Schon vor 54.000 Jahren Mit diesen Waffen sollen erste Europäer gekämpft haben
22.02.2023, 20:07 Uhr Artikel anhören
Mit Kopien der entdeckten Steinspitzen haben die Forscher Pfeile nachgebaut, wie sie die frühesten Europäer verwendet haben könnten.
(Foto: Ludovic Slimak)
Bereits früher als lange Zeit gedacht erreichten moderne Menschen laut einem Forschungsteam Europa - und hatten demnach bereits hoch entwickelte Waffen dabei. In einer Höhle in Südfrankreich gefundene Steinspitzen schließen laut einer Studie auf die Verwendung von Pfeil und Bogen. Doch es gibt auch Zweifel.
Der moderne Mensch erreichte Europa einer Studie zufolge nicht nur wesentlich früher als bisher gedacht, sondern auch bewaffnet mit damals modernster Technik. Schon vor 54.000 Jahren habe der Homo sapiens bei seinem ersten Vorstoß auf den Kontinent Pfeil und Bogen genutzt, schreibt ein internationales Forschungsteam im Fachblatt "Science Advances". Die Gruppe stützt die spektakuläre Behauptung auf Funde in einer Höhle im südfranzösischen Rhone-Tal. Das wäre der früheste Beleg für die Nutzung dieser Waffe außerhalb von Afrika. Unabhängige Experten kommentieren die Interpretation jedoch zurückhaltend.
Bereits vor einem Jahr hatte ein Team um Ludovic Slimak vom französischen Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) in derselben Zeitschrift geschrieben, der moderne Mensch habe Europa - das damals von Neandertalern bewohnt war - schon vor 54.000 Jahren erreicht. Das wäre etwa 10.000 Jahre früher als bis dahin bekannt. Der überraschende Befund basiert auf einem nach Meinung der Forscher menschlichen Zahnrelikt, das das Team in der unweit von Montélimar gelegenen Grotte Mandrin entdeckt hatte. Allerdings orientierte sich das Team am Aussehen des Zahns, nicht auf einer DNA-Analyse.
Kleine Steine als Pfeilspitzen?

Die mutmaßlichen Pfeilspitzen wurden in einer Höhle im südfranzösischen Rhone-Tal entdeckt.
(Foto: Ludovic Slimak)
Nun legt Slimak nach: Denn die Zahn-Fundschicht enthielt zudem Hunderte Steinschaber, -klingen und vor allem -spitzen, viele davon mit deutlichen Abnutzungsspuren. Gerade die besonders kleinen Steinspitzen mit einer Breite unter einem Zentimeter stufen die Forscher als Pfeilspitzen ein - anders habe die Nutzung so winziger Utensilien keinen Sinn.
"Die Herstellung der Steinartefakte in der Mandrin-Fundschicht E war ausgerichtet auf standardisierte kleine Spitzen", schreiben die Autoren. Dies seien die ältesten Nachweise von Pfeilspitzen in Eurasien, betonen sie. Noch älter sind Steinspitzen-Funde aus Südafrika, die auf ein Alter von etwa 64.000 Jahre datiert werden.
Möglicher Vorteil gegenüber Neandertaler
"Ein Pfeil ist zwar schwieriger herzustellen, aber extrem schnell, nützlich auf große Distanzen (bis zu 100 Metern) und leicht transportierbar in einem Köcher", schreibt das Team. "Die früheste Einwanderung von Menschen in Neandertaler-Gebiet geht einher mit der Beherrschung des Bogens." Da die überlegene Technik den Neandertalern nicht bekannt war, habe sie dem modernen Menschen bei der Ausbreitung auf den neuen Kontinent geholfen. Offen ist derweil die Frage, warum die Neandertaler diese vorteilhafte Technologie nicht übernahmen.

Ludovic Slimak zeigt einen spitzen Stein, der in der Höhle gefunden wurde - die Forscher interpretieren diesen als Pfeilspitze.
(Foto: Philippe Psaila)
Radu Iovita von der New York University bewertet die Studie mit Skepsis. "Die Autoren versprechen eine spektakuläre Aussage über die frühesten Homo sapiens in Westeuropa", betont der Experte. Zwar enthalte die Fundschicht tatsächlich viele abgebrochene Spitzen, aber es sei unklar, ob diese wirklich mit Pfeil und Bogen geschossen worden seien.
"Man muss mehr Puzzleteile finden"
João Marreiros vom Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) in Neuwied hält die Aussage, der moderne Mensch habe Europa schon vor 54.000 Jahren erreicht, für verblüffend. "Falls Homo sapiens damals tatsächlich in Mandrin war, gibt es eine Lücke von etwa 10.000 Jahren und Tausenden von Kilometern, bis wir eine andere Stelle in Europa haben, die von H. sapiens bewohnt war", erklärt der Experte. Er verweist auf die Höhle Batscho Kiro in Bulgarien, wo sich vor etwa 45.000 Jahren nachweislich Menschen aufhielten. Erst ab dieser Zeit häufen sich Hinweise auf den Homo sapiens in Europa.
Selbst wenn Menschen schon vorher sporadisch nach Europa vorgestoßen seien, würde man weitere Fundstellen erwarten, so Marreiros. "Ich denke, man muss mehr Puzzleteile finden, um diese 10.000 Jahre unserer Geschichte zu rekonstruieren."
Nichtsdestotrotz unterscheide sich die in Mandrin gefundene Technologie deutlich von jener der Neandertaler - die Werkzeuge zum Schneiden, Schaben und möglicherweise auch Schießen seien wesentlich spezialisierter gewesen als die vergleichsweise simplen Utensilien von Neandertalern. Dass moderne Menschen - falls sie damals tatsächlich schon in Europa gewesen sein sollten - Pfeil und Bogen nutzten, findet Marreiros nicht überraschend. Sehr wahrscheinlich habe diese Waffe schon früher in Afrika zum Repertoire des Homo sapiens gehört.
Quelle: ntv.de, Walter Willems, dpa