Dosenravioli statt Getreide?Das bunkert der Staat für den Notfall
Caroline Amme
Welche Lebensmittel benötigt man in einem Krisenfall? Neben Weizen am besten auch Dosenravioli, findet Landwirtschaftsminister Rainer. Experten kritisieren die staatlichen Notfallvorräte jedoch als unzureichend und schlecht verteilt. Sie raten, sich Länder wie Finnland zum Vorbild zu nehmen.
Drei Kilo Brot, Nudeln, Reis und Kartoffeln, 20 Liter Wasser sowie 2,5 Kilo Obst und Nüsse - das und mehr empfiehlt die Bundesregierung als eigenen Vorrat für den Notfall zu Hause zu haben, pro Person. Möglichst für zehn Tage sollten wir uns mit Lebensmitteln selbst versorgen können. "Das soll die Menschen sensibilisieren, dass auch hier bei uns Stromausfälle, Hochwasser oder Stürme vorkommen können", sagt Marianne Suntrup vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK).
In Ländern wie Finnland ist es normal, für Notlagen vorzusorgen. In Deutschland werden Prepper, die Lebensmittel und Klopapier im Keller bunkern, eher belächelt. Bis jetzt. Denn auch die Bundesregierung diskutiert derzeit darüber, welche Lebensmittel für Notfälle in die staatlichen Vorratskammern und Keller gehören: In mehr als 150 geheimen Lagern liegen mehrere Hunderttausend Tonnen Getreide, Hülsenfrüchte und Kondensmilch für die Bevölkerung bereit.
Zum einen hat der Staat die zivile Notfallreserve angelegt. Diese besteht aus Reis, Erbsen, Linsen und Kondensmilch. Außerdem gibt es die Bundesreserve Getreide: Aus Weizen, Roggen und Hafer soll im Krisenfall Mehl und Brot gemacht werden. Nudeln, Fleisch, Käse, Gemüse und Obst werden nicht eingelagert.
Mit den Vorräten möchte der Staat kurzfristige Notlagen überbrücken. Geheim sind die Lager deshalb, damit sie nicht geplündert werden, wenn es hart auf hart kommt.
Geheimrezept Dosenravioli
Das Problem ist, dass diese Vorräte erst zubereitet werden müssen. Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer möchte die Notfallreserve deshalb ausbauen und die Rohwaren um lang haltbare Fertigprodukte ergänzen. Die müsse man nur aufwärmen, dann könne man sie sofort verzehren, hat Rainer Ende August im "Berlin Playbook Podcast" von "Politico" gesagt: "Da spricht man vielleicht über Dosenravioli oder Dosenlinsen oder andere Dinge. Auf alle Fälle schon fertig gegarte Sachen. Das, was wir jetzt gelagert haben, muss ja erst zubereitet werden."
Die neue Notfallreserve hat ihren Preis: Sie soll 80 bis 90 Millionen Euro kosten, sagt Rainer. Zusätzlich zu den 30 Millionen Euro, die die Lagerhaltung aktuell kostet.
"Weiterverarbeitungsprozesse sind nicht Teil der Pläne"
Wie viel Essen der Staat aktuell bunkert, ist nicht öffentlich. Ende 2021 lagerten in der Bundesreserve Getreide rund 700.000 Tonnen Weizen, Hafer und Roggen - verteilt auf 300 Lager. Dazu kamen rund 125.000 Tonnen Reis, Erbsen und Linsen aus der Zivilen Notfallreserve; die Hersteller haben dafür rund 5000 Tonnen Kondensmilch eingelagert. Dieser Vorrat hätte die deutsche Bevölkerung zum damaligen Zeitpunkt etwa 16 Tage lang ernähren können.
Laut Plan sollen die staatlichen Notreserven die Bevölkerung in Deutschland nur eine begrenzte Zeit lang versorgen: zwischen einigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen, sagt die Bundesregierung. Rainer spricht im "Berlin Playbook Podcast" von zehn Tagen.
Doch es gibt Widerspruch. Experten kritisieren die Auswahl an Lebensmitteln als nicht zeitgemäß. Zum einen fehlt es an Vielfalt für eine ausgewogene Ernährung, findet der Bundesverband der obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie (BOGK). Er spricht sich dafür aus, auch Obst- und Gemüsekonserven sowie getrocknete Kartoffelprodukte in die Zivile Notfallreserve aufzunehmen, und empfiehlt, die Bundesreserve Getreide um Kartoffelprodukte zu ergänzen.
Zum anderen müssen Weizen und Co. weiterverarbeitet werden. Erst wenn Mühlen das Mehl gemahlen haben, können Bäckereien damit Brot und Brötchen backen. "Diese gesamten Weiterverarbeitungsprozesse, die gesamte Transportlogistik, Lagerlogistik, Verteillogistik ist nicht Teil der Pläne", kritisiert der Risikoforscher Marcus Wiens von der TU Bergakademie Freiberg im MDR.
Zudem fehlt es zum Backen inzwischen vielerorts an kleinen Bäckereien um die Ecke, sagt der Sicherheitsexperte Ferdinand Gehringer von der Konrad-Adenauer-Stiftung. "Wir haben diese Backstrukturen gar nicht mehr, das verarbeitende Gewerbe in der Stadt. Also sollten wir vielleicht auch überlegen, ob wir diese Reserve umstrukturieren."
Fruchtpulver statt Dosennahrung
Braucht die Notfallreserve also wirklich mehr Lebensmittel in Dosen? Die Erfindung der Konservendose war eine Revolution im 19. Jahrhundert. Noch heute lassen sich darin Lebensmittel jahrelang aufbewahren.
Sie sind nicht für alle Krisenfälle die richtige Lösung, sagt Andrea Büttner, Institutsleiterin von der Fraunhofer-Gesellschaft im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". "Wenn ich Dosen zu Hause habe, habe ich dann auch die Möglichkeit, das zuzubereiten, was in der Dose drin ist? Wie ist es bei Stromausfall? Liefert diese Dosennahrung tatsächlich die Nährstoffe, die man benötigt?"
Mittlerweile gebe es modernere Verpackungen - und neue Möglichkeiten, wie man Lebensmittel verarbeiten kann. Beispielsweise in Pulverform: Obst und Gemüse zum Anrühren. Auch das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV von Andrea Büttner hat ein Verfahren dazu entwickelt.
Der Vorteil solcher konzentrierter Frucht- und Gemüsepulver ist, dass sie lange halten, wenig Lagerplatz wegnehmen und sich leicht mit Wasser zubereiten lassen, sagt Büttner. "Diese Pulverzubereitungen haben einen hohen Vitamingehalt, sind extrem leichtgewichtig und können auch einfach transportiert werden." Zudem könne man sie mit Obst und Gemüse herstellen, das heute wegen Mängeln nicht im Supermarkt verkauft wird.
Zentrale Lager sind anfällig
Kritik gibt es auch an den Lagern für die zivile Notfallreserve und die Bundesreserve Getreide. Die Hallen werden von privaten Unternehmen betrieben. Sie müssen sich bewerben und strenge Auflagen erfüllen. Schließlich sollen sich keine Schädlinge ausbreiten oder Mäuse über die Körner herfallen. Alle zehn Jahre werden die Bestände ausgetauscht. Bisher wurden die Notfallvorräte noch nie gebraucht.
Die rund 150 Lager sind in ganz Deutschland verteilt, finden sich vor allem aber in der Nähe von Ballungsgebieten. In den aktuellen Ausschreibungen von März wurden etwa Lagerhalter in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen-Anhalt oder Niedersachsen gesucht.
Solche großen, zentralen Lagerstätten sind enorm anfällig, auch für Angriffe, gibt Sicherheitsexperte Gehringer zu bedenken. "Als Gegner suche ich mir drei Lager aus, setze die in Brand und schaffe mal kleine oder größere Versorgungsengpässe." Stattdessen brauche es kleinere, dezentralere Lager. "Dadurch muss ich weniger Augenmerk auf die Logistik legen, weil die sowieso schon vor Ort ist."
Norwegen lagert wieder Getreide ein
Während die deutsche Bevölkerung im Notfall nur eine begrenzte Zeit lang ernährt werden kann, möchten andere Länder für einen längeren Zeitraum vorsorgen. Norwegen hat im vergangenen Herbst wieder begonnen, einen Notvorrat anzulegen. Jährlich kauft das Land 15.000 Tonnen Getreide ein. Bis 2029 will Oslo rund 82.500 Tonnen Getreide einlagern, das reicht für etwa drei Monate.
In der Schweiz sind Unternehmen gesetzlich verpflichtet, Vorräte an Grundnahrungsmitteln anzulegen: Sie müssen Getreide, Reis, Speiseöl, Zucker oder Kaffee für mehrere Monate einlagern. Die aktuellen Vorräte reichen für etwa drei bis vier Monate.
Vorreiter ist Finnland. Dort reichen die staatlichen Getreidevorräte für sechs bis neun Monate. Auch Lager für Medikamente und Treibstoffe sind Pflicht. Das Land ist generell gut vorbereitet auf den Ernstfall. Alle Menschen haben zu Hause einen Notvorrat aus Wasser, Lebensmitteln und wichtigen Utensilien. Das finnische Modell soll auf die gesamte EU angewendet werden: Jeder Haushalt soll Vorräte für mindestens 72 Stunden anlegen.