
Einer der ersten großangelegten Anlagen zur Entfernung von Kohlendioxid liegt in Island.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Es bleiben noch 22 Jahren, bis Deutschland klimaneutral sein soll. Will die Bundesregierung dieses Ziel erreichen, muss sie nicht nur eine massive Reduzierung an Treibhausgasemissionen vorantreiben, sondern auch eine entscheidende Maßnahme ausbauen: die CO₂-Entfernung aus der Atmosphäre. "Wer Ja zu Netto-Null sagt, hat auch schon Ja zur CO₂-Entfernung gesagt", sagt Oliver Geden, Senior Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), bei der Vorstellung des neuen Berichts "Stand der Co2-Entnahme" in Berlin.
Bisher haben 120 Länder "Ja" zu Netto-Null gesagt. Darunter auch Deutschland. Zum jetzigen Zeitpunkt besteht jedoch noch eine "große Lücke" bei einem entscheidenden Baustein auf dem Weg zur CO₂-Neutralität: die Entfernung von CO₂ aus der Atmosphäre, wie es im ersten großen Lagebericht heißt. Forscher und Forscherinnen von vier Universitäten und Stiftungen in Deutschland, den USA und Großbritannien schreiben darin, dass ein Temperaturanstieg von deutlich unter zwei Grad ohne eine Ausweitung von Carbon Dioxide Removal (CDR) nicht möglich ist.
Was ist überhaupt CO₂-Entnahme?
CO₂-Entfernung ist eigentlich nichts Neues. Bäume, Pflanzen, Sümpfe, Wälder: Sie alle sind ein wichtiger Bestandteil der Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Zu den sogenannten konventionellen Methoden der CO₂-Entnahme gehören also Aufforstung und Bodenbewirtschaftung. Dem Bericht zufolge machen diese Methoden einen großen Teil der insgesamt zwei Gigatonnen CO₂ aus, die jährlich mit CDR entfernt werden.
Wie viel sind zwei Gigatonnen CO₂?
Um eine Tonne CO₂ zu binden, muss eine Buche etwa 80 Jahre lang wachsen. Oder anders ausgedrückt: Eine Autofahrt von rund 4900 Kilometern mit einem Mittelklasse-Benziner verursacht etwa eine Tonne CO₂. Schätzungen zufolge betrug der globale CO₂-Ausstoß im Jahr 2022 40,6 Gigatonnen.
Welche andere Entfernungsmöglichkeiten gibt es?
Die bisher bekanntesten Technologien für die Gewinnung von CO₂ sind die Bioenergie mit CO₂-Abscheidung und -Speicherung (BECCS) und Direktabscheidung von CO₂ aus der Luft (DACCS). Bei der ersten Methode wird CO₂ von Biogasanlagen eingefangen. Bei der zweiten wird Kohlendioxid direkt aus der Luft gezogen. Das entnommene CO₂ muss dann irgendwo gespeichert werden - zum Beispiel in Produkte wie langlebige Baustoffe, oder unter der Erde. Ohne diese neuartigen Methoden könne nicht genug CO₂ eingefangen werden, so die Einschätzung der Autoren und Autorinnen des Berichts.
Sind diese Technologien schon weit verbreitet?
Diese Methoden werden gerade nur im kleinen Rahmen eingesetzt - viele Ideen sind noch in der Forschungsphase und werden noch nicht angewendet. Insgesamt werden laut dem Bericht mit neuen Technologien derzeit 0,002 Gigatonnen CO₂ pro Jahr entfernt. Den Forscherinnen und Forschern des Berichts zufolge müsste der Einsatz neuer Entfernungstechnologien bis 2050 um das 1300-fache steigen, um die Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu begrenzen.
Warum nicht einfach die CO₂-Emissionen reduzieren?
Das ist immer noch sehr wichtig, um die Klimaziele zu erreichen. Doch dem Weltklimarat zufolge reicht die reine Reduzierung von CO₂-Emissionen nicht mehr aus, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Je nachdem, wie die Klimapolitik der jeweiligen Regierungen aussieht, sind mehr oder weniger CDR-Maßnahmen notwendig. Im Grunde sieht die Rechnung so aus: Wird weniger ausgestoßen, muss weniger eingefangen werden. Bei allen Szenarien ist aber trotzdem der Aufbau neuartiger Methoden zur CO₂-Entnahme notwendig, so die Autoren und Autorinnen des Berichts.
Wie ist die Lage in Deutschland?
Das Klimaschutzgesetz aus dem Jahr 2019 hat noch keinen Verweis auf CO₂-Entfernung. Mittlerweile sieht die Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag die Notwendigkeit "von technischen Negativemissionen". Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat schon angekündigt, die CCS (Carbon Capture and Storage)-Technik auch in der Bundesrepublik einzusetzen. Diese Technologie ist aber in Deutschland noch verboten.
Warum?
Kritiker fürchten ein Entweichen des Gases aus den Speichern. Zudem besteht die Sorge, dass die Technologie den Anreiz vermindert, Treibhausgase von vornherein zu vermeiden. Der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt nannte es "brandgefährlich für den Klimaschutz, dass die Evaluierung des CCS-Gesetzes so stark von Industrieinteressen überlagert wurde". Die Industrie wolle ihre Emissionen unter der Nordsee deponieren, statt sie zu reduzieren.
Also doch reduzieren, statt entnehmen?
Genau das ist der heikle Balanceakt der CO₂-Entfernung. Diese Technologie sei kein "Allheilmittel", schreiben die Autoren und Autorinnen des Berichts. Sie warnen davor, die Entfernung von CO₂ aus der Atmosphäre als Alternative zu Klimaschutz zu sehen. Eine rasche und tiefgreifende Verringerung der Emissionen sei dringend notwendig. Aber: "Es geht nicht um Entweder-oder. Wir brauchen beides", sagte Mitautor Geden bei der Vorstellung des Berichts. Denn es werde immer Rest-Emissionen geben, die ausgeglichen werden müssten.
Quelle: ntv.de