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Klima-Forscher im Interview "Ab einem gewissen Punkt ist der Eisverlust unaufhaltsam"

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Durch die Erderwärmung schmelzen gigantische Mengen Eis an den Polen der Erde.

Durch die Erderwärmung schmelzen gigantische Mengen Eis an den Polen der Erde.

(Foto: picture alliance/dpa/Eyos Expeditions)

Schon eine kleine Veränderung im Klimasystem kann reichen, um einen Dominoeffekt auszulösen, der sich nicht mehr eindämmen lässt. Wenn nun die Polarkappen schmelzen und der Meeresspiegel drastisch ansteigt, führt das zur globalen Katastrophe, warnt Klima-Forscher Stefan Rahmstorf im Interview mit ntv. Gleichzeitig betont er: Es ist noch nicht zu spät.

ntv: Was passiert, wenn Kipppunkte überschritten werden?

Stefan Rahmstorf: Die Kipppunkte sind in erster Linie Bedrohungen für uns. Wenn sie überschritten werden, ändert sich etwas fundamental an dem betreffenden System.

Welche Kipppunkte haben wir und welche Bedrohungen gibt es?

Professor Stefan Rahmstorf ist Experte am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Professor Stefan Rahmstorf ist Experte am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

(Foto: picture alliance / dpa)

Es gibt bis zu 20 Kipppunkte je nach Zählweise. Was die Eismassen angeht, sind die Kipppunkte für Grönland und die Antarktis die Punkte, an denen das Abschmelzen unaufhaltbar wird, auch wenn wir das System nicht weiter pushen durch Treibhausgas-Freisetzung. Dann wird durch selbstverstärkende Rückkopplungsmechanismen ein Teufelskreis in Gang gesetzt, den wir nicht mehr stoppen können.

Was bedeutet das für das Eis? Wir sind immerhin schon bei einer Erderwärmung von 1,2 Grad ...

Ab einem gewissen Eisverlust ist der weitere Verlust unaufhaltsam. Bei Grönland könnte es sogar schon so weit sein. Das Eis dort ist 3000 Meter dick. Wenn es abschmilzt, kommt die Oberfläche in immer wärmere Luftschichten. Die Atmosphäre ist schließlich unten wärmer als oben. Ab einem gewissen Punkt geht das Eis dann komplett verloren. Sollte der gesamte Grönländische Eisschild abschmelzen, würde das den Meeresspiegel um sieben Meter anheben. In der Westantarktis ist der Kipppunkt möglicherweise ebenfalls schon überschritten. Da ist der Mechanismus aber ein anderer, denn die Antarktis liegt auf dem sehr kalten Südpol. Dort geht es nicht um das Schmelzen des Eises, sondern ums Abrutschen der Eismassen ins Meer. In der Westantarktis würde das bedeuten, dass der Meeresspiegel um drei Meter ansteigt.

Könnte man versuchen, Teile dieses Wasser wieder einzufrieren?

Realistischerweise nicht. Es gab mal einen Vorschlag, Wasser auf die Antarktis zu pumpen und damit künstlichen Schnee zu erzeugen, aber die Mengen, die man bräuchte, sind einfach zu groß. Es handelt sich um gigantische Mengen, die durch die globale Erwärmung abschmelzen.

Wie hängen diese Kipp-Elemente miteinander zusammen?

Es gibt in der Tat Wechselwirkungen. Zum Beispiel kann die Schmelze des Grönlandeises einen Kipppunkt der atlantischen Ozeanzirkulation triggern. Das wäre das Szenario aus dem Hollywoodfilm "The Day After Tomorrow". Die Nordatlantik-Zirkulation bricht zusammen und es wird weniger Wärme in den nördlichen Atlantik transportiert, dadurch kommt es regional zu großen Abkühlungen.

Wie wäre in diesem Szenario der zeitliche Rahmen? Wacht man morgens auf und das ganze Eis ist verschwunden?

Das hängt vom System ab. Eismassen reagieren sehr langsam. Das Kippen bedeutet nicht, dass die Eisschmelze sich dramatisch beschleunigt, deshalb wissen wir auch nicht, ob der Zeitpunkt jetzt schon überschritten ist. Es könnte sein, dass der Meeresspiegel über viele Jahrhunderte weiter steigen wird, auch wenn wir keine Emissionen mehr verursachen. Bei anderen Kipppunkten kann es hingegen sehr viel schneller gehen. Beim Versiegen der Meeresströmungen handelt es sich um einige Jahrzehnte. Beim Korallensterben gibt es eine Belastungsgrenze, wie viel Erwärmung sie aushalten - wir sprechen hier von einigen Wochen. Große Teile des Great Barrier Reefs sind bereits abgestorben. Auch in Deutschland haben wir Ökosysteme wie beispielsweise unsere Wälder, die eine Belastungsgrenze haben. Es gibt also auch Kipppunkte auf kleinerer, lokaler Skala. Die Kipppunkte für die kontinentalen Eismassen betreffen unsere Küstengebiete, weil es den Meeresspiegel nach oben treiben wird.

Was muss getan werden, um das System bewahren zu können?

Selbst wenn wir zwei oder drei Kipppunkte überschritten haben, können wir immer noch das Erreichen weiterer Punkte verhindern - zum Beispiel den Verlust des Amazonas-Regenwaldes. Dazu müssen wir schnellstmöglich die Erwärmung stoppen, die Emissionen bis 2030 halbieren und danach ganz herunterfahren. So beschreibt es der Bericht des Weltklimarats.

Was kann Deutschland leisten?

Jedes Land muss seinen Beitrag leisten. Wir könnten Dinge tun, die gar nichts kosten, wie ein allgemeines Tempolimit. Das würde sofort Einsparungen bringen. Jede Maßnahme hilft, denn die Emissionen sammeln sich in der Atmosphäre an und bleiben dort über Zehntausende Jahre. Die erneuerbaren Energien wurden nun endlich mit der Ampel-Koalition ausgebaut. Viele andere Länder schauen nach Deutschland, ob wir hier die Energiewende hinbekommen als großer Industriestaat. Läuft sie bei uns gut, wird sie viele Nachahmer finden.

Muss die Wissenschaft die Dringlichkeit anders oder besser kommunizieren?

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Der Wissenschaft kann man keinen Vorwurf machen. Seit 1990 gibt es die Berichte des Weltklimarats IPCC. Die Prognosen waren korrekt. Man trifft einfach auf Interessengruppen, große Energiefirmen, die massiv Desinformation betreiben und den Menschen den Eindruck vermitteln, das sei alles nicht gesichert und umstritten.

Was macht Ihnen noch Hoffnung?

Wir wissen, dass es auch gesellschaftliche Kipppunkte gibt. Es baut sich oft eine Grundstimmung auf, bis es dann zu einem Kipppunkt kommt, wo sie sich Bahn bricht. Und ich glaube, wir sind kurz vor dem Kipppunkt, wo Klimaschutz endlich ernst genommen wird und die Weltgemeinschaft die Emissionen sehr schnell senken kann. Denn die Technologien dafür haben wir.

Mit Stefan Rahmstorf sprach Clara Pfeffer

Quelle: ntv.de

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