Mit über Mach 5 ins Ziel Was Hyperschallwaffen so gefährlich macht

Alle großen Militärnationen entwickeln derzeit sogenannte Hyperschallwaffen. Ihre Abwehr ist besonders schwierig. Welche Technik steckt hinter den Raketen des 21. Jahrhunderts? Und warum ist die von Russland eingesetzte Hyperschallwaffe eigentlich keine?
Hyperschallwaffen sind erst vor wenigen Jahren ins Rampenlicht gerückt. Doch was genau gemeint ist, wenn Politiker und Forscher von Hyperschallwaffen sprechen, wird nicht immer ganz klar. So ist zuletzt wieder von einem Angriff Russlands mit der Hyperschallrakete Kinschal ("Dolch") auf Ziele in der Ukraine die Rede. Doch eigentlich hat diese mit den gefürchteten neuartigen Hyperschallwaffen, wie sie derzeit weltweit entwickelt werden, nur wenig zu tun. Hier eine Übersicht über die wichtigsten Fakten:
Was sind Hyperschallwaffen?
Als Hyperschall werden Geschwindigkeiten von mehr als fünffacher Schallgeschwindigkeit (Mach 5) bezeichnet - also mehr als 6000 Kilometer pro Stunde. So gesehen sind eigentlich alle ballistischen Raketen, die seit dem Zweiten Weltkrieg im Einsatz sind, Hyperschallwaffen. Die seit den 1960er Jahren im Einsatz befindlichen atomaren Interkontinentalraketen erreichen sogar Geschwindigkeiten von Mach 20. Doch mit Hyperschallwaffen ist im heutigen Sprachgebrauch eigentlich etwas anderes gemeint.
Welche Arten von Hyperschallwaffen gibt es?

Künstlerische Darstellung des russischen Hyperschall-Gleitflugkörpers Avangard, der sich von einer Interkontinentalrakete löst.
(Foto: AP)
Wenn heute von Hyperschallwaffen die Rede ist, sind in der Regel zwei verschiedene Arten gemeint:
- Hyperschall-Gleitflugkörper: Diese im Englischen als Hypersonic Glide Vehicle (HGV) bezeichneten Waffensysteme bestehen aus zwei Teilen: einer Interkontinentalrakete und einem sogenannten Gleitflugkörper. Die Interkontinentalrakete steigt nicht wie sonst auf mehr als 1000 Kilometer Höhe auf, sondern setzt bereits in deutlich geringerer Höhe den Gleitflugkörper ab. Dieser taucht wieder in die Atmosphäre ein und gleitet mit anfangs Mach 20 durch aerodynamischen Auftrieb wellenförmig zum Ziel. Auf diese Weise kann er viele tausend Kilometer zurücklegen. Gleichzeitig kann der Gleitflugkörper - im Unterschied zu ballistischen Raketen - durch Steuerklappen seine Flugbahn stark verändern.
- Hyperschallflugkörper mit Eigenantrieb: Während der Gleitflugkörper ohne Antrieb zum Ziel gleitet, gibt es auch das Konzept von Hyperschallraketen mit eigenem Antrieb. Im Prinzip handelt es sich um extrem schnelle Marschflugkörper, die schneller als fünffache Schallgeschwindigkeit fliegen. Als Antrieb dient ein luftatmendes Staustrahltriebwerk, auch Scramjet genannt. Diese Waffen fliegen ausschließlich in der Atmosphäre, sind langsamer und haben kürzere Reichweiten als die Gleitflugkörper.
Was macht Hyperschallwaffen so gefährlich?
Beide Arten von Hyperschallwaffen stellen die Abwehr eines angegriffenen Staates auf eine harte Probe. Denn aufgrund ihrer im Vergleich zu ballistischen Raketen geringeren Flughöhe können sie erst deutlich später vom Radar entdeckt werden (s. Grafik). Mit ihrer Steuerung können sie zudem die Flugbahn verändern - so ist es unmöglich, ihre Bahn vorauszuberechnen und einen Abfangflugkörper früh genug in Richtung der Hyperschallwaffe zu starten.

Hyperschallraketen können im Gleitflug Tausende Kilometer zurücklegen - dabei tauchen sie erst spät hinter dem gegnerischen Radarhorizont auf.
Stellen Hyperschallwaffen eine neue Kategorie von Bedrohung dar? Nicht ganz: Auch Interkontinentalraketen sind mit der heutigen Technik nur schwer abzufangen. Aus strategischer Sicht ändert sich daher nicht viel. Aber Experten warnen vor anderen Risiken: So könnte die kurze Flugzeit und möglicherweise erst späte Entdeckung von Hyperschallwaffen im Ernstfall die Entscheidungsträger vor ein Problem stellen. Da für sie unklar ist, ob eine Hyperschallwaffe einen konventionellen oder atomaren Sprengkopf trägt, müssen sie schnell entscheiden, ob ein nuklearer Gegenschlag ausgeführt werden soll - was zu einer ungewollten Eskalation führen könnte.
Sind bereits Hyperschallwaffen im Einsatz?
Mehrere Staaten weltweit arbeiten an der Entwicklung von Hyperschallwaffen. Russland hat Ende 2019 seinen Hyperschall-Gleitflugkörper Avangard für einsatzfähig erklärt. Auch China hat seit 2019 den Gleitflugkörper DF-ZF im Dienst, welcher über eine Reichweite von rund 2500 Kilometern verfügen soll. Die USA, Frankreich, Indien, Japan und Nordkorea entwickeln ihrerseits Gleitflugkörper, die jedoch nach bisherigem Kenntnisstand nicht einsatzfähig sind. Auch in Deutschland wird zu Hyperschallraketen geforscht. Der Iran will ebenfalls eine ballistische Hyperschallrakete entwickelt haben, allerdings ist unklar, ob es sich dabei um einen Gleitflugkörper handelt.
Zudem wurde von Russland ein Hyperschall-Marschflugkörper gebaut, der angeblich bereits Anfang des Jahres in Dienst gestellt wurde: Der Hyperschall-Seezielflugkörper mit dem Namen SS-N-33 Zirkon soll eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern haben und Mach 8 (9800 km/h) erreichen. An ähnlichen Konzepten wird auch in den USA, Großbritannien, Frankreich, Indien, China und Brasilien geforscht.
Handelt es sich bei der russischen Kinschal auch um eine Hyperschallwaffe?
Wie erwähnt sind alle ballistische Raketen Hyperschallwaffen, da sie schneller als fünffache Schallgeschwindigkeit fliegen. Das gilt auch für die immer wieder als Hyperschallrakete bezeichnete russische Kinschal, die bereits in der Ukraine eingesetzt wurde.
Aber streng genommen handelt es sich bei der Kinschal nicht um eine Hyperschallwaffe. Denn sie ist weder ein Hyperschall-Gleitflugkörper noch ein Hyperschall-Marschflugkörper. Vielmehr handelt es sich um eine ballistische Rakete, die von einem Flugzeug aus gestartet wird. Ihre Entwicklung geht bereits in die 1980er Jahre zurück. Die Rakete soll eine Reichweite von 2000 Kilometern haben und mit Mach 12 eine Geschwindigkeit von mehr als 14.400 km/h erreichen. Damit ist sie um ein Vielfaches schneller als herkömmliche Marschflugkörper, soll nach russischen Angaben aber manövrierfähig sein. Das macht die Abwehr sehr schwierig.
Dass die Kinschal immer wieder als Hyperschallwaffe bezeichnet wird, dürfte auch im Sinne Russlands sein. Auf diese Weise kann nach innen und außen eine vermeintliche technologische Überlegenheit der eigenen Waffensysteme demonstriert werden. Gleichzeitig kann die Technologie in der Ukraine getestet werden - auch was ihre Wirksamkeit angesichts moderner westlicher Flugabwehr wie IRIS-T angeht, die bereits von der Ukraine verwendet wird.
(Dieser Artikel wurde am Donnerstag, 09. März 2023 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de