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Vorteil wird zum Nachteil Haben wir die Fettleber vom Neandertaler geerbt?

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Für Neandertaler war das Fettleber-Gen vermutlich von Vorteil.

Für Neandertaler war das Fettleber-Gen vermutlich von Vorteil.

(Foto: IMAGO/Funke Foto Services)

Ein deutsches Wissenschaftler-Team stellt fest, dass alle Neandertaler eine Genvariante trugen, die für Fettleber verantwortlich ist. Könnte es also sein, dass der Homo sapiens die Stoffwechselerkrankung von den Urmenschen geerbt hat? Und was hat den Neandertalern das Fettleber-Gen gebracht?

Fettleber ist eine weitverbreitete Zivilisationskrankheit, deren Ursachen vor allem Bewegungsmangel und falsche Ernährung sind. Doch auch genetische Veranlagungen können zu einer Fettleber führen. Daher ist ein gemeinsames Forschungsprojekt der Universitätskliniken Würzburg (UKW) und Homburg (UKS) und des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) in Leipzig sehr spannend. Denn die Wissenschaftler haben festgestellt, dass wahrscheinlich alle Neandertaler und andere Urmenschen die wichtigste Genvariante in sich trugen, die für Fettleber verantwortlich ist.

Auffallend unterschiedliche Verteilung

PNPLA3-Gen

Das PNPLA3-Gen ist für die Produktion eines Enzyms namens Patatin-like Phospholipase Domain-containing Protein 3 (PNPLA3) verantwortlich. Das Enzym ist an Prozessen beteiligt, die die Speicherung und Freisetzung von Fetten regulieren. Mutationen oder genetische Varianten im PNPLA3-Gen können die Aktivität dieses Enzyms beeinflussen und damit den Fettstoffwechsel in der Leber verändern.

So ist ein bestimmter genetischer Polymorphismus mit dem Referenzmarker rs738409 im PNPLA3-Gen mit einem erhöhten Risiko für eine Fettlebererkrankung assoziiert. Diese Variationen können dazu führen, dass die Leber mehr Fett speichert und weniger effizient abbaut, was zu einer Fettansammlung in der Leber führt und das Risiko für Lebererkrankungen erhöht.

Genau geht es um die Variante (Allel) rs738409 des PNPLA3-Gens. Ihre weltweite Verteilung ist höchst unterschiedlich. In Afrika tragen sie nur wenige Menschen, in Kenia etwa 8 Prozent. In Mesoamerika sind rund 70 Prozent der Menschen betroffen, Peru ist mit 72 Prozent Spitzenreiter.

Andreas Geier stellt sich schon länger die Frage, wie es zu dieser auffallend heterogenen globalen Verteilung des Risiko-Allels kommt. Was ist der Ursprung? Der Leiter der Hepatologie am UKW analysierte mithilfe weiterer Wissenschaftler die DNA von mehr als 10.000 modernen Menschen sowie von Urmenschen. Darunter befanden sich neben allen 21 verfügbaren Neandertaler-Genome auch zwei Genome von Denisovaner-Menschen. Sie lebten vor rund 40.000 Jahren im sibirischen Altai-Gebirge und gelten neben Homo sapiens und Neandertalern als dritte Population der Gattung Homo. Eine untersuchte Probe stammte von einem Hybrid mit einer Neandertaler-Mutter und einem Denisovan-Vater.

Alle Urmenschen waren Fettleber-Kandidaten

"Überraschenderweise trugen alle archaischen Menschen, die vor 40.000 bis 65.000 Jahren lebten, ausschließlich das Risiko-Allel, was auf eine Fixierung des Varianten-Allels bei ihren gemeinsamen Vorfahren hindeutet", sagt Andreas Geier und geht im menschlichen Stammbaum noch weiter zurück. "Bei der Analyse der Referenzgenomsequenz von Primaten wurde deutlich, dass die Menschenaffen, vom Orang-Utan über Gorilla bis zum Schimpansen und Bonobo, eine ursprüngliche, weniger riskante Genvariante tragen, einen sogenannten Wildtyp."

Die Wissenschaftler schließen daraus, dass die Hauptvariante des Fettleber-Gens bereits vor der Aufspaltung des menschlichen Stammbaums vor mehr als 700.000 Jahren entstanden sein muss. Aber warum? Schließlich hat diese Variante ungünstige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, die nicht gerade die Überlebenschancen einer Art dienen. Jeder Fünfte mit einer Fettleber erkrankt heutzutage an einer Fettleberhepatitis. Die Entzündung kann zu schweren Vernarbungen - Fibrose und Zirrhose - sowie zu Krebs führen.

Früher ein Überlebensvorteil

Die wahrscheinliche Antwort liegt in den völlig anderen Lebensumständen der Urmenschen. Eine Hypothese ist, dass PNPLA3 und andere Genvarianten, die am Stoffwechsel beteiligt sind, in der Altsteinzeit, dem Paläolithikum, entwickelt wurden, um das Überleben zu sichern. "Insbesondere die Fähigkeit, Fett zu speichern, war wahrscheinlich während des größten Teils der Menschheitsgeschichte von Vorteil, während sie unter den heutigen Lebensbedingungen von Nachteil ist", erklärt Andreas Geier. Das sei mit Gänsen vergleichbar, die sich vor Langstreckenflügen eine Fettleber anfressen, um genügend Energie an Bord zu haben.

Vorhandensein der PNPLA3 rs738409-Genvariante bei modernen und archaischen Menschen. Die großen Menschenaffen tragen die ursprüngliche Variante, den Wildtyp.

Vorhandensein der PNPLA3 rs738409-Genvariante bei modernen und archaischen Menschen. Die großen Menschenaffen tragen die ursprüngliche Variante, den Wildtyp.

(Foto: UKW)

PNPLA3 wirkt sich auch auf das Sehvermögen in der Dämmerung aus, was den Urmenschen möglicherweise Vorteile bei der Jagd verschaffte. Außerdem kommt es im sogenannten braunen Fett vor, das als gutes Fett gilt.

"Unsere Beobachtung könnte den Vorteil der Fettspeicherung in kaltem Klima und insbesondere für Neandertaler unter eiszeitlichen Bedingungen unterstreichen", so Geier. Für diese Hypothese spreche, dass die PNPLA3-Variante bei 89,3 Prozent der Jakuten-Bevölkerung in der kältesten Region im Nordosten Russlands vorherrscht.

Kein Problem für die Fortpflanzung

Warum aber weist auch sonst ein großer Teil der Menschen diese Genvariante auf, hätte sie nicht durch natürliche Selektion verdrängt werden müssen? Die genomweite Analyse habe zwar keine signifikanten Signale für natürliche Selektion in den letzten 10.000 Jahren gefunden, erklärt Stephan Schiffels. Es bestehe aber immer noch die Möglichkeit, "dass Selektion in Zeiträumen aktiv war, die älter sind als die, die wir heute statistisch analysieren können."

Angesichts der begrenzten Lebensspanne archaischer Menschen sei es auch nicht überraschend, dass kein Signal in Richtung negativer Selektion gefunden werden konnte, so der Leiter der Arbeitsgruppe Populationsgenetik am MPI-EVA. Diese Variante habe ihre ungünstigen Auswirkungen wahrscheinlich erst im späteren Erwachsenenalter entfaltet und daher weniger wahrscheinlich die Fortpflanzungsdynamik beeinflusst.

Gentransfer eher unwahrscheinlich

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Aus der Studie ergebe sich die naheliegende Frage, ob die modernen Menschen die PNPLA3-Variante rs738409 von den Neandertalern geerbt haben, sagt Andreas Geier. Eindeutig beantworten lässt sich das nicht. Einen Hinweis liefert ein weiteres Gen. SLC16A11, das unter anderem zu Diabetes Mellitus führt, wurde tatsächlich von den Neandertalern auf moderne Menschen übertragen.

Der Homo neanderthalensis lebte bereits in Europa, als der Homo sapiens aus Afrika kam und ein Genaustausch stattfand. SLC16A11 findet man in Afrika nicht, dafür aber Varianten von PNPLA3. Und das spricht gegen einen Gentransfer durch den Neandertaler. Laut Stephan Schiffels könnte er aber dazu beigetragen haben: "Tatsächlich zeigen unsere nachfolgenden Analysen, dass eines von 1.000 heutigen PNPLA3-Varianten-Allelen aus dem Neandertaler-Genom stammen könnte."

Quelle: ntv.de, kwe

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