Waldumbau für Pelletheizungen? Bäume fällen, um Wälder zu retten ... und sauber zu heizen?
30.11.2023, 17:14 Uhr Artikel anhören
Früher fanden sich Fichten und Kiefern vorwiegend in Hochlagen oder Gebirgsregionen, heute dominieren sie die deutsche Waldlandschaft.
(Foto: picture alliance/dpa)
Bäume werden oft als Lösung aller Probleme verkauft, denn sie verwandeln Kohlendioxid in Sauerstoff und erledigen Klimaschutz von ganz alleine. Allerdings nur, wenn sie gesund sind und wachsen. Doch viele Wälder leiden und sterben - in Deutschland speziell Nadelwälder, die einst für den Holzbau angelegt wurden. Hubert Röder möchte diese Wälder deswegen aktiv umbauen: "Wir sollten Hochrisikobestände ernten und mit Bäumen aufforsten, die besser mit Stress umgehen können", sagt der Forstexperte von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf im "Klima-Labor" von ntv.
Glaubt man Röder, schlagen wir mit dem Umbau drei Fliegen mit einer Klappe: Ein fitter Wald wächst und bindet weiteres CO₂. Zusätzlich bleiben geschlagene Bäume ein sicherer Kohlenstoffspeicher, wenn man sie im Bau einsetzt. Und das Restholz taugt als grüne Wärmequelle in der Pelletheizung - sehr zur Freude des Deutschen Energieholz- und Pellet-Verbands (DEPV), der die Studie unterstützt hat: "Diesem Diskurs stelle ich mich gern", sagt Röder. "Das ist keine Auftragsforschung."
ntv.de: Wenn wir Ihren Plan richtig verstanden haben, möchten Sie Wälder abholzen, weil das gut fürs Klima ist. Korrekt?
An heißen und trockenen Sommertagen ist auch die Luft hungrig auf Wasser. Als Wasserspender dienen Pflanzen und Bäume, aber das trocknet Gewebe und Blätter aus. Passiert das häufiger, gehen Bäume wie Balkonpflanzen ein, Wälder verkommen zu Steppen, Gebüschen oder Halbwüsten und binden kein CO₂ mehr. Ohne schützendes Blätterdach heizt sich mit der Zeit auch der Boden auf, es werden Kohlenstoffvorräte mobilisiert und freigesetzt - eine neue Quelle von Treibhausgasen ist im Wald entstanden. In Nordrhein-Westfalen sind mehrere Wälder in den vergangenen 20 Jahren bereits von einer Kohlenstoffsenke zu einer Quelle geworden, sie emittieren also mehr CO₂, als sie aufnehmen.
Hubert Röder: Auf keinen Fall, dafür liebe ich Wälder viel zu sehr. Aber wir müssen den Wald pflegen. Er leidet unter dem Klimawandel und braucht dringend Unterstützung. Der Wald ist ein lebendiges und dynamisches Objekt. Wenn wir beim Klimawandel nur zuschauen, nimmt er Schaden. Das sehen wir bereits in Deutschland und anderen Ländern mit hohen Holzvorräten. Deswegen sollten wir Hochrisikobestände ernten und mit einem Portfolio verschiedener Bäume aufforsten, die fitter für den Klimawandel sind.
Wo befinden sich diese Hochrisikobestände denn?
Wir haben leider hohe Anteile von Nadelwäldern, die aus einer einzigen Baumart bestehen: Fichte oder Kiefer. Das ist historisch bedingt. Die Fichte und die Kiefer sind typische Baumarten der borealen Nadelwälder, die bei uns ursprünglich in Hochlagen oder Gebirgsregionen heimisch waren. Aber vor einigen Jahrhunderten haben wir angefangen, sie in tieferen Ebenen anzubauen, weil sie für viele Zwecke nützlich waren - zum Beispiel als Bauholz. Eine Fichte wächst schnell und schnurgerade. Laubbäume verzweigen dagegen früh und haben nur einen geringen Anteil an Stammholz, das man als Schnittholz verwenden kann.
Wir haben auf großer Fläche Nadelwälder gezüchtet, weil man damit so gut bauen kann?
Korrekt. In Deutschland gibt es keine Primärwälder und Urwälder mehr, sondern eigentlich nur den Wirtschaftswald. Unsere Urahnen haben begonnen, Laubwälder an ihre Bedürfnisse anzupassen. Sie wollten ein Dach über dem Kopf haben und heizen können. So sind die Nadelwälder entstanden. Aber jetzt haben wir den Schlamassel: Nadelwälder leiden besonders unter dem Klimawandel. Diesen Wäldern müssen wir helfen, sie neu aufstellen und verjüngen.
Jetzt haben wir aber neue Bedürfnisse, denn Bäume und Wälder sind gut darin, unser Klima zu regulieren. Lokal merkt man das immer an heißen Tagen, wenn es im Wald spürbar kühler ist. Global schätzt man vorwiegend die Fähigkeit, CO₂ zu speichern. Und es gibt viele Forscher, die überzeugt sind: Diese Wälder sollte man in Ruhe lassen. Die Natur weiß am besten, was sie tut, und wird auch mit dem Klimawandel fertig werden.
Ich habe wenig Verständnis für Kollegen, die zuschauen wollen, wie Wälder vor die Hunde gehen. Das ist nicht korrekt. Momentan steht die Speicherfunktion im Fokus: Wälder binden CO₂ aus der Atmosphäre. Aber was ist denn mit dem jährlichen Zuwachs? Was bindet ein Wald jedes Jahr zusätzlich zu dem, was er bereits gespeichert hat?
Zusätzlich?
Genau. Jeder Wald hat Kohlenstoff gespeichert. Aber was kommt on top dazu? Je älter unsere Wälder werden, umso weniger speichern sie aktiv ein. Die Speicherfunktion lässt allmählich nach. Denn natürlich bedrängen sich die Bäume mit der Zeit und das Licht nimmt ab. Einige Bäume überleben diesen Wettbewerb nicht und sterben. Das ist natürliche Mortalität. Bei der Durchforstung kommen wir dem zuvor: Wir nutzen Bäume, die ohnehin kaum Überlebenschancen gehabt hätten, bauen daraus Häuser, stimulieren zusätzliches Wachstum bei den Bäumen, die im Wald verbleiben und helfen ihnen, noch mehr CO₂ zu binden.
Das Schöne bei dieser Bewirtschaftung ist: Auf dem Weg zu einem Stamm, der im Sägewerk verarbeitet wird, fällt Schwachholz an, das ich problemlos auch energetisch nutzen kann, also zum Heizen. Das ist ein Nebenprodukt, das geht Hand in Hand. Der Holzbau und auch die Energieversorgung profitieren von dieser Waldpflege.
Aber sobald ich Holz verbrenne, entweicht das gespeicherte CO₂ doch wieder. Dann hat man nichts gewonnen.
Korrekt. Der beste CO₂-Speicher, den wir in der Forstwirtschaft haben, sind Holzgebäude. Wir sollten deutlich häufiger mit Holz als Baustoff arbeiten, um den Kohlenstoff für Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte zu speichern. Aber von einem Baumstamm, der ins Sägewerk kommt, endet nur die Hälfte als Produkt. Die andere Hälfte fällt als Hackschnitzel und Sägespäne an, also als Restholz. Dieses Restholz kann ich nur begrenzt als Baustoff nutzen, aber hervorragend energetisch. Das ist die Synergie: Ein Großteil des entnommenen Holzes landet langfristig im Bausektor und speichert CO₂. Zusätzlich kann Restholz fossile Brennstoffe ersetzen. Denn die Alternative wäre, das Holz im Wald zu lassen, wo es durch die natürliche Mortalität als Totholz endet, vermodert, verrottet und genauso in die Atmosphäre emittiert. Die Bilanz wäre dieselbe, ob ich Holz verbrenne oder nicht – aber beim Verbrennen ersetze ich zusätzlich fossile Brennstoffe!
Aber entscheidend ist doch der zeitliche Aspekt: Wenn wir Holz verfeuern, entweichen sofort zusätzlich große Mengen CO₂ in die Atmosphäre.
Das ist die sogenannte Kohlenstoffschuld: ein zeitlicher Versatz, den ich von der Emission bis zu dem Zeitpunkt habe, wo neue Bäume das CO₂ wieder im Wald speichern. Das wird in wissenschaftlichen Kreisen interessant diskutiert. Sehr verbreitet ist die Annahme, dass ich auf einen neuen Baum warten muss, ehe ich einen alten verbrennen darf, damit das CO₂, das beim Verbrennen entweicht, sofort wieder gebunden wird. Aber das gilt nur für einen einzelnen Baum. Betrachtet man den gesamten Wald, liegt diese Kohlenstoffschuld bei null, denn in dem Moment, in dem die Emissionen entstehen, ist bereits neue Biomasse nachgewachsen.
Weil Bäume zu jedem Zeitpunkt wachsen?
Ja, Bäume wachsen ständig. Die Kohlenstoffschuld bleibt so lange bei null, wie es im Wald mehr Zuwachs und Biomasse gibt, als wir emittieren. Das ist in Deutschland der Fall. Wir haben keine Kohlenstoffschuld. Wir haben das in unserer Studie berechnet: Was passiert, wenn wir das Restholz verrotten lassen? Was passiert, wenn wir Holzhäuser daraus bauen? Was, wenn wir die Reststoffe energetisch nutzen, um fossile Energieträger zu ersetzen? Die Bilanz ist in Summe am besten, wenn wir den Wald nachhaltig nutzen und nicht stilllegen.
Denn man muss zwei Komponenten bedenken: Wir speichern zusätzliches CO₂, wenn wir den Zuwachs im Wald erhöhen. Gleichzeitig können wir noch so viele fossile Energieträger ersetzen, dass die energetische Nutzung von Holz in Summe ebenfalls positiv für das Klima ist.
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Diese Rechnung geht aber nur so lange auf, wie wir fossile Energieträger nutzen? Wenn wir nur noch erneuerbare Energien einsetzen, sollten wir auch mit erneuerbaren Energien heizen?
Die nächsten Jahrzehnte werden wir eine klimapositive Wirkung haben, wenn wir Holz energetisch einsetzen. Diese Wirkung lässt mit der Zeit nach. Wenn wir keine Fossilen mehr im Energiemix haben, ist die Nutzung von Biomasse wieder klimaneutral.
Das führt zurück zum Anfang der Argumentationskette: Wenn wir proaktiv mehr Holz nutzen, können wir den Bausektor nach vorn bringen. Aktuell haben wir im Bau einen Holzanteil von ungefähr 20 Prozent. Länder wie Schweden stehen bei 55 Prozent. Das kann ich mir auch für Deutschland vorstellen, denn das Holz ist in unseren Wäldern nachhaltig verfügbar. Und immer, wenn ich einen Baum verarbeite, fallen Reststoffe an, aus denen man Dämmstoffe, Holzwerkstoffe oder Pellets herstellen kann. Aktuell produzieren wir ungefähr 3,6 Millionen Tonnen Pellets pro Jahr in Deutschland. Das könnten locker 5 bis 6 Millionen Tonnen sein.
Ihre Untersuchung wurde vom Deutschen Energieholz- und Pellet-Verband (DEPV) unterstützt. Der freut sich bestimmt sehr über das Ergebnis.
Das wird nicht verheimlicht und dazu stehe ich. Die Studie wurde nach belastbaren wissenschaftlichen Standards erstellt. Das ist keine Auftragsforschung, bei der Ergebnisse vorgegeben wurden, sondern eine Lücke der wissenschaftlichen Bearbeitung: Der Holzsektor, der Gebäudesektor und der Energiesektor werden zu oft getrennt betrachtet. Dann werden Leute, die den Wald lieben, natürlich versuchen, zu verhindern, dass Biomasse energetisch genutzt wird. Aber man muss die Sektoren in der Gesamtschau betrachten, um Bilanz ziehen zu können. Diesem wissenschaftlichen Diskurs stelle ich mich gern, damit habe ich keine Probleme.
Die Pelletherstellung würde vermutlich ebenfalls vom aktiven Waldumbau profitieren?
Die kranken Bestände sind nicht sofort dem Tode geweiht, das ist ein langer Prozess. Aber wir sollten proaktiv in diese Wälder gehen, sie pflegen und Hochrisikobäume wie alte Fichten, die im wahrsten Sinne des Wortes im Feuer stehen, rechtzeitig schonend und naturnah ernten. Dann können wir den Wald mit klimafitten Baumarten verjüngen, die wesentlich besser mit dem Klimawandel zurechtkommen. Momentan laufen wir dem Klimawandel hinterher, er hat uns links und rechts überholt. Es gibt massive Waldschäden und Kahlschläge auf der Fläche, derer wir nicht Herr werden. Bei dieser Gelegenheit sollten wir das hohe Holzaufkommen im Gebäudebestand nutzen.
Mittelfristig hätten wir dann wieder mehr Mischwälder in Deutschland?
Ja, dazu gibt es klare Aussagen von wissenschaftlicher Seite. Wir brauchen ein Portfolio vieler verschiedener Baumarten in einer Fläche. Momentan gibt es eher getrennte Nadelholzbestände und Laubholzbestände, weil man sie getrennt einfacher bewirtschaften kann. Wir brauchen aber naturnahe Wälder mit drei bis fünf Baumarten. Das sorgt für mehr Licht, mehr Artenvielfalt und auch für leistungsfähigere Wälder, die mehr Zuwachs liefern.
Wie lange würde der proaktive Umbau dauern?
Das ist schwierig zu sagen. Unsere jetzigen Wälder haben ein Bestandsalter von 100 und mehr Jahren. So viel Zeit haben wir nicht. Wir müssen schneller sein. Ein üblicher Zeitraum, um einen geregelten Waldumbau auf den Weg zu bringen, sind 30 bis 50 Jahre. In unserem Modell gehen wir optimistisch ran und sagen: Zumindest die Bestände mit hohem Alter können wir in den nächsten 20 bis 30 Jahren umbauen. Dann hätten wir 2050, wenn die EU Klimaneutralität erreichen möchte, bereits Waldstrukturen, die wesentlich fitter sind und einen Gebäudesektor aus Holz, der als zweiter Kohlenstoffspeicher dient. Ich sehe das klar als Win-win-Situation.
Mit Hubert Röder sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet.
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Quelle: ntv.de