Alle müssten zu Hause bleiben Simulator zeigt: Oster-Ruhe hilft eher wenig
23.03.2021, 19:34 Uhr
Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass Ostern 2021 zum Wellenbrecher werden soll?
(Foto: imago images/Future Image)
Bis Ostern passiert nicht viel, dann soll ein um zwei Ruhetage verlängertes Oster-Wochenende die rasant steigenden Fallzahlen abbremsen. Doch Modelle der Universität des Saarlandes zeigen, dass der Effekt wohl eher gering ausfällt. Forschungsleiter Lehr hält sogar das Gegenteil für möglich.
Die dritte Corona-Welle rollt, seit Mitte Februar hat sich die 7-Tage-Inzidenz fast verdoppelt und die Zahlen steigen immer schneller. Eine Verlängerung des Lockdowns bis 18. April wird daran kaum etwas ändern, auch Notbremsen bei Werten über 100 können das Wachstum wahrscheinlich bestenfalls etwas verlangsamen. Deshalb soll ein um zwei Ruhetage verlängertes Oster-Wochenende als Wellenbrecher dienen.
Modellierer pessimistisch
Thorsten Lehr, Professor für Klinische Pharmazie an der Universität des Saarlandes erwartet sich davon allerdings nicht allzu viel. Der von ihm geleitete Covid-19-Simulator zeigt, dass die Maßnahme den Anstieg nur bremsen, aber nicht stoppen kann - und auch nur dann, wenn sich die Menschen an die Regeln halten.
Lehr kann daran nicht so recht glauben. Er vergleicht im ntv.de-Interview die Situation mit Weihnachten. Im Beschluss hieße es zwar, die Leute hätten sich an den Festtagen gut verhalten, sagt er. "Aber ehrlich gesagt haben sie es nicht." Stattdessen hätten sie sich an Weihnachten weiter getroffen und "ganz munter infiziert". Jetzt habe man zwar die Impfungen, "aber auf der anderen Seite auch diese kritische Mutante, die halt deutlich infektiöser ist".
Mutante macht Ostern zum Problem
Man sehe vermehrt den Effekt, dass eine infizierte Person ihre ganze Familie anstecke, das habe es so vorher nicht gegeben. Weil der Anteil der Mutante bis dahin auf ungefähr 90 Prozent hochgeschnellt sein müsste, "sehe ich für Ostern ein relativ großes Problem", sagt er.

Geht die Entwicklung ungebremst weiter, sind schnell Inzidenzen über 500 erreicht.
(Foto: CoSim Online/kwe)
Wie ernst die Situation ist, kann man im Covid-19-Simulator nachvollziehen. Denn das Modell bildet die Entwicklung der vergangenen Wochen nahezu perfekt nach, wenn man den R-Wert (Future R(t)s) manuell beginnend am 9. März auf 1,39 stellt. Ungefähr mit den ab diesem Datum geltenden Lockerungen habe sich der Wert "ein bisschen sprunghaft erhöht", was im Simulator noch nachjustiert werden müsse, so Lehr. Dies liege nicht nur an den Öffnungen, sondern auch an der schneller fortgeschrittenen Verbreitung der Mutante.
Inzidenz über 600 am 18. April möglich
Ginge die Entwicklung ungebremst so weiter, verdoppelte sich die Inzidenz in den kommenden sieben Tagen nahezu auf über 200. Eine Woche später läge sie bereits deutlich über 300 und hätte am "Ende" des Lockdowns am 18. April die 650er-Grenze überschritten.
Und das Modell passt auch sehr gut zu den Hospitalisierungen. Laut DIVI-Intensivregister liegen heute 3159 Corona-Patienten auf den Intensivstationen, vor einer Woche waren es noch 2833. Tendenz: stark ansteigend. Der Covid-19-Simulator hat mit R = 1,39 für den 23. März 3310 Intensivpatienten ermittelt, ist also ziemlich nahe dran an der Realität. In einer Woche könnten es dem Modell zufolge 4300 sein, in 14 Tagen knapp 6000 und am 18. April doppelt so viele. Mehr als 7000 davon müssten voraussichtlich künstlich beatmet werden.
Selbst wenn das Modell die Zukunft etwas schwärzer malen sollte als sie dann tatsächlich ist, scheint das Argument, man dürfe sich nicht auf die Inzidenzen fixieren, solange es weniger schwere Fälle und damit auch Covid-19-Tote gäbe, damit erst mal hinfällig zu sein. Es seien noch zu wenige Menschen geimpft und vor allem die Altersgruppen unterhalb von 80 Jahren seien auf den Intensivstationen problematisch, sagt Thorsten Lehr.
Wie sich die erzwungene lange Oster-Ruhe auf das Infektionsgeschehen auswirken wird, ist schwer vorauszusagen, auch der Covid-19-Simulator stößt bei vielen Unbekannten an seine Grenzen. So ist beispielsweise kaum vorhersehbar, wie sich die Menschen verhalten werden, ob sie die Regeln streng befolgen, eher lasch auslegen oder gar missachten. Ohne konkrete Daten von Tests an Schulen und Kitas sei auch die Auswirkung der kommenden Tage bis zu den Osterferien nur zu schätzen, so Lehr. Abzuwarten bleibt auch noch, wie viele Kreise oder Länder die Notbremse ziehen.
Auch im besten Fall nur eine Verzögerung
Im positivsten Fall kann man davon ausgehen, dass sich wie vor einem Jahr die Menschen schon vor Ostern stärker einschränkten als sie es bis dahin müssten. Nimmt man einen sehr starken Effekt an, setzt man den zweiten R-Wert ab kommenden Montag auf 1,0. Das Wachstum wäre damit vorerst gestoppt.

Auch wenn die verlängerte Oster-Ruhe Wirkung zeigt, hält sie den Anstieg nur vorübergehend auf.
(Foto: CoSim Online/kwe)
Danach geht die Arbeit wieder los, je nach Bundesland beginnt früher oder später auch der Unterricht. Der R-Wert steigt damit wieder, zum Beispiel könnte er ab dem 6. April wieder 1,2 betragen.
Bei so einer Entwicklung würde die Inzidenz bis Ostern trotzdem noch auf rund 230 steigen, verharrte dort ein paar Tage und kletterte dann wieder schneller nach oben. Am 18. April ergäbe dieses Modell fast 280 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche.
Test-Strategien müssen nach Ostern stehen
Möglicherweise liegt Thorsten Lehr mit seiner Befürchtung richtig, die Menschen hielten sich zu Ostern nicht allzu sehr an die Kontaktbeschränkungen. Dann könnte der "Ungehorsam" die Ruhetage ausgleichen und die Entwicklung geht vielleicht so weiter als gäbe es gar keinen verschärften Oster-Lockdown. Im schlimmsten Fall treiben Familientreffen und private Feiern das Infektionsgeschehen sogar noch an.
So oder so scheint das, was Bund und Länder jetzt entschieden haben, die dritte Welle nur etwas ausbremsen zu können. Deutlich abflachen oder gar stoppen kann man sie so kaum. Da die Impfungen wohl erst gegen Ende April signifikant Fahrt aufnehmen können, wird wahrscheinlich viel davon abhängen, wie konsequent nach Ostern Test-Strategien an Schulen und Arbeitsplätzen umgesetzt werden, damit die dritte Corona-Welle in Deutschland nicht zur schlimmsten wird.
Quelle: ntv.de