DFB-Elf vor 1000. Länderspiel Die Mannschaft, die Deutschland euphorisiert und deprimiert
12.06.2023, 11:45 Uhr
Vielleicht der größte Moment in 115 Jahren deutscher Länderspielgeschichte: Fritz Walter und Kollegen schafften 1954 das "Wunder von Bern".
(Foto: picture alliance / Pressefoto Baumann)
999 Länderspiele, so viele Momente, unzählige Fakten: Vor der Partie Nummer 1000 der deutschen Nationalelf gegen die Ukraine lohnt sich ein Blick auf die größten Siege, bittersten Niederlagen und besten Torschützen. Und wer waren eigentlich der erfolgreichste DFB-Trainer und der jüngste Torschütze jemals?
Alles begann mit einem Bierchen. Über vier Weltmeistertitel, drei Siege bei Europameisterschaften und globalen Ruhm wurde damals, 1908 in Basel, wohl noch nicht palavert. Auch die "Schmach von Cordoba", schreckliche "ZSMMN"-Hashtags und die zwei aufeinanderfolgenden Vorrunden-Knockouts bei den Weltmeisterschaften 2018 und 2022 haben die Kicker Anfang des 20. Jahrhunderts noch nicht kommen sehen. Egal. Am 5. April vor 115 Jahren saß die deutsche Nationalmannschaft nach einem Frühstück und einem Besuch im Zoo zum ersten Mal bei einem frisch Gezapften zusammen und schwor sich auf die Länderspiel-Premiere des DFB ein. 998 sollten folgen, am heutigen Abend steht das große Jubiläum in der Partie gegen die Ukraine (18 Uhr/ZDF und im Liveticker auf ntv.de) an.
Das erste Spiel gegen die Schweiz ging zwar mit 3:5 verloren, wohl auch weil kein Trainer an der Seitenlinie stand und die Fußballer sich nicht einmal hatten zusammen einspielen können (dafür gab es immerhin 20 Mark Spesen). Trotzdem markierte das Spiel den Beginn einer äußerst erfolgreichen Historie - mit prägenden Spielern, großen Momenten und bitteren Niederlagen.
Nun also das 1000. Spiel. Sportlich unwichtig wird es eines der politischsten der Verbandsgeschichte. Bernd Neuendorf erkannte am Freitag in der Partie vor allem ein Signal. "Das hat eine ganz besondere Bedeutung. Wir spielen mehr mit der Ukraine als gegen die Ukraine", sagte der DFB-Präsident vor dem sportlichen Friedensgipfel in Bremen. Das Spiel sei ob des Angriffskriegs Russlands "ein wichtiges Zeichen für Solidarität und die Unterstützung der Bevölkerung in diesem Land". Unter anderem wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Stadion erwartet.
Neuendorf schwärmte vor der "1000" aber von der "unglaublichen Historie" der Nationalmannschaft, denn bisher haben nur England, Brasilien, Südkorea und Argentinien "diese Schallmauer" durchbrochen. Unvergessen sind in dieser Historie Highlights wie "Das Wunder von Bern" 1954, das 223. DFB-Länderspiel, und die nächsten beiden WM-Titel mit Kapitän Franz Beckenbauer (1974) und Teamchef Franz Beckenbauer (1990). Monumental war auch der Erfolg von Joachims Löws Männern 2014 in Rio de Janeiro als erste europäische Mannschaft auf dem amerikanischen Doppel-Kontinent.
Hinzu gesellten sich die EM-Titel 1972 in Belgien mit Torschützenkönig Gerd Müller, 1980 in Italien dank Horst-Hrubesch-Doppelpack im Finale und 1996 in England samt Golden Goal im Endspiel und Pokalübergabe durch Queen Elizabeth II. Zuletzt schwächelte die "Turniermannschaft" Deutschland freilich und scheiterte bei den letzten vier Großturnieren stets vor dem Finale - eine ähnliche Negativserie für die DFB-Männer hatte es zuvor noch nie gegeben. Wäre die DFB-Elf bei der WM in Katar nicht erneut in der Vorrunde gescheitert und mindestens bis ins Halbfinale gekommen, dann wäre die "1000" noch 2022 erreicht worden.
Derwall erfolgreichster DFB-Coach
Insgesamt holte die DFB-Elf 578 Siege in den bisherigen 999 Partien, spielte 207-mal Remis und musste nach 214 Partien das Feld als Verlierer verlassen. 18-mal musste die Nationalmannschaft in die Verlängerung, acht Mal ging es sogar bis ins Elfmeterschießen - wo das Team sechsmal die Überhand behielt. Niederlagen gab es im allerersten DFB-Elfmeterschießen im EM-Finale 1976 gegen die Tschechoslowakei, als Uli Hoeneß den Ball in den Himmel über Belgrad drosch und Antonin Panenka gegen Sepp Maier legendär die Entscheidung herbeilupfte.
Häufigstes Ergebnis nach maximal 120 Minuten war ein 1:1 (91-mal), häufigster Spieltag der 11. Oktober (16-mal). Während Hansi Flick acht Siege in seinen ersten acht Partien feierte, reichte das noch nicht zur längsten Siegesserie: Die begann am 2. Mai 1979 erstreckte sich bis zum 14. Juni 1980 über zwölf Spiele, ehe sie drei Tage später mit einem 0:0 gegen Griechenland endete. Sieben Pleiten in Folge setzte es dafür von 1912 bis 1915.
Auch direkt zum Anfang hatte es vier Niederlagen in Folge gegeben, darunter ein 0:9 gegen England im März 1909 - ehe am 4. April 1909 in zwei am selben Tag mit unterschiedlichen Teams ausgetragenen Länderspielen mit einem 3:3 gegen Ungarn in Budapest das erste Unentschieden und mit einem 1:0 in Karlsruhe gegen die Schweiz der erste Sieg gelang - immer noch ohne Trainer.
Neben der historischen Klatsche gegen England fand auch der bislang höchste Sieg, ein 16:0 gegen Russland im Juli 1912, noch ohne Coach statt. Insgesamt war die DFB-Elf die ersten 58 Partien auf sich allein gestellt. Die Chefs an der Seitenlinie gesellten sich anschließend aber natürlich hinzu. Anfangs einer legendärer als der andere, etwas später manch einer nicht mehr ganz so erfolgreich. Elf gab es insgesamt und darunter befand sich keine Frau. Allesamt waren sie zudem Deutsche und bis auf vier (Otto Nerz, Erich Ribbeck, Joachim Löw und Flick) auch ehemalige Nationalspieler. Interessanterweise wurde in der 115-jährigen DFB-Geschichte noch kein einziger Trainer der Männer gefeuert. Dieses Schicksal widerfuhr von den DFB-Trainern und Trainerinnen bislang nur Steffi Jones bei den Frauen.
Der erfolgreichste Coach war Jupp Derwall, der zwischen 1978 und 1984 fast 66 Prozent der Spiele gewann. Es folgen Berti Vogts (64,71) und Helmut Schön (62,59). Der statistisch schlechteste Nationaltrainer war Erich Ribbeck, der von 1998 bis 2000 nur knapp 42 Prozent der Partien für sich und sein Team entscheiden konnte und damit als einziger mehr Niederlagen und Unentschieden als Siege verantwortete. Mit Ribbeck endete auch die Serie, dass jeder Bundestrainer oder Teamchef seit Herberger mindestens einen EM- oder WM-Titel holte. Das gelang seitdem nur noch Joachim Löw.
Apropos Siegquote: Gleich hinter Ribbeck folgt übrigens schon der legendäre Beckenbauer mit nur rund 51 Prozent gewonnenen Spielen. Aber: Einer seiner 34 Siege war das WM-Finale 1990 gegen Argentinien, das Deutschland den dritten Titel bescherte und Beckenbauer nach seinem Spieler-Titel 1974 auch zum "Trainer"-Weltmeister machte. Das war zuvor nur Mario Zagallo mit Brasilien gelungen und seitdem nur noch Didier Deschamps mit Frankreich.
England, immer wieder England
Die Engländer sind auch so etwas wie ein Angstgegner der Deutschen, was auf der Insel aber dank denkwürdiger Elfmeterschießen genau andersherum gesehen wird. Die Three Lions gewannen mit 17-mal öfter als jedes andere Team gegen die DFB-Elf bei 13 Niederlagen und 76:49-Toren. Auch die Tordifferenz von minus 27 ist für Deutschland ein negativer Bestwert, ebenso die 9 Zu-Null-Niederlagen - die es sonst nur noch gegen Frankreich gab. Neben England weisen nur noch sieben weitere Teams mehr Siege als Niederlagen gegen Deutschland auf, darunter die Topteams Brasilien, Argentinien, Frankreich und Italien. Gegen Rekord-Weltmeister Brasilien gab es überhaupt nur fünf deutsche Siege, aber 13 Niederlagen. Die bitterste war das 0:2 im WM-Finale 2002 in Yokohama, für das sich Deutschland aber auf epische Weise revanchierte: mit dem 7:1-Jahrhundertsieg im Halbfinale der WM 2014 in Brasilien.
Die meisten DFB-Siege gab es mit 36 gegen die Schweiz, gegen die Deutschland mit 53 Duellen auch so häufig wie gegen kein anderes Team antrat. Die zweitmeisten Siege gab es gegen Österreich (25), die zweitmeisten Duelle mit den Niederlanden.
Am häufigsten bei WM-Turnieren war Argentinien der Gegner. Unter den sieben Partien waren gleich drei Endspiele: 1986 (2:3), 1990 (1:0) und 2014 (1:0 n. V.). Bei Europameisterschaften sind Portugal und die Niederlande mit jeweils fünf Duellen so etwas wie deutsche Dauer-Gegner. Gegen Oranje ist die DFB-Bilanz mit zwei Siegen und zwei Niederlagen bei einem Remis nominell ausgeglichen. Eine der Niederlagen war freilich der schmerzhafte 1:2-Halbfinal-K.-o. bei der Heim-EM 1988 - nach der sich Hollands Kapitän Ronald Koeman mit dem Trikot von Olaf Thon den Hintern abwischte. Gegen Portugal stehen drei Siege, ein Remis und nur eine Niederlage zu Buche - die allerdings mit 0:3 die höchste deutsche EM-Niederlage überhaupt war, das Vorrunden-Aus besiegelte und zum Rücktritt von Erich Ribbeck führte.
Von Klose bis Müller
Zu großen Siegen gehören natürlich viele Tore - 2250 waren es bisher insgesamt, bei 1174 Gegentreffern - und legendäre Torschützen. Und mit Weltklasse-Stürmern trumpfte die DFB-Elf über das vergangene Jahrhundert immer wieder aufs Neue auf. Die meisten Tore schoss Miroslav Klose mit 71, wovon er 16 Treffer bei Weltmeisterschaften erzielte - Weltrekord. Allerdings benötigte Klose für seine 71 Tore insgesamt 137 Spiele. Zweiter in der Rangliste ist Gerd Müller, der in nur 62 Spielen unglaubliche 68 Tore erzielte. Auf Platz drei liegt Joachim Streich mit 59 Toren, wenn man die DDR-Spiele miteinberechnet. Dahinter folgen Lukas Podolski (49 in 130 Spielen) und Jürgen Klinsmann und Rudi Völler mit jeweils 47 Treffern.
Der jüngste Torschütze trug sich gleich im dritten Jahr der Länderspielhistorie ins Geschichtsbuch ein: Seit 1910 hat niemand Marius Hiller (17 Jahre, 241 Tage) unterboten. Und während man als Stürmer ein Leben lang einem Hattrick hinterherjagen kann, erzielten gleich sechs DFB-Debütanten drei Tore: Otto Dumke (1911), Josef Pöttinger (1926), Fritz Walter (1940), Heinz Strehl (1962), Dieter Müller (1976) und Serge Gnabry (2016). Gerd Müller traf viermal - allerdings in seinem zweiten Spiel. Ins eigene Tor trafen bei 31 Eigentoren Thomas Helmer, Arne Friedrich, Oliver Kahn und Mats Hummels gleich doppelt.
"Schande von Gijon"
Neben bitteren Eigentoren gab es auch dramatische Niederlagen. Das ist etwa die Endspiel-Pleite bei der WM 1966 gegen England mit dem Wembley-Tor. Bei der WM 1978 besiegte Österreich den amtierenden Weltmeister mit der "Schmach von Cordoba". Mitten ins Sommermärchen 2006 platzten die Italiener in der Verlängerung des Halbfinals. Und über die vergangenen beiden Weltmeisterschafts-Turniere braucht man nicht viel schreiben. 1982 kam, wieder gegen Österreich, ein Sieg auf die Liste der Tiefpunkte. Die "Schande von Gijon" erregte die Fußballwelt, weil mit dem 1:0-Ballgeschiebe für Deutschland Sieger und Verlierer auf Kosten Algeriens die nächste Runde erreichten.
In den 999 Partien kamen bisher 968 Spieler zum Einsatz. Rekordnationalspieler ist Lothar Matthäus mit 150 Spielen, dessen DFB-Karriere sich über 20 Jahre erstreckte. Sein Debüt feierte Matthäus am 14. Juni 1980 beim 3:2 gegen die Niederlande, sein letztes Spiel bestritt er am 20. Juni 2000 beim 0:3 gegen Portugal, das gleichzeitig das deutsche Vorrundenaus besiegelte.
Auf Rang zwei und drei liegen Miroslav Klose und Lukas Podolski, dahinter folgt das Bayern-Trio Bastian Schweinsteiger (121), Thomas Müller (121) und Manuel Neuer (117), vom dem die letzten beiden noch Plätze gutmachen könnten. Matthäus ist auch Kapitän-Rekordhalter - 75-mal trug er die Binde, die es erst seit den 1960er Jahren gibt - und mit 39 Jahren und 91 Tagen der älteste DFB-Kicker jemals. Jüngster Spieler ist seit 1908 Willy Baumgärtner (17 Jahre, 104 Tage).
Und zu guter Letzt, auch das gehört zum Fußball: Ob Rumpelfußball unter Ribbeck oder Power-Angriffen à la Löw, die Deutschen langten manches Mal richtig hin. 26-mal flog ein Nationalspieler vom Feld. Die Gegner waren aber noch härter unterwegs, da waren es 46. Thomas Berthold, Jérôme Boateng, Carsten Ramelow und Christian Wörns wurden gleich zweimal vom Platz verwiesen.
Quelle: ntv.de