HyImpulse SR75 vor Jungfernflug Deutsche Rakete startet mit Kerzenwachs ins Weltall


Die HyImpulse SR75 ist gerade mal zwölf Meter lang.
(Foto: HyImpulse)
In wenigen Tagen startet die HyImpulse SR75 zum Jungfernflug ins All. Sie ist nicht nur die erste kommerzielle deutsche Trägerrakete, sie ist auch technisch etwas ganz Besonderes. Denn sie wird von einem einzigartigen Hybridmotor angetrieben, der als Treibstoff flüssigen Sauerstoff und Paraffin nutzt.
"Noch vor wenigen Jahren hätte niemand geglaubt, dass man in Deutschland eine Raketenfirma gründen kann - heute haben wir drei davon. Hightech-Startups aus Deutschland geben wichtige Impulse für die Raumfahrt in Europa!", sagte Wirtschaftsminister Habeck im vergangenen Juni. Das erste von ihnen ist jetzt startklar, der Countdown läuft. Am 30. April oder je nach Wetterlage auch ein paar Tage später soll die SR75 des baden-württembergischen Unternehmens HyImpulse in Australien zum Jungfernflug abheben. Das Projekt ist in zweierlei Hinsicht außergewöhnlich. Denn es handelt sich nicht nur um die erste deutsche kommerzielle Trägerrakete, auch ihr Antriebskonzept mit Paraffin (Kerzenwachs) ist einzigartig.
Das im baden-württembergischen Neuenstadt am Kocher angesiedelte HyImpulse ist auf Mikrolauncher spezialisiert. Dabei handelt es sich um kleine Raketen, die Satelliten möglichst preiswert in niedrige Erdumlaufbahnen bringen sollen. Die möglichen Einsatzgebiete sind vielfältig: die Beobachtung von Emissionen, Waldbränden, Erdbeben, Wetterdaten, Navigation, Satelliten für den Mobilfunk, Technologieentwicklung oder wissenschaftliche Beobachtungen.
Fast schon eine Mini-Rakete
Die einstufige Rakete SR75 ist gerade mal zwölf Meter hoch, wiegt 2,5 Tonnen und kann eine Nutzlast von 250 Kilogramm auf Flughöhen von maximal 250 Kilometern bringen, wobei der Testflug auf 60 Kilometer begrenzt ist. Mit diesen Werten ist sie laut HyImpulse ausgelegt für Mikrogravitationsexperimente, Atmosphärenphysik, Teleskop-Missionen und um als Booster für andere Fluggeräte zu dienen.
Doch die SR75 ist nur eine technische Vorstufe. Ab dem kommenden Jahr ist der Einsatz der kommerziell genutzten, mehrstufigen Orbitalrakete SL1 geplant. Sie ist 32 Meter hoch, wiegt 50 Tonnen und soll zunächst Nutzlasten von bis zu 600 Kilogramm in Flughöhen von bis zu 500 Kilometern bringen. Spätere Varianten sollen mehrere Tausend Tonnen ins All transportieren können.
Voraussetzung ist, dass sich der revolutionäre Antrieb von HyImpulse beim Jungfernflug der SR75 bewährt. Das Konzept, Paraffin als Raketen-Treibstoff zu nutzen, ist dabei nicht neu. Erste Versuche habe es bereits in den 1930er-Jahren gegeben, schreibt HyImpulse. Wegen der hohen Komplexität des Verbrennungsprozesses seien sie jedoch verworfen worden. Erst in den 1990er-Jahren wurden die Versuche mit Paraffin als Raketen-Treibstoff wieder aufgenommen.
Vom Lachgas zum Sauerstoff
Mario Kobald gehört zu den Pionieren, schon seit 2006 arbeitete er als Student an der Universität Stuttgart an einem Hybrid-Antrieb auf Basis von Paraffin. Zusammen mit drei Stuttgarter Kommilitonen gründete er im März 2018 HyImpulse. Zunächst diente den Studenten noch Lachgas als Oxidator, wie in einem Magazinbeitrag des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) aus dem Jahr 2015 zu entnehmen ist. Das beschriebene Experiment scheiterte damals. Doch schon kurze Zeit später flog die HEROS-3-Rakete des Teams 32 Kilometer hoch und stellte damit einen neuen Weltrekord für hybride Raketenantriebe auf.
Das Prinzip ist grundsätzlich einfach. Das Paraffin befindet sich wie bei einer Kerze in fester Zylinderform. Entlang der Längsachse wird auch ein Loch gebohrt, aber kein Docht durchgezogen. Stattdessen wird der flüssige Sauerstoff durchgeleitet und beides gemeinsam entzündet. Der Treibstoff verbrennt dann von innen nach außen. Die Details indes seien das "Ergebnis unserer jahrelangen Arbeit und lassen sich auch nicht so leicht nachmachen", sagte Kobald der "Rheinischen Post".
Bewährt sich der Treibstoff, wäre dies ein großer Fortschritt für die Raketentechnologie. Denn die Kombination aus Paraffin und flüssigem Sauerstoff hat entscheidende Vorteile gegenüber den üblicherweise eingesetzten Flüssig- oder Festbrennstoffen.
Keine Explosionsgefahr
Ein dicker Pluspunkt ist, dass damit angetriebene Raketen nicht explodieren können. So könne auch eine bereits betankte Rakete gefahrlos an die Startrampe verschifft und transportiert werden, schreibt HyImpulse. Im Falle eines Absturzes sei der Treibstoff vollkommen ungiftig.
"Der Sauerstoff entweicht in die Luft, das Paraffin wird eine leicht zu bergende feste Masse", so die Pressemitteilung. "Dies erleichtert die Bergung und reduziert die Versicherungskosten eines Starts, die in der Regel 10 bis 20 Prozent der Gesamtkosten eines Raumfahrtprojekts umfassen, signifikant gegenüber einer konventionell angetriebenen Rakete." Außerdem sei er weit weniger komplex, was den Bau einer Rakete insgesamt rund 50 Prozent günstiger mache, schreibt das Unternehmen.
Günstig und nachhaltig
Das wirkt sich natürlich auch auf die Transportkosten aus. Während man bei herkömmlichen Kleinraketen mit 12.500 bis 25.000 Euro pro Kilogramm rechnen müsse, seien es in der ersten Ausbaustufe ihrer Rakete voraussichtlich rund 6500 Euro, so HyImpulse. Langfristig sei bei höheren Nutzlasten mit noch geringeren Kosten zu rechnen.

Mit den HyImpulse-Trägerraketen sollen CO2-neutrale Missionen ermöglicht werden.
(Foto: picture alliance/dpa/HyImpulse)
Spannend ist auch, dass der Antrieb ohne aktive Kühlung auskommt. "Das Paraffin verbrennt schneller, als es die Wärme leitet", erklärte Kobald der "Rheinischen Post". So isoliert es selbst die Brennkammer und die Struktur. Dieses Prinzip nennt man ablative Kühlung.
Die Rakete besteht größtenteils aus kohlefaserverstärktem Kunststoff (CFK), auch der Tank für den flüssigen Sauerstoff. Das verbessere die Leistung erheblich und reduziere Gewicht und Kosten, sagte Kobald dem Fachmagazin "Astrodom". HyImpulse arbeitet dabei mit dem griechischen Unternehmen Adamant Composites zusammen. "Das einzigartige Design aus Vollverbundwerkstoffen ermöglicht 30 Prozent Masseneinsparungen, während der robotergestützte Produktionsprozess die Zykluszeit um 50 Prozent und die Kosten um 25 Prozent reduziert", so dessen Geschäftsführer Antonios Vavouliotis.
Eine gebrauchte HyImpulse-Rakete soll durch ein Fallschirmsystem unversehrt auf die Erde zurückkehren und so wiederverwendet werden können. Das spart ebenfalls Kosten und dient dem Ansatz, den Einsatz so umweltverträglich wie möglich zu machen. Auch das Erdöl-Produkt Paraffin soll synthetisch aus "eingefangenem" CO2 mit erneuerbaren Energien nachhaltig produziert werden. Am Ende erhofft man sich CO2-neutrale Missionen.
Hoher Bedarf, wenig Wettbewerb
HyImpulse, das aktuell nur rund 60 Mitarbeiter hat, schätzt seine Marktchancen sehr gut ein. Deutschland und Europa verfügten derzeit über keinen eigenen Zugang zum Weltraum, schreibt es. Die Ariane 5 sei ausgemustert, die künftigen Starts der Nachfolgerin Ariane 6 bereits alle an US-Kunden verkauft. Elon Musks Space X dominiere aktuell den Markt mit 85 Prozent aller kommerzieller Starts.
Russische oder chinesische Trägerraketen einzusetzen, seien aus geopolitischer Sicht keine Option mehr, gleichzeitig wachse der Markt voraussichtlich bis 2040 von 320 auf 1250 Milliarden Euro, schätzt das Unternehmen. 36.000 neue Satelliten würden in den kommenden zehn Jahren benötigt.
Quelle: ntv.de