Womöglich nur durch Zufall Muss früheste Werkzeugherstellung umdatiert werden?
10.03.2023, 20:58 Uhr Artikel anhören
Eine scharfkantige Scherbe, die ein Langschwanzmakake beim Nussknacken zufällig produziert.
(Foto: Proffitt et al, 2023; Technological Primates Research Group, Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology)
Die Fähigkeit, Werkzeuge herzustellen, ist ein wichtiger Schritt in der Evolutionsgeschichte des Menschen. Archäologen gingen bisher davon aus, dass unsere Vorfahren bereits vor 3,3 bis 1,5 Millionen Jahren Werkzeuge selbst anfertigten. Doch eine aktuelle Untersuchung stellt das infrage.
Unsere Vorfahren erlernten die Werkzeugherstellung womöglich später als bislang gedacht. Das schließt ein Forscherteam aus einem Vergleich ihrer Steinwerkzeuge mit Splittern, die Affen beim Aufschlagen von Nüssen unabsichtlich produzieren. Beide seien sehr ähnlich, schreibt das Team aus Deutschland, Thailand und den USA im Fachjournal "Sciences Advances". Steinerne Schneidewerkzeuge der Homininen könnten daher zunächst zufällig entstanden und erst zu einem späteren Zeitpunkt bewusst hergestellt worden sein.
Die Fähigkeit, Werkzeuge herzustellen und damit komplexe Technologien zu nutzen, ist für Archäologinnen und Archäologen ein wichtiger Meilenstein in der Evolutionsgeschichte des Menschen. Um Beweise für die evolutionäre Einzigartigkeit des Menschen gegenüber anderen Primaten zu finden, gebe es viele Untersuchungen darüber, wie und wann unsere Vorfahren mit der absichtlichen Herstellung von Werkzeugen begonnen haben, schreibt das Forscherteam um Tomos Proffitt vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.
Arbeitsspuren von Makaken
Auch Schimpansen, Bartkapuziner, Weißgesichtskapuziner und Langschwanzmakaken nutzen Steine als Werkzeuge, um so beispielsweise leichter an Nahrung wie Nusskerne oder das weiche Innere von Schalentieren zu gelangen. Das Forscherteam analysierte daher 1119 Steinfragmente, die an 40 verschiedenen Orten auf der thailändischen Insel Yao Noi gesammelt wurden. Die Bruchstücke stammen von wildlebende Langschwanzmakaken (Macaca fascicularis), die routinemäßig Nüsse von Ölpalmen auf Ambosse legen und so lange mit Hammersteinen auf die Schalen schlagen, bis diese zerbrechen. Die dabei abgeplatzten Steinfragmente verglichen die Forscher anschließend mit Funden bei frühen Homininen.
Bisher gingen Archäologen davon aus, dass Hominine Schneidewerkzeuge in der Epoche Plio-Pleistozän vor 3,3 bis 1,56 Millionen Jahren absichtlich durch das Zusammenschlagen zweier Steine herstellten. Die prähistorischen Artefakte stammen aus Tansania, Kenia und Äthiopien und werden der Oldowan- und Lomekwian-Kultur zugeordnet, der frühesten bekannten Entwicklungsstufe, auf der Werkzeuge nach bisheriger Kenntnis bewusst produziert wurden.
Frühe Menschen arbeiteten wohl ähnlich
Das Forscherteam analysierte nun die verschiedenen Bruchmuster und fand heraus, dass sich die Schneidewerkzeuge der zu der Zeit lebenden Homininen und die unabsichtlich abgeplatzten Steinfragmente der Makaken stark ähneln. Bei bis zu 70 Prozent der prähistorischen Oldowan-Bruchstücke gab es keine signifikanten Unterschiede zu den bei den Affen gefundenen Steinsplittern. Konkret heißt das: Würden die Schneidewerkzeuge unserer Vorfahren unter die Bruchstücke der jetzt lebenden Primaten gemischt, würde dies im Wesentlichen kaum auffallen.
Solche Schneidewerkzeuge könnten nach Vermutungen der Forscher möglicherweise doch nur ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt etwa beim Aufschlagen von Nüssen mithilfe von Hammersteinen sein. Sollten sie mit ihrer Theorie recht haben, dann wäre der Zeitpunkt, an dem die frühen Vorfahren der modernen Menschen damit begonnen haben, Werkzeuge absichtlich herzustellen, ein anderer, als bisher angenommen.
Quelle: ntv.de, Lena Johanna Philippi, dpa