Wissen

Mögliche Auswege gezeigt Forscher: Menschheit könnte sich selbst in Sackgassen steuern

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Der Anbau von Weizen war bisher ein Erfolgsrezept - doch könnte die Vereinfachung der Landwirtschaft eine evolutionäre Falle für den Menschen sein.

Der Anbau von Weizen war bisher ein Erfolgsrezept - doch könnte die Vereinfachung der Landwirtschaft eine evolutionäre Falle für den Menschen sein.

(Foto: IMAGO/imagebroker)

Glaubt man einem Forschungsteam aus Schweden, dann ist die Menschheit gerade dabei, sich selbst abzuschaffen. Insgesamt machen die Forschenden 14 "evolutionäre Fallen" aus. Trotz der düsteren Bestandsaufnahme gibt es Hoffnung.

Die Menschheit läuft nach Überzeugung einer schwedischen Forschungsgruppe Gefahr, sich selbst in evolutionäre Sackgassen zu manövrieren. Insgesamt 14 evolutionäre Fallen hat das Team ausgemacht, darunter Klimakipppunkte und Umweltverschmutzung, eine falsch ausgerichtete künstliche Intelligenz und die Beschleunigung von Infektionskrankheiten. Die Forschenden schreiben auch über mögliche Auswege.

Motten orientieren sich im Dunkeln am leuchtenden Mond - eine Fähigkeit, die sie im Laufe der Evolution entwickelt haben. Doch seit der Erfindung der Glühlampe werden sie von Straßenlaternen angezogen und geraten dadurch in Gefahr, entweder als leichte Beute für Fressfeinde zu enden oder schlichtweg zu verbrennen. Wenn sich Merkmale, die einst vorteilhaft waren, aufgrund von Umweltveränderungen plötzlich nachteilig auswirken, spricht man von einer evolutionären Falle oder Diskrepanz, auch bekannt als Mismatch-Theorie.

Beginn der Polykrise

Das schwedische Forschungsteam sieht solche evolutionären Fallen auch für die Menschheit. Insgesamt sei deren kulturelle Evolution eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte, deren Ergebnis das Anthropozän darstelle, also das Erdzeitalter des Menschen, heißt es in der im Fachblatt "Philosophical Transactions of the Royal Society B" veröffentlichten Studie. Doch das Anthropozän zeige Risse: Globale Krisen wie Covid-19-Pandemie, Klimawandel, Ernährungsunsicherheit, Finanzkrisen und Konflikte hätten begonnen, gleichzeitig aufzutreten - ein Phänomen, was von manchen als Polykrise bezeichnet werde.

"Der Mensch als Spezies ist unglaublich kreativ. Wir sind in der Lage, innovativ zu sein und uns an viele Umstände anzupassen, und wir können in erstaunlich großem Umfang kooperieren", führte Hauptautor Peter Søgaard Jørgensen aus. Doch diese positiven Eigenschaften hätten ungewollte Folgen: "Einfach ausgedrückt könnte man sagen, dass die menschliche Spezies zu erfolgreich und in gewisser Weise zu klug für ihr eigenes zukünftiges Wohlergehen ist."

14 mögliche Fallen erkannt

Für die Arbeit wurden zwischen 2020 und 2022 Seminare, Workshops und Umfragen am Stockholm Resilience Centre durchgeführt, in deren Verlauf Prozesse des Anthropozäns identifiziert, ein gemeinsames Verständnis evolutionärer Dynamiken geschaffen und potenzielle Sackgassen gesucht wurden. Insgesamt wurden in einer ersten Bestandsaufnahme 14 mögliche evolutionäre Fallen ausgemacht und als global, technologisch oder strukturell kategorisiert. Dazu gehören unter anderem die Vereinfachung der Landwirtschaft, ein Wirtschaftswachstum ohne Vorteile für Mensch und Umwelt, die Instabilität der globalen Zusammenarbeit, Klimakipppunkte und künstliche Intelligenz.

Exemplarisch gehen die Autorinnen und Autoren auf die Vereinfachung der Landwirtschaft als Falle ein - eigentlich ein Erfolg der Menschheit, da es innerhalb kurzer Zeit gelang, die Ertragsmengen von Ackerpflanzen wie Weizen, Reis, Mais und Soja in die Höhe schnellen zu lassen, was gleichzeitig die globale Kalorienproduktion deutlich erhöhte. Doch die Konzentration auf einzelne hochproduktive Pflanzen mache das Nahrungsmittelsystem immer anfälliger für Umweltveränderungen wie Wetterextreme oder neue Pflanzenkrankheiten.

Der Einfluss von Klimakipppunkten zeigt hier zudem, wie sich evolutionären Fallen gegenseitig verstärken können - eine weitere Feststellung der Studie: Wenn Gesellschaften in einer Sackgasse steckenblieben, sei es wahrscheinlicher, dass sie dies auch in anderen Sackgassen tun.

Kaum Möglichkeiten zum Umkehren

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betonen, dass 12 der 14 Fallen bereits in fortgeschrittenem Stadium seien, was bedeute, dass es zunehmend schwierig wird, sich noch daraus zu befreien. Die beiden weniger fortgeschrittenen Sackgassen sind demnach die Autonomie der Technologie (Künstliche Intelligenz und Robotik) und der Verlust von Sozialkapital durch Digitalisierung.

"Die evolutionären Kräfte, die das Anthropozän geschaffen haben, funktionieren nicht gut auf globaler Ebene", erklärte Mitautorin Lan Wang-Erlandsson. In den heutigen globalen Systemen entstünden soziale und ökologische Probleme an Orten, die für die Gesellschaften, die sie verhindern könnten, weit entfernt schienen. "Außerdem erfordert ihre Bewältigung oft eine globale Zusammenarbeit auf einer Ebene, mit der viele evolutionäre Kräfte nicht gut zurechtkommen."

Fähigkeiten zum Wechsel sind vorhanden

Mehr zum Thema

Trotz der düsteren Bestandsaufnahme sehen die Forschenden die Menschheit nicht zwingend zum Scheitern verurteilt - allerdings seien aktive Veränderungen nötig. "Es ist an der Zeit, dass wir Menschen uns der neuen Realität bewusst werden und uns als Spezies gemeinsam dorthin bewegen, wo wir hinwollen", erklärte Søgaard Jørgensen.

Erste Anzeichen dafür gebe es bereits, zumal die Menschheit über die nötigen Fähigkeiten verfüge: "Unsere Kreativität, unsere Innovationskraft und unsere Fähigkeit zur Zusammenarbeit geben uns die perfekten Werkzeuge an die Hand, um unsere Zukunft aktiv zu gestalten. Wir können aus Sackgassen und dem Business-as-usual ausbrechen, aber dazu müssen wir die Fähigkeit zum kollektiven menschlichen Handeln fördern und ein Umfeld schaffen, in dem es sich entfalten kann."

Quelle: ntv.de, Alice Lanzke, dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen