin und runtergedrückt. Plötzlich hob sich die Ladefläche und die ganzen Glühbirnen flogen in den Garten. Ich bin sofort abgehauen. Am Abend kam mein Vater heim und erzählte der Familie von dem Vorfall. 'Irgend so ein Saubub soll's gewesen sein!', schimpfte mein Vater wie ein Rohrspatz. Er hat nie erfahren, dass ich der Lausbub war. Bis heute weiß es noch keiner. Ich kann mich nur daran erinnern, dass ich in der Schule immer eine Heidenangst hatte, wenn es an der Klassentür geklopft hat. Ich dachte monatelang: Siehst, jetzt kommt die Polizei und verhaftet dich."

Doch die frühen, häufig mit Schrecken verbundenen Kindheitserinnerungen hielten Maier später nie davon ab, weiter seinen Schabernack zu treiben. So veräppelte er im Frühjahr 1976 einmal einen Journalisten vor einem Europapokalspiel bei Real Madrid. Weil der Nationaltorhüter seine Sonnenbrille vergessen hatte, kaufte er sich auf dem Flugplatz eine neue, setzte diese auf und auch während des Flugs nicht mehr ab. In Madrid fragte ihn ein Reporter ganz aufgeregt, seit wann er denn schon eine Brille trage, er habe bisher noch gar nichts davon mitbekommen. Der Spaßvogel Maier witterte seine Chance und band dem Journalisten ein erstklassiges Lügenmärchen auf die Nase: "Ja, weißt du das noch gar nicht? Die Brille hat mir ein Doktor verschrieben. Vor ein paar Tagen war ich beim Augenarzt. Er hat festgestellt, dass ich eine Brille tragen muss."

Der "blinde" Bayern-Torwart

Aber mit einer Brille könne er doch nicht spielen, entgegnete der Reporter atemlos. Nein, nein, beruhigte ihn Sepp Maier, natürlich würde er Haftschalen benutzen. Die kämen aber leider erst am Donnerstag. Der Journalist lief kreidebleich an. Donnerstag? Das Spiel sei doch bereits am Mittwoch, merkte er an und sah dem Bayern-Keeper tief in die Augen. Maier versuchte ihn zu beruhigen: "Das wird schon gehen. Hoffentlich haben die Spanier ein helles Flutlicht. Im Training werden wir schon mal ausprobieren, ob es ohne Brille klappt."

Sofort rief der Reporter in der Heimatredaktion an und übermittelte diese sensationelle Exklusivgeschichte an seine Zeitung. Im Hintergrund standen Maier und seine Mannschaftskameraden und grinsten. Einen Tag später schlugen die Spieler einige Stunden vor der Partie schließlich das Münchner Boulevardblatt auf und lasen mit vor Lachen nassen Augen: "Blinder Torwart im Bayern-Tor. Sepp Maiers Haftschalen werden erst am Donnerstag fertig." Das Halbfinalspiel im Europapokal der Landesmeister ging übrigens 1:1 aus. Das Rückspiel gewannen die Bayern mit 2:0 und holten anschließend durch einen Finalsieg gegen St. Etienne den Cup nach München.

Bei so viel Talent fürs Humorige abseits des grünen Rasens lag natürlich eine Frage nahe, die sich Sepp Maier auch selber stellte: "Könnte es ein aussichtsreicher Berufswunsch sein, Komiker zu werden? Ja, ich glaube, das würde mir ganz gut liegen. Ähnliches müssen die Filmleute gedacht haben, die mir Filmangebote machten. Was wird meine Agi sagen, wenn sie mich einmal als Filmschauspieler auf der Leinwand bewundern kann? Nur wenn sie mir meine Leibspeise, Schweinsbraten mit Knödeln und Salat kocht, wird sie zur Belohnung vom Filmschauspieler Sepp Maier ein Autogramm bekommen." Der Film hieß schlussendlich "Wenn Ludwig ins Manöver zieht" und wurde am 19. Dezember 1967 uraufgeführt. Hinterher gab sich Sepp Maier selbstkritisch: "Im Tor bin ich ein besserer Schauspieler."

Mehr zum Thema

100 Jahre alt möchte er werden - hat Sepp Maier die Tage gesagt. Doch dass er diesen Wunsch überhaupt noch äußern kann, hat er insbesondere seinem Freund Uli Hoeneß zu verdanken. Denn am 14. Juli 1979 überlebte Maier einen Autounfall nur knapp. Sein Leben hing damals in den ersten Stunden nach dem Unfall am seidenen Faden. Die Ärzte gingen zuerst nur von einigen Rippen- und Knochenbrüchen aus - doch als Uli Hoeneß am nächsten Mittag mit einem befreundeten Professor beim Bayern-Keeper am Krankenbett stand, merkten sie schnell, dass das noch nicht alles sein konnte. Ohne zu zögern, organisierten sie, dass Sepp Maier in ein anderes Krankenhaus verlegt wurde. Und dort stellte man fest, dass ein Riss im Zwerchfell dafür gesorgt hatte, dass die Leber sich in den Lungenflügel geschoben hatte. Dabei hatten sich bereits über zwei Liter Blut in der Bauchhöhle gesammelt. Die Lage war für den Torhüter lebensbedrohlich. Eine große, mehrstündige Operation wurde noch für die Nacht anberaumt. Erst Wochen später durfte Sepp Maier das Krankenhaus schließlich wieder verlassen.

Der "Bild am Sonntag" sagte Sepp Maier vor wenigen Tagen frohgemut: "Ich habe noch keine Ersatzteile in mir, keine Brille und kein Hörrohr. Ich bin weiter geschmeidig. Nicht umsonst nannte man mich die 'Katze von Anzing'." An diesem Mittwoch nun feiert der Weltmeister von 1974 seinen 80. Geburtstag. Alles Gute und Glück auf, lieber Sepp Maier!

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen