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Extremer Meeresspiegelanstieg Hälfte der Mangroven auf den Malediven ertrank

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Das Drohnenbild zeigt das Ausmaß des Mangrovensterbens in  Neykurendhoo auf den Malediven.

Das Drohnenbild zeigt das Ausmaß des Mangrovensterbens in Neykurendhoo auf den Malediven.

(Foto: Maldives Resilient Reefs)

Normalerweise sind Mangroven überaus anpassungsfähige Bäume. Doch auf den Malediven kommt es zu einem massenhaften Sterben der Bäume. Ein Forschungsteam macht dafür ein bekanntes Klimaphänomen verantwortlich, das durch die Erderwärmung zusätzlich verstärkt wird.

Die abgestorbenen Waldflächen auf den Malediven sehen von oben ähnlich grau aus wie die in deutschen Mittelgebirgen. Ein Teil der Inseln habe 2020 über die Hälfte der Mangrovenbestände verloren, schreibt ein Forschungsteam im Journal "Scientific Reports" mit Verweis auf Satellitenbilder. Die Bäume sind nach Angaben der Forscher gestorben, weil der Meeresspiegel vor allem durch ein natürliches Klimaphänomen rasch angestiegen ist. Der Indian Ocean Dipole (IOP) sei 2019/20 besonders ausgeprägt gewesen. Dies sei zu einem ohnehin steigenden Meeresspiegel hinzugekommen.

Mangroven sind eine wichtige Kinderstube für Meerestiere wie Krabben, Garnelen und Fische und damit entscheidend für die Ernährung und den Lebensunterhalt vieler Menschen. Zudem sind sie wichtig beim Schutz von Küstenregionen als Barrieren gegen Stürme, Erosion und Überschwemmungen.

Mangrovenwälder können sich gewöhnlich an steigende Meeresspiegel anpassen, indem sie Sedimente aufbauen, so dass der Boden langsam höher wird. Das Indian-Ocean-Dipole-Ereignis ließ das Wasser der Studie zufolge aber so schnell steigen, dass es auf rund einem Viertel der von Mangroven bewachsenen Malediven-Inseln zu einem Waldsterben gekommen ist. Das Klimaphänomen führt, ähnlich wie La Niña und El Niño, abwechselnd zu höheren und niedrigeren Oberflächentemperaturen des Meeres und beeinflusst auch den Meeresspiegel.

Rascher Anstieg des Meeresspiegels überfordert Bäume

"Der extreme Meeresspiegelanstieg, der durch das Indian-Ocean-Dipole-Ereignis 2019 und 2020 verursacht wurde, war der Haupttreiber, jedoch wirkte er innerhalb eines komplexen Systems miteinander wechselwirkender Faktoren", sagte Co-Hauptautor Vasile Ersek von der Northumbria University im britischen Newcastle der Deutschen Presse-Agentur.

So sind der Studie zufolge vor allem Bäume der Art Bruguiera cylindrica gestorben, die nur wenig Salz vertragen. Die betroffenen Waldgebiete lagen zudem überwiegend in diversen Becken der Inseln, die mit dem Meeresspiegelanstieg leicht versalzen.

Auch der Klimawandel beeinflusse dieses System auf verschiedene Weise, sagte Ersek. "Er trägt zu einem Hintergrund-Meeresspiegelanstieg bei, der Mangroven anfälliger für extreme Ereignisse macht." Höhere Temperaturen verschärften wahrscheinlich den Stress für Mangroven durch erhöhte Wasserabgabe der Pflanzen, der Böden und der Wasserflächen. "Die Häufigkeit und Stärke starker Indian-Ocean-Dipole-Ereignisse könnte durch den Klimawandel zunehmen - obwohl es hier eine gewisse Unsicherheit gibt."

Bei einem steigenden Meeresspiegel müssen die Mangroven ihren Sedimentaufbau erhöhen. "Unsere Studie zeigt, dass die Mangroven zwar zuvor mit dem Hintergrund-Meeresspiegelanstieg Schritt halten konnten, jedoch mit dem extremen, durch das Indian-Ocean-Dipole-Ereignis verursachten Anstieg nicht zurechtkamen", sagte Ersek. Dadurch stieg der Meeresspiegel von 2017 bis 2020 laut Studie sehr rasch - mit einer Rate von durchschnittlich 30,5 Millimetern pro Jahr. Der Sediment-Zuwachs betrug in der Zeit 6,40 Millimeter pro Jahr, der Meeresspiegelanstieg war also etwa fünfmal so hoch.

Zu viel Salzwasser für die Mangroven

Die Studie liefere mehrere Hinweise darauf, dass der extreme Anstieg des Meeresspiegels das Mangrovensterben auf den Malediven von 2020 verursachte, schreiben die Forscher. Er führte demnach zu einem stärkeren Zufluss von Salzwasser in die Becken, was wahrscheinlich die Salzkonzentrationen im Porenwasser des Bodens erhöhte. Dieser Effekt kann durch die stärkere Verdunstung aufgrund der hohen Temperaturen 2020 verschärft worden sein. Als die Toleranzgrenzen der Bäume für den Salzgehalt überschritten wurden, verringerte sich deren Sedimentaufbau, sodass der Boden immer stärker überflutet wurde und der Salzgehalt weiter anstieg. "Wir vermuten, dass dieser Mechanismus eine positive Rückkopplungsschleife auslöste, die wahrscheinlich zu dem beobachteten Baumsterben führte", schreiben die Forscher.

"Im Wesentlichen ertranken die Mangroven", fasste Ersek die Faktoren laut Mitteilung seiner Uni zusammen. Diese Ergebnisse könnten nicht nur für die Malediven, sondern auch für andere Inselstaaten und Küstenökosysteme weltweit von Bedeutung sein, mahnt das Forschungsteam.

Die Malediven bestehen nach Regierungsabgaben aus rund 1.200 Inseln, die sich im Schnitt eineinhalb Meter über dem Meeresspiegel erheben. Mangroven wachsen laut der Studie auf mindestens 150 Inseln, bewohnten wie unbewohnten, und zwar in offenen Buchten sowie in Becken.

2019 und 2020 ging die Mangrovenfläche den Forschenden zufolge auch auf anderen Inseln zurück: zum Beispiel auf den Seychellen (um weniger als 1 Prozent) und den Komoren (um 1 Prozent), was möglicherweise auf dasselbe Dipol-Ereignis zurückzuführen sei.

"Das extreme Ausmaß des Mangrovensterbens auf den Malediven ist eine deutliche Warnung dafür, wie der Klimawandel natürliche Systeme an ihre Grenzen bringen kann - mit weitreichenden Konsequenzen für Natur und Mensch", sagte Ersek.

"Da sich unser Planet weiter erwärmt, können wir davon ausgehen, dass der Indian Ocean Dipole häufiger und intensiver auftritt", sagte Co-Hauptautorin Lucy Carruthers, die in Erseks Team forschte und nun an der East Carolina University arbeitet. Das analysierte Indian-Ocean-Dipole-Ereignis war laut Studie das zweitstärkste seit Beginn der instrumentellen Aufzeichnungen 1958.

Ob die Wälder rasante Veränderungen in den kommenden Jahrzehnten überleben können, "hängt weitgehend von unserem Handeln zur Bewältigung der Klimakrise ab", sagte sie. "Die Malediven könnten als am tiefsten gelegenes Land der Welt möglicherweise der Kanarienvogel im Kohlebergwerk sein." Wenn die früher in Bergwerken eingesetzten Vögel mit dem Singen aufhörten, wussten die Bergleute, dass ihre eigene Gesundheit durch giftige Gase in Gefahr war.

Quelle: ntv.de, Simone Humml, dpa

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