Timo Ulrichs im Interview Warum kommt der Shutdown erst so spät?
23.03.2021, 17:11 Uhr
Mancher Einzelhändler übt sich mittlerweile in Sarkasmus.
(Foto: dpa)
Ein harter, sehr kurzer Lockdown über Ostern soll der dritten Welle die Wucht nehmen. Kann das klappen? Epidemiologe Timo Ulrichs glaubt an einen gewissen Effekt. "Es ist nur schade, dass das erst in über einer Woche greifen soll", sagt er im ntv-Interview.
ntv: Was bringt der Mini-Lockdown über Ostern aus epidemiologischer Sicht?
Timo Ulrichs: Das kann schon zur Unterbrechung der Übertragungen führen, allerdings zeitlich begrenzt. Dann müssten aber wirklich alle Kontakte ruhen. Es ist nur schade, dass das erst in über einer Woche greifen soll. Das heißt, bis dahin könnten sich die Zahlen immer noch weiter nach oben entwickeln, und das auch exponentiell.
Es ist ja eigentlich nur der Gründonnerstag, der als Ruhetag hinzugekommen ist, denn schon am Samstag soll man, zumindest in Lebensmittelsupermärkten, wieder einkaufen können.

Timo Ulrichs ist Professor für Medizin, Mikrobiologie und Katastrophenhilfe an der Akkon-Hochschule in Berlin.
Das lässt sich organisatorisch leider nicht anders machen, weil man die Menschen irgendwie versorgen muss. Es ist damit natürlich der Appell verbunden, dass man weitsichtig einkaufen sollte, dass es da nicht zu überfüllten Supermärkten kommen soll. Allerdings ist das ja etwas, das wir sowieso einpreisen müssen, also dass wir uns einander begegnen beim Einkaufen von Lebensmitteln. Aber alles andere sollte eben runtergefahren werden. Dazu gehören ja auch die Osterferien in den Schulen. Das zusammengenommen könnte tatsächlich eine Trendumkehr bedeuten. Es wäre vielleicht noch mit dem Appell zu verbinden, dass man sich bereits jetzt, bevor es losgeht, schon so verhält, als wären wir schon in diesem verschärften Lockdown. Das kann dann die Zahlen tatsächlich stark nach unten drücken.
Was für einen Effekt wird das haben?
Das ist hoffentlich das letzte Mal, dass wir die Zähne zusammenbeißen müssen, denn danach laufen wir in den Frühling und Sommer rein, mit besseren äußeren Bedingungen, wo wir uns auch mehr draußen aufhalten. Das kann insgesamt dazu führen, zusammen mit der steigenden Durchimpfungsrate, dass wir so etwas nicht noch einmal machen müssen. Ob wir die dritte Welle so brechen können, ist noch etwas fraglich. Allerdings könnte man tatsächlich dazu beitragen, dass sie flacher abläuft, als wir es ohne diese Maßnahmen erwarten müssten. Das ist ja auch immerhin schon mal etwas.
Firmen sollen sich freiwillig selbst dazu verpflichten, ihre Mitarbeiter zweimal pro Woche zu testen. Reicht das aus?
Zweimal die Woche testen ist schon mal nicht schlecht. Da sind möglicherweise positive Fälle, die man dann aus dem Verkehr ziehen kann. Das ist besser als gar nicht testen. Wenn so etwas konsequent angewendet werden könnte auf die Schulen, dann wäre das auch sehr hilfreich.
Aber müsste man das dann nicht verpflichtend machen?
Eigentlich könnte da der wirtschaftliche Bereich noch etwas stärker in die Pflicht genommen werden, das ist schon richtig.
Auch bei den Schulen soll es den Ländern und Kommunen selbst überlassen werden. Die richtige Teststrategie ist das nicht, oder?
Das ist immer die Diskrepanz. Es werden solche Dinge beschlossen in der Bund-Länder-Runde, und dann ist es den Ländern überlassen, wie sie es tatsächlich umsetzen. Da muss man etwa dran erinnern, wie Brandenburg plötzlich die Grenze hochgesetzt hat von 100 auf 200.
Stichwort: Osterferien und Verreisen. Da bleibt es ja auch bei dem Appell, man solle lieber zu Hause bleiben. Enttäuscht Sie das?
Ich hätte mir gewünscht, dass man Auslandsreisen noch stärker kontrolliert - also Reiserückkehrern eine Quarantäne auferlegt, aus der man sich freitesten lassen kann. So haben wir das ja auch schon 2020 erfolgreich gemacht. Jetzt ist es zu lasch.
Fluggesellschaften müssen Menschen, die aus dem Urlaub nach Deutschland zurückfliegen, vor der Abreise testen. Ist das als Einzelmaßnahme wirkungsvoll?
Es würde zumindest die Menschen detektieren, die schon große Viruslast im Rachen haben und dann auch das Virus sehr leicht weitergeben könnten. Das ist besser als nichts. Natürlich wäre eine sich anschließende Quarantäne noch besser, um dann auch die, die noch nicht über die Nachweisgrenze bei den Antigen-Schnelltests kommen, davon abzuhalten, das Virus weiterzuverbreiten. Wir müssen ja auch dran denken, dass durch diese Reisetätigkeit möglicherweise auch verstärkt die neuen Varianten nach Deutschland eingebracht werden.
Ist es denn grundsätzlich eine gute Idee, in diesen Zeiten in ein Flugzeug zu steigen?
Nein, es ist überhaupt keine gute Idee, in den Flieger zu steigen. Später, in den Sommerferien, wenn wir alle diese Massen-Durchimpfungsphase auch in den anderen Ländern hinter uns haben oder wenn es gut läuft, kann man darüber reden. Jetzt ist es sehr gefährlich.
Quelle: ntv.de, jog