Fußball

Fehlanzeige bei Erfolg und Wille Der Gewinner des DFB-Jubiläums heißt Süle

Süle war nicht dabei. Ziemlich gut für ihn.

Süle war nicht dabei. Ziemlich gut für ihn.

(Foto: IMAGO/Laci Perenyi)

Dem DFB-Team mangelt es im 1000. Länderspiel gegen die Ukraine an Vielem: Zuordnung, Einsatzwille, dem Sieg für die Aufbruchstimmung. Vor allem die Defensive offenbart große Schwachstellen. Auch, weil Hansi Flick experimentiert und scheitert. Das hilft einem, der gar nicht dabei ist.

Nach einer guten Stunde gab Hansi Flick es auf. Das Experiment der Dreierkette und einer Doppelspitze beim DFB-Team war im Spiel gegen die Ukraine gescheitert. 1:3 lag Deutschland zu diesem Zeitpunkt im 1000. Länderspiel zurück. Nach der frühen Führung bot die DFB-Elf fast nur noch die hässliche Fratze. Viele Lücken in der Defensive, Behäbigkeit im Nachrücken, fehlender Einsatz und Wille bei Kontern, ein Fehlen der Zuordnung zu den Gegenspielern und individuelle Patzer machten das zwischenzeitliche Desaster perfekt.

Nach einer Stunde gab Flick es also auf, stellte um auf die gewohnte Viererkette im 4-3-3-System. "Heute hat das in verschiedenen Situationen nicht geklappt, auch individuell hatten wir ein paar Fehler, die wir nicht machen dürfen", sagte der Bundestrainer nach dem Spiel in Bremen. Gemeint war damit etwa der gegen die Ukraine indisponierte und zur Halbzeit ausgewechselte Nico Schlotterbeck, der beim ersten Gegentor viel zu weit von seinem Gegenspieler entfernt stand und das 1:1 durch Viktor Tsygankov nach einem Fehlpass von Julian Brandt nicht vereiteln konnte. Kein gutes Stellungsspiel zu haben, zog sich an dem Abend für Schlotterbeck durch. Auch am 1:2 trug er eine Mitschuld, nachdem David Raum unter Druck den Ball verloren hatte. Dass der Treffer letztlich als Eigentor von Antonio Rüdiger gewertet wurde, machte kaum einen Unterschied.

Und apropos individuelle Fehler, auch das 1:3 entstand durch einen solchen. Matthias Ginter konnte ein halbhohes, unglückliches Zuspiel von Brandt nicht unter Kontrolle bringen, verdaddelte äußerst schlecht aussehend den Ball, den sich Artem Dowbyk schnappte und für Doppeltorschütze Tsygankov auflegte. Viel Slapstick und spielerische Ohnmacht prägten das historisch so bedeutsame Spiel. Zwar hatte DFB-Präsident Bernd Neuendorf vor dem Anpfiff das Motto ausgegeben: "Wir spielen nicht gegen sie, sondern miteinander." Doch eine ganze Zeit lang spielte das Team von Neu-Nationaltrainer Sergej Rebrow nach Belieben mit der DFB-Auswahl. Die auf den 14. Rang in der FIFA-Weltrangliste abgerutschten Deutschen - hinter den USA und der Schweiz - ließ sich vom 30. der Liste übertölpeln.

Flick hält an Spielidee fest

Als die Fans im Bremer Weserstadion schon pfiffen und mit Sprechchören ironisch den SV Werder anfeuerten, hatte Flick ein Einsehen und stellte um. Allerdings nicht für immer, er hält an der grundsätzlichen Idee fest, "noch ein anderes System" zu brauchen. Er werde mit der Mannschaft an den "Automatismen, die Spiele und Training brauchen, arbeiten - und Dinge, die wir nicht gut gemacht haben, klar ansprechen und trainieren". Er habe "einen Prozess begonnen, da müssen wir diese Fehler in den kommenden Spielen abstellen und kompromissloser verteidigen."

Es wirkt schon etwas verzweifelt, wenn Flick nach dem Spiel betont: "Was ich im Training sehe, ist auf sehr hohem Niveau. Aber die Mannschaft verliert relativ schnell das Vertrauen in ihre Qualität, da müssen wir dran arbeiten, das am besten mit Siegen Stück für Stück wieder erspielen." Sein Rekordstart beim DFB-Team mit acht Siegen nacheinander ist längst dahin, in den weiteren 14 Partien gelangen dem Bundestrainer lediglich noch vier Erfolge. Das 3:3 gegen die Ukraine am Montag in Bremen war die zehnte sieglose Partie.

Viel Ärger bei den Spielern

Hinterher gaben sich die beteiligten Akteure immerhin reichlich zerknirscht: "Wir schenken dem Gegner alle Tore" beklagte Abwehrchef Antonio Rüdiger und betonte: "Diese Fehler tun weh." Auch Kapitän Joshua Kimmich, der mit seinem späten Foulelfmeter den 3:3-Endstand herstellte, schimpfte: "Ob mit Fünfer- oder Viererkette, die Fehler dürfen wir nicht machen. Wir kriegen aus einfachen Mitteln des Gegners Gegentore."

Und Torhüter Kevin Trapp, der bei seinem ersten Länderspiel-Einsatz nach 15 Monaten gleich dreimal hinter sich greifen musste und ein viertes Tor knapp verhinderte, sagte: "Wir sollten uns jetzt nicht über das System beschweren. Wir haben es versucht, wir wollten es ausprobieren, um variabler zu sein. Am Ende werden wir sehen, was uns besser tut. Aber jetzt über das System zu sprechen nach dem Spiel, ist ein bisschen zu viel." Auch Rüdiger wollte eine Taktik-Diskussion gar nicht aufkommen lassen. Man müsse "Zweikämpfe gewinnen", so der Innenverteidiger in der ARD: "Das Ding ist mangelnde Konzentration." Und er vermisste "die Hingabe".

Nun ist die Liga-Saison beendet, auch die Pokal- sowie die europäischen Finals gespielt und die meisten Profifußballer weilen irgendwo an den Stränden Dubais, Ibizas oder sonstwo auf der Welt. Sie haben durch die Winter-WM in Katar die gefühlt längste Saison aller Zeiten hinter sich, das schlaucht. Doch noch immer gilt: Wer für sein Land berufen wird und spielen darf, sollte es als Auszeichnung ansehen und sich reinhauen - oder dem Trainer ehrlich sagen, dass es nicht geht.

Süle und die Mentalitäts-Frage

Einem anderen hatte Flick bekanntlich die Mentalität für die DFB-Elf abgesprochen. Niklas Süle musste für den Länderspiel-Dreierpack vor dem Fernseher bleiben. Süle habe als Verteidiger "riesiges Potenzial", hat Flick der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gesagt, "aber ich finde, er lässt noch einiges liegen. Ich will, dass er von seiner Einstellung, von seiner Mentalität einen Schritt nach vorne macht." Er betonte: "Die zehn Prozent, die fehlen, die machen es eben aus. Um die geht's mir."

Mindestens zehn Prozent fehlten gegen die Ukraine jedoch vielen seiner Spieler. Von Aufbruchstimmung in Richtung Heim-EM im kommenden Jahr ist nichts zu spüren. Groß angekündigt war, endlich wieder das Publikum mitreißen zu wollen, eine Euphorie zu entfachen - die Blase platzte früh. Nun wirkt es nach dem Ukraine- und vor dem Polen-Spiel (Samstag, 20.45 Uhr/ARD und im ntv.de-Liveticker) wie Ironie, dass Flick den BVB-Verteidiger Süle vorab mit den Worten abstrafte: Jeder Nationalspieler solle den Anspruch haben, "das Maximum aus seinem Potenzial zu machen, mit weniger durchkommen, das entspricht nicht meiner Mentalität".

Da auch Sportdirektor Rudi Völler, mehr für die dringend benötigte gute Laune und den Sinneswandel weg von der Politik zurück zum Schwarz-Rot-Goldenen Freudentaumel zuständig als für Handfestes, in die Süle-Kritik einstieg - "Wir wären alle froh, wenn Niklas Süle sein Potenzial, das er hat, voll ausschöpfen würde. Wir wünschen uns alle, dass er über gute Leistungen auf den Zug aufspringt" - wirkt die Kritik nach dem missratenen Unentschieden in Bremen reichlich kurios. Denn "das Maximum aus seinem Potenzial" machte im Grunde niemand. Ausgenommen vielleicht Kai Havertz, der nach seiner Einwechslung zu Halbzeit das Offensivspiel belebte und, so Flick, das Spiel "mit zwei Einzelleistungen" und dem Anschlusstreffer zum 2:3 ausglich.

Lob von Teamkollegen

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Die DFB-Granden zogen sich mit ihrer überraschenden Kritik zudem den Unmut nicht nur von Süles Klub Borussia Dortmund, sondern auch aus den eigenen Reihen zu. Emre Can sagte der FAZ: "Ich habe Niklas die letzten Monate bei uns im Verein extrem stark gesehen. Er ist vorangegangen und hat sich persönlich sehr weiterentwickelt, was Führungsstärke angeht. Ich kann das beurteilen, da ich ihn sehr lange kenne." Er gab zudem Einblick in das Geschehen beim BVB: "Er ist im Mannschaftsrat und versucht, sich sehr einzubringen. Er sagt seine Meinung, wenn ihm was nicht passt. Er wird nächste Saison sicher Gas geben, damit er wieder eingeladen wird." Auch Rüdiger betonte: "Natürlich fehlt er, weil für mich ist er qualitativ ein sehr guter Spieler. Ich verstehe mich gut mit ihm und hoffe, dass er bald wieder mit an Bord ist." Die Ignoranz gegenüber Süle nahm Rüdiger "verwundert" zur Kenntnis.

Statt Süle hatte Flick für die Spiele die gegen die Ukraine aufgebotenen Innenverteidiger Rüdiger, Schlotterbeck und Ginter sowie Conference-League-Sieger Thilo Kehrer und AC-Mailand-Aufsteiger Malick Thiaw nominiert. Nach den offensichtlichen Problemen der Defensive bleibt nur ein Schluss: Niklas Süle ist der Gewinner des Jubiläumsspiels. Denn er war nicht dabei, niemand weiß, wie es mit ihm gelaufen wäre. Mutmaßlich besser, lautet das Narrativ. Noch dazu ist er von seinen Fürsprechern gelobt worden. Das ist im Grunde das Beste, was er aus diesem Spiel gegen die Ukraine rausholen konnte.

Quelle: ntv.de

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