Häufigeres Kälte-Paradoxon Warum es trotz Erderwärmung zu extremen Kältewellen kommt
19.01.2024, 12:10 Uhr Artikel anhören
Weite Teile Deutschlands versinken derzeit im Schnee.
(Foto: picture alliance/dpa)
Um die Jahrtausendwende prophezeien einige Klimaforschende, dass es in vielen Skigebieten schon sehr bald keinen Schnee mehr geben wird. Bis heute kommt es jedoch immer wieder zu extremen Kälteperioden und auch in diesem Winter versinken nicht nur Teile Deutschlands tief im Schnee. Wie passt das zusammen?
Schnee und Eis trotz Klimaerwärmung? Schon in dem Blockbuster "The Day After Tomorrow" wurde 2004 das Szenario einer neuen Eiszeit durch die Unterbrechung der atlantischen Ozeanzirkulation aufgrund der Eisschmelze in den Polarregionen entworfen, ähnlich den Geschehnissen vor etwa 8200 Jahren. Inzwischen ist die Klimaforschung allerdings etwas vorangekommen und auch die Beobachtungen der vergangenen Jahre weisen auf eine wahrscheinlich etwas andere Zukunft hin: eine Welt, in der sowohl extreme Hitzewellen als auch extreme Kältewellen auf der Tagesordnung stehen.
Dafür sind inzwischen mehrere Gründe bekannt, die wie letztlich alles im hochkomplexen Klimasystem auch miteinander zusammenhängen. Eines gleich vorweg: Extreme Kältewellen sind kein Argument gegen die Klimaerwärmung. Im Gegenteil, sie können sogar mit der globalen Erwärmung zusammenhängen, auch wenn das auf den ersten Blick vollkommen paradox erscheint.
Kältewellen sind natürliche Schwankungen
Ein Blick auf die globale Wetterlage verrät: Extreme Kältewellen werden fast immer durch noch extremere Hitzewellen andernorts ausgeglichen. Solche Hitzewellen finden auch derzeit statt, etwa in Grönland, Kanada, Ostrussland und Alaska, wo es zum Teil bis zu 30 Grad wärmer ist als für die Jahreszeit normal.
Dass Klimaerwärmung nicht bedeutet, dass es nicht in Deutschland oder anderswo gelegentlich auch mal kalt ist, ist somit offensichtlich. Außerdem nehmen Hitzerekorde global als auch in Deutschland deutlich zu - auch im Winter. Kälterekorde werden dagegen immer seltener. Aber sie sind eben selbst bei zunehmend kürzerer Dauer der Kältewellen auch in immer wärmeren Wintern weiterhin möglich. Und dafür gibt es noch weitere Gründe.
Der arktische Polarwirbel gerät ins Straucheln
Dass es selbst in Deutschland noch heute immer wieder zu extremen Kältewellen mit Temperaturen bis unter minus 20 Grad kommt, hat auch mit dem arktischen Polarwirbel, der Verteilung von Ozean- und Landflächen auf der Nordhalbkugel und wärmeren Ozeanen zu tun. Der Polarwirbel bildet sich im Herbst und Winter in der unteren Stratosphäre aufgrund des enormen Temperaturunterschieds zwischen den eisigen Polarregionen und niedrigeren Breiten und umspannt die gesamte Hemisphäre.
Auf der Südhalbkugel ist der Polarwirbel allerdings deutlich stabiler als auf der Nordhalbkugel. Das liegt vor allem an der Verteilung von Ozean- und Landflächen. Während die Antarktis eine fast symmetrisch um den Südpol verteilte Landfläche aufweist, auf der kilometerdicke Eispanzer liegen, befindet sich am Nordpol der arktische Ozean mit nur einer verhältnismäßig dünnen Eisschicht. Meeresströmungen können vom Nordatlantik aus viel Wärme in die Arktis transportieren und so den Temperaturunterschied mindern.
Während es in der Antarktis im Winter regelmäßig bis zu minus 80 Grad kalt werden kann, gibt es in der Arktis eher selten Temperaturen deutlich unter minus 50 Grad. In den letzten Jahren gab es gelegentlich sogar am Nordpol mitten im Winter Temperaturen über null Grad. Das arktische Meereis geht drastisch zurück, was zu noch schnellerer Erwärmung führt.
Ist der Polarwirbel weniger stabil und wird durch Energiezufuhr von außen gestört, kann er deutlich aus der Arktis verschoben, verformt und geschwächt werden. Dann kann die eisige arktische Luft in bodennahen Schichten sich wenige Wochen später auf den Weg weit nach Süden machen - im Gegenzug allerdings auch warme Luft weit nach Norden vordringen. Der Luftmassenaustausch zwischen hohen und niedrigen Breiten nimmt zu. Und je mehr Wärme in die Arktis transportiert wird, desto weniger stabil ist der Polarwirbel - die Wahrscheinlichkeit nimmt somit weiter zu, dass die kalte Arktisluft sich immer wieder mal weit nach Süden aufmachen kann.
Erwärmung der Ozeane verstärkt Wettersysteme
Ein weiterer Grund für beständige Kältewellen liegt in der Erwärmung der Ozeane, vor allem der nördlichen Ozeane wie Nordpazifik, Nordatlantik und dem arktischen Ozean. Im Winter führt das in hohen Breiten zu einem wachsenden Temperaturkontrast zwischen Land- und Ozeanoberfläche. Dies beeinflusst die Lage von Hoch- und Tiefdruckgebieten, mit mehr Tiefdruck über dem Ozean und mehr Hochdruck über Land. Im Winter bedeutet Hochdruck meist kaltes Wetter, da die Sonne kaum über den Horizont reicht und der Wärmeverlust somit größer ist als die Sonneneinstrahlung.
Doch auch die Stärke von Hochs und Tiefs wird durch die Erwärmung der Ozeane beeinflusst, Klimatologen sprechen auch von einer Intensivierung des hydrologischen Kreislaufs. Durch zunehmende Verdunstung enthalten maritime Luftmassen mehr Wasserdampf und damit mehr sogenannte latente Energie. Dadurch können Tiefdruckgebiete beziehungsweise Stürme kräftiger werden und die Luft in ihrem Inneren steigt immer schneller auf. Da die Atmosphäre ein so gut wie geschlossenes System ist, muss die aufsteigende Luft aber auch irgendwo wieder absinken, dort herrscht dann am Boden Hochdruck. So wird indirekt auch die Stärke von Hochdruckgebieten beeinflusst. Und in stärkeren Hochdruckgebieten gibt es beispielsweise oft weniger Wolken, die den Wärmeverlust begrenzen können, es kann kälter werden.
Durch diesen Mechanismus könnte die schon seit Wochen andauernde extreme Kältewelle in Skandinavien also direkt mit den derzeit rekordhohen Meerestemperaturen im Nordatlantik zusammenhängen, ähnlich wie die Dürre im Amazonas mit dem El-Niño-Phänomen zu erklären ist, also den hohen Temperaturen im Ostpazifik. Die extremen Temperaturen im Nordatlantik könnten mit dem andauernden Rekord-Minimum des antarktischen Meereises und einer daraus resultierenden Verlangsamung der atlantischen Umwälzströmung zusammenhängen. Ob dies tatsächlich so ist, wird die Klimaforschung aber wohl erst in einigen Jahren mit Sicherheit beantworten können.
Quelle: ntv.de