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Konstitution ist unterschiedlich Ärzte finden pauschale Siesta nicht sinnvoll

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Die Debatte um eine hitzebedingte Pause in deutschen Unternehmen ist angesichts hoher Temperaturen im vollen Gange. Was viele Arbeitnehmer möglicherweise begrüßen, finden Ärzte nicht bedingungslos sinnvoll. Statt Siestas seien andere Dinge entscheidend.

Angesichts immer größerer Hitze im Sommer ist der Vorschlag zur Einführung einer Siesta in deutschen Unternehmen auf viel Zustimmung gestoßen. Aber ist das Konzept überhaupt sinnvoll für Arbeitnehmer hierzulande? Oder spielen andere Faktoren eine Rolle?

Im Interview mit ntv sagt der Arzt und Medizinjournalist Dr. Christoph Specht auf die Frage nach Siestas in Deutschland, dass diese selbstverständlich eine gute Idee seien. Das sage bereits der gesunde Menschenverstand. Daher ist er ob der aktuellen Appelle von staatlichen Stellen auch ein wenig irritiert und meint: "Die Leute brauchen uns nicht, um ihnen das zu erklären". Er erläutert jedoch, dass die Konstitution von Menschen unterschiedlich sei und sich nicht alle über einen Kamm scheren ließen. Vor allem an Alte und Kranke müsse man denken, so Specht.

Beim Schutz von Menschen spielten vor allem Maßnahmen an Gebäuden eine Rolle. "Da sind wir nicht gut aufgestellt", so Specht. In Spanien und Italien, wo die aktuellen Temperaturen gang und gäbe sind, besäßen die Gebäude die Voraussetzungen, etwa ausreichenden Sonnenschutz. In Deutschland sei der selten geworden, so der Mediziner. Ein wenig anders schätzt das Anette Wahl-Wachendorf, Ärztin für Arbeitsmedizin, im Interview mit "tagesschau.de" ein. Ihrer Ansicht nach würden Abschattungsmaßnahmen und Kühlung in Deutschland immer besser umgesetzt.

Aber sie rät dennoch dazu, Arbeit in die frühen Morgenstunden zu verlagern. Das sei beispielsweise in der Landwirtschaft wichtig. "Prozesse und Aufgaben sollten so gut es geht verlagert werden", erklärt sie. Aber auch in der Bauwirtschaft und bei Post- und Paketdiensten müsste auf besonderen Schutz geachtet werden. Ähnlich wie Specht hält sie eine flächendeckende Begrenzung von Arbeit bei hohen Temperaturen aber nicht für realistisch. "Ich habe selbst zwei Jahre im Schichtdienst gearbeitet - mit drei Stunden Pause, bevor es dann weiterging. Das hat mir nicht gutgetan", sagt sie. Wichtiger sei es, Menschen an besonders betroffenen Arbeitsplätzen zu schützen, und dass Menschen mit Vorerkrankungen von Betriebsärzten beraten und ihre Arbeitsplätze gegebenenfalls angepasst werden.

"Der fitte Körper kann damit natürlich besser umgehen"

Specht erläutert zudem, dass die persönliche Fitness eine entscheidende Rolle für den Umgang mit hohen Temperaturen spiele. Auf die Frage, ob Menschen eher an ihrer Grundfitness arbeiten sollten, wenn es noch nicht so warm ist, antwortet er: "Genau das". Und die sei eine Frage des ganzen Jahres. Es bringe nichts, sich im Herbst oder Winter zu überlegen, ob man nicht mit Wechselduschen das Immunsystem stärken kann. Das gelte auch in Bezug auf die große Hitze im Sommer. "Der fitte Körper kann damit natürlich besser umgehen", so Specht. Zudem sei das ausreichende Trinken wesentlich. Jemand, der auf dem Bau arbeite und viel schwitze, könne schon mal bis zu zehn Liter am Tag trinken. Dabei sei wichtig, so Specht, dass der Körper nicht nur Wasser, sondern Elektrolyte zugeführt bekomme.

Die Bundesregierung arbeitet derzeit an bundesweiten Hitzeschutzplänen. Hier sei laut Wahl-Wachendorf Frankreich Vorreiter. "Dennoch müssen wir das Verständnis bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern weiter schärfen, sich um die Gesundheit zu kümmern", so die Ärztin.

Arbeitgeber sehen sich gut aufgestellt

Der Arbeitgeberverband BDA erklärt, dass die Arbeitgeber bereits jetzt zum Schutz ihrer Beschäftigten bei hohen Temperaturen verpflichtet seien - "sie nehmen diese Fürsorgepflicht sehr ernst" und ergänzte, gesunde Arbeit "ist auch bei Hitze in den Betrieben gewährleistet".

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sieht das etwas anders. "Arbeit bei Hitze ist für Beschäftigte belastend und gefährdet im schlimmsten Fall ihre Gesundheit", sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). "Gefährdungsbeurteilungen sind Grundlage für passgenauen Schutz." Diese seien aber immer noch kein Standard in Betrieben.

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Zweifel an einer Siesta für Beschäftigte gibt es dagegen in der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). "Natürlich müssen wir vor allem die Beschäftigten schützen, die bei dieser Gluthitze draußen unter freiem Himmel arbeiten müssen", erklärte der Vorsitzende Robert Feiger. Das Modell, mehr in den frühen Morgen- und späten Abendstunden zu arbeiten, lasse sich aber für "Bauarbeiter*innen, Erntehelfer*innen und Reinigungskräfte nicht so einfach anwenden".

Beispielsweise würde es bei Bauarbeiten schon vor sieben Uhr morgens "Konflikte mit dem Lärmschutz" geben, führte die Gewerkschaft an. Auch sei es "auf Baustellen und auf den Feldern schwierig, eine, sagen wir mal, vierstündige Siesta mit Mittagsschlaf in einem Container zu verbringen".

Quelle: ntv.de, als/AFP

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