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Risikofaktor Extremwetter Was Hitze mit den Sterbefallzahlen macht

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Das Wetter verändert sich, die Zahl der heißen Tage steigt. Deutschland muss sich auf häufigere und heftigere Hitzewellen einstellen. In der Statistik der Sterbefälle sind die Folgen hoher Temperaturen bereits zu erkennen, wie amtliche Daten zeigen.

Schwüle Hitze, stechende Sonne, tropische Nächte zwischen Aachen und Zwickau: Deutschland erlebt seit einigen Jahren eine auffallende Häufung an längeren und heftigeren Hitzeperioden. Tageshöchstwerte über 30 Grad führen für die Bevölkerung zu extremen Belastungen.

In der amtlichen Sterbefallstatistik sind die Folgen solcher Hitzewellen regelmäßig deutlich zu erkennen: An Tagen mit sehr hohen Temperaturen zieht die Zahl der Todesfälle sprunghaft an. In den Jahren mit besonders ausgeprägten Hitzeperioden nähert sich die Menge der Verstorbenen an heißen Tagen sogar den saisonalen Spitzen des Winterhalbjahres an.

Die Hitzewellen häufen sich. Größere Ausschläge in den Temperaturkurven verzeichnete der Deutsche Wetterdienst in den Jahren vor der Coronavirus-Pandemie zum Beispiel 2015, 2018 und 2019. In jenen Jahren verzeichnete die Messdaten im Netzwerk der deutschen Wetterstationen im bundesweiten Mittel jeweils mehr als 15 Hitzetage. Von einem Hitzetag, genauer von einem "heißen Tag", sprechen Meteorologen erst, wenn die Tageshöchstwerte auf 30 Grad Celsius oder darüber steigen. Gesundheitlich problematisch wird es jedoch erst an extrem heißen Tagen mit Temperaturen über 35 Grad, wenn zusätzlich hohe Luftfeuchtigkeit herrscht oder wenn es zu besonders lang andauernden Hitzeperioden kommt.

In den jüngsten Hitzewellen lagen die Tageshöchstwerte teils bei 40 Grad und mehr. Wie wirken sich diese Phasen extremer Sommertemperaturen auf die Sterbefallstatistik aus? Die Zusammenhänge sind indirekt, aber offensichtlich. Hohe Temperaturen bewirken Hitzestress, Herz- und Kreislauf sind stärker belastet, ein erholsamer Nachtschlaf oft nicht mehr möglich. Die Aufmerksamkeit sinkt, es kommt zu mehr Unfällen. Alte und Erkrankte leiden oft besonders.

Beim Vergleich der Sterbedaten aus dem Vor-Corona-Zeitraum sticht die Häufung in den Sommermonaten sofort ins Auge: Im Juli und August der Jahre 2015, 2018 und 2019 registrierten die Statistiker ungewöhnlich starke Ausschläge nach oben. Ein Blick in die Klimadaten bestätigt: Diese Spitzen fallen mit außerordentlich hohen, teils sogar extremen Temperaturen zusammen.

"Deutschland ächzt unter der Hitze", hieß es etwa am 4. Juli 2015. Die Temperaturen stiegen vielerorts auf bis zu 35 Grad, im Südwesten erreichte das Thermometer die 40-Grad-Marke. Drei Jahre später kam es zu einer weiteren Hitzewelle: Im Sommer 2018 war es erneut außergewöhnlich heiß. Die allgemeine Sterblichkeit schnellte nach oben: In den 18 Tagen zwischen dem 23. Juli und dem 9. August 2018 starben in Deutschland laut Berechnungen im Schnitt 8000 mehr Menschen als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

Ein Jahr darauf, Ende Juli 2019, meldeten Meteorologen erneut einen historischen Hitzerekord: Im niedersächsischen Lingen kletterte das Thermometer auf 42,6 Grad im Schatten. Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen war es in Deutschland noch nie auch nur annähernd so heiß. Auch diese Hitzewelle blieb bei den Totenzahlen nicht ohne Folgen: Am 26. Juli waren es bundesweit 3293 Sterbefälle - deutlich mehr als in den Wochen davor und danach.

Die Statistik der Sterbefälle ist ein grober, nüchterner Indikator, der die Oberfläche eines sehr vielschichtigen, bundesweiten Geschehens anhand eines einzelnen Messwerts abbildet. Zu sehen ist zunächst nur die Entwicklung der Sterbefälle im Jahresverlauf: Angezeigt wird die Zahl der amtlich erfassten Todesfälle nach Datum - unabhängig von der individuellen Todesursache.

Der Zusammenhang zwischen Hitze und häufigeren Todesfällen ist allerdings gut belegt: Gefährdet sind insbesondere Menschen, die im Freien arbeiten, die unter bekannten oder unbekannten Vorerkrankungen leiden oder die allgemein gesundheitlich geschwächt sind.

"Sehr hohe Temperaturen lassen die Sterblichkeit insgesamt steigen, da in vielen Fällen die Kombination aus Hitze und Vorerkrankungen das Sterberisiko erhöht", fasst das Statistische Bundesamt zusammen. Bei der Wiesbadener Behörde werden die Angaben der Meldeämter zur Zahl der Verstorbenen regelmäßig erfasst und ausgewertet. Die Daten beruhen letztlich auf den Angaben, die auf den von ärztlicher Seite ausgestellten Todesbescheinigungen stehen.

Als Todesursache taucht "Hitze" nur höchst selten auf dem Totenschein auf. Ärzte notieren dort in der Regel nur die unmittelbar zum Tod führende Ursache wie etwa Herz- oder Kreislaufversagen. Saisonale Begleitumstände finden in der amtlichen Todesbescheinigung keine Erwähnung. Etwaige Zusammenhänge lassen sich aus der Distanz daher nur über das dokumentierte Sterbedatum herstellen.

Ausnahmefaktor Corona: Die Entwicklung ab 2018

Im Schnitt sterben in Deutschland normalerweise zwischen 2200 Menschen pro Tag - zumindest rein rechnerisch im langjährigen Mittel der Jahre 2000 bis 2019. Demographische Trends und saisonale Einflüsse können diesen Durchschnittswert nach oben oder unten verschieben, etwa wenn sich die Alterszusammensetzung in der Bevölkerung durch geburtenstärkere oder -schwächere Jahrgänge verändert.

Dazu kommen Sonderfaktoren wie zum Beispiel Erkältungs- und Influenza-Wellen, die in einzelnen Jahren deutlich stärker auftreten als in anderen, und die zu einer entsprechenden Zunahme der täglichen Todesfallzahlen führen können. Solche epidemiologischen Faktoren bewirken typischerweise einen vergleichsweise langsamen Anstieg und ein langsames Abebben über mehrere Wochen hinweg. Meteorologische Einflüsse wie Hitze dagegen schlagen sich meist in kurzfristigen, scharf abgegrenzten Ausschlägen in der Statistik nieder.

Der Ausbruch der Coronavirus-Pandemie erzeugte eine historische Ausnahmesituation: In den Jahren ab 2020 ist der mehrjährige Durchschnitt der Todesfälle von 2400 Verstorbenen pro Tag auf rund 2800 angestiegen - weitaus mehr als nur durch die allgemeine demographische Entwicklung erklärbar wäre. Zahlreiche weitere Einflüsse sind zu beachten. Außergewöhnliche Phasen gab es auch schon in früheren Jahren: 2015 zum Beispiel sorgte eine außergewöhnlich starke Grippewelle Ende Februar zu einem bis dahin selten erreichten Jahreshöchstwert von 3400 Todesfällen.

Todesfallzahlen pro Tag seit 2000:

Der allgemeine Trend ist dennoch gut erkennbar: An Tagen extremer Hitze versterben in Deutschland überdurchschnittlich mehr Menschen als an Sommertagen mit gemäßigteren Temperaturen. Die Politik reagiert: Mit dem kürzlich vorgestellten "nationalen Hitzeschutzplan" versucht die Bundesregierung, die Bevölkerung auf die veränderten klimatischen Bedingungen in Deutschland vorzubereiten. Rasches Handeln beim Hitzeschutz sei wichtig, erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, weil aufgrund der Klimaerwärmung "die Zahl der Hitzetoten pro Jahr zunehmen" werde.

"Mit dem Klimawandel ist das Auftreten von Hitzewellen immer wahrscheinlicher geworden", heißt es in einem Papier des Bundesgesundheitsministeriums zum Hitzeschutz. "Hitzewellen beeinflussen unsere Gesundheit, unser Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft." Hitze führe nicht nur zu Todesfällen, "sondern beeinflusst auch das Krankheitsgeschehen".

Quelle: ntv.de

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