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Nicht nur Naturgewalt Erdbeben können menschengemacht sein

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Trümmer liegen am 15.11.2017 in Pohang vor einem Gebäude. Ein Erdbeben der Stärke 5,4 hatte den Südosten Südkoreas erschüttert.

Trümmer liegen am 15.11.2017 in Pohang vor einem Gebäude. Ein Erdbeben der Stärke 5,4 hatte den Südosten Südkoreas erschüttert.

(Foto: Min Kyung-Suck/Newsis/AP/dpa)

Bei Erdbeben lösen sich tektonische Spannungen ruckartig auf. Die Erschütterungen, die zu viel Leid und Zerstörung führen, können auch durch Menschen selbst hervorgerufen werden. In welchem Ausmaß das passiert, haben Forschende nun zusammengetragen.

Im November 2017 erschütterte ein starkes Erdbeben die Region um die südkoreanische Stadt Pohang. Das Beben war eins der verheerendsten in der Geschichte des Landes. Auffällig war, dass die Erschütterung wie auch viele Vor- und Nachbeben ihr Epizentrum in unmittelbarer Nähe einer Geothermiestation hatten. Dort war im Januar 2016 damit begonnen worden, kaltes Wasser unter hohem Druck in mehrere Kilometer tiefes Gestein zu pressen, um Wärme freizusetzen. Forscher kamen in den Jahren darauf zu dem Schluss: Das Beben der Stärke 5,4 war nicht natürlichen Ursprungs, sondern von Menschen verursacht.

Immer häufiger lösen menschliche Aktivitäten Erdbeben aus. "Allein dadurch, dass heute weltweit in viel größerem Umfang der Untergrund genutzt wird als noch vor wenigen Jahrzehnten, haben induzierte Erdbeben langfristig zugenommen", sagt Marco Bohnhoff, Leiter der Abteilung für Geomechanik und Wissenschaftliches Bohren am Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam. "Wenn man in mehreren Kilometern Tiefe Eingriffe in den geologischen Untergrund vornimmt, sei es im Rahmen von Bergbau, durch das Verpressen und Fördern von Wasser in der Geothermie oder zur Förderung von Öl und Gas, kann es zu solchen induzierten Erdbeben kommen. Diese Beben sind allerdings in den allermeisten Fällen weder spür- noch messbar."

Dabei seien menschengemachte Erdbeben an sich kein neues Phänomen, erklärt Bohnhoff. "Das gibt es schon seit mehr als 100 Jahren - damals vornehmlich im Kohlebergbau. Im Ruhrgebiet gab es sehr häufig induzierte Erdbeben, die direkt an den Bergbau geknüpft waren und auch zu Rissen in Häusern führten." Mit dem Abklingen des Steinkohlebergbaus seien auch die Erdbeben in der Region zurückgegangen. Heute stünden andere menschliche Aktivitäten als Ursache für induzierte Beben im Vordergrund, darunter auch der Salzbergbau.

In den letzten 30 Jahren seien in Deutschland pro Jahr im Durchschnitt etwa 60 induzierte Erdbeben gemessen worden, sagt Gernot Hartmann von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Im Magnitudenbereich 3 und größer - solche Erschütterungen sind meist spürbar - seien es aber jährlich lediglich rund vier gewesen. Tektonische - also natürliche - Beben gab es demnach im Schnitt 84 Mal im Jahr, davon etwa sieben der Magnitude 3 und größer. "Tendenziell hat die induzierte Seismizität in Deutschland abgenommen", sagt Hartmann. Das sei zum einen auf die Einstellung der Steinkohleförderung im Saarland und im Ruhrgebiet zurückzuführen, aber auch auf bessere seismische Monitorings zur Steuerung von Geothermieanlagen.

Erdbebengefahr durch Fracking

"In mehr als 50 Prozent der Projekte, die mit induzierten Erdbeben in Verbindung gebracht wurden, wurde Flüssigkeit entweder in den Boden eingespeist oder daraus entnommen", fasst Mohammad Moein von der Freien Universität (FU) Berlin die Ergebnisse einer im Dezember veröffentlichten Studie zu den Ursachen der induzierten Erdbeben weltweit zusammen. Dabei geht es etwa um Projekte zur Geothermie oder zum Fracking. In einem internationalen Forschungsteam untersuchten Moein und seine Kollegen Serge Shapiro und Cornelius Langenbruch vom Institut für Geophysik an der FU die physikalischen Prozesse, durch die menschengemachte Erdbeben ausgelöst werden.

Vor allem in den USA, Kanada und China entstünden induzierte Erdbeben heute etwa bei der Öl- und Gasförderung durch die umstrittene Fracking-Methode. Dabei werden Wasser und Chemikalien in tiefe Reservoire gepumpt, in denen Erdgas oder Erdöl enthalten ist, um mit hohem Druck künstliche Risse zu erzeugen, die Öl und Gas leichter verfügbar machen sollen. Bei der Förderung entstünden auch große Mengen an Abwasser, die man irgendwo wieder loswerden muss, erklärt Shapiro. "Eine weit verbreitete Methode ist etwa in den USA, dieses Schmutzwasser zurück in die Erde zu pressen."

Großskalige Beispiele hierfür finden sich in den US-Bundesstaaten Oklahoma und Kansas: "Zu den Hochzeiten der Ölproduktion wurde pro Monat ungefähr das Volumen des Großen Wannsees in Oklahoma in den Untergrund eingepumpt", erläutert Langenbruch. "Wenn so viel Wasser in den Untergrund eingepumpt wird, steigt der Druck an und breitet sich langsam im Untergrund aus." Im tiefen Kristallingestein würden bereits vorher existierende Bruchflächen durch die Druckzunahme auseinandergedrückt, bis sich die dort gespeicherte tektonische Energie entlädt - und die Erde bebt.

Ursache oft schwer festzumachen

Auch beim Thema der sogenannten CO2-Sequestrierung werde die Gefahr durch induzierte Erdbeben diskutiert, sagt Shapiro. Bei dem Prozess soll Kohlendioxid entweder aus der Atmosphäre gefiltert oder direkt bei der Produktion von CO2-Emissionen aufgefangen und dann unterirdisch in geologische Schichten eingepresst und gespeichert werden. "Es gibt Forschungen und Überlegungen dazu, wo man das Kohlendioxid am besten einpresst", so Shapiro. Infrage kämen etwa die ehemaligen Lagerstätten von Erdöl oder Erdgas. Durch den geringeren Druck in den ausgeschöpften Lagerstätten sei hier die Wahrscheinlichkeit von Erdbeben geringer.

Wer oder was für ein Erdbeben verantwortlich ist, lässt sich allerdings nicht immer klar festmachen. "Es gibt keinen direkten Beweis, dass ein gegebenes Erdbeben durch eine bestimmte Aktivität verursacht wurde. Denn ein Erdbeben ist ein natürliches Phänomen, das sich nur durch den Menschen schneller ereignet", sagt Shapiro. Anhand vergleichender Statistik könne man aber nachweisen, ob sich die Anzahl der Erdbeben seit Beginn eines Projekts erhöht hat. Beim Beispiel in Oklahoma hätte es etwa 1000 Mal so viele Erdbeben gegeben.

Sind Erdbeben vermeidbar?

Die Kontrolle dieser induzierten Seismizität sei ein wichtiger Faktor für die Akzeptanz der Energiewende, sagt GFZ-Experte Bohnhoff. Denn so könnten etwaige negative Effekte bei der geothermischen Energiegewinnung und der CO2-Speicherung reduziert werden. Das Ziel der Forschung sei es, Konzepte zu entwickeln, mit denen Erschütterungen kontrolliert oder ganz vermieden werden können. "Der Schlüssel zur systematischen Vermeidung großer induzierter Erdbeben ist ein besseres Verständnis der zugrundeliegenden physikalischen Prozesse", so Bohnhoff.

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Im Labor simulieren die Fachleute die Prozesse auf kleiner Skala und unter Kontrolle der Randbedingungen und untersuchen, wie die Nutzung des Untergrunds überwacht und die entsprechenden Einflussgrößen angepasst werden können, so dass es trotz Eingriffen in den Boden nicht zu an der Erdoberfläche spürbaren Beben kommt. Wichtige Einflussgrößen sind etwa die Menge der eingepressten Flüssigkeit und der im Untergrund erzeugte Druck.

Dass die entwickelten Konzepte erfolgreich sein können, zeigt ein Beispiel aus Finnland. "Vor einigen Jahren sollte in Helsinki mitten in der Stadt ein Geothermieprojekt aufgebaut werden. Dort ist sechs Kilometer tief gebohrt worden", sagt Bohnhoff. Spürbare Erdbeben konnten demnach aber durch erfolgreiche Echtzeitüberwachung und bestimmte Anpassungen vermieden werden. "Diese Konzepte entwickeln wir weiter und aktuelle Studien zeigen uns, dass wir dem Ziel der Kontrolle und hoffentlich auch Vermeidung spürbarer Erdbeben schrittweise näherkommen."

Quelle: ntv.de, Jacqueline Melcher, dpa

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