Infektiologe zur Vogelgrippe "Ein Szenario, das wir unbedingt verhindern müssen"


In US-amerikanischen Rinderfarmen breitet sich das Vogelgrippe-Virus immer weiter aus.
(Foto: picture alliance / ROBIN UTRECHT)
In den USA infizieren sich Milchkühe mit dem H5N1-Virus und stecken wiederum Menschen damit an. Eine besorgniserregende Entwicklung, sagt Charité-Infektiologe Sander. Denn wenn sich der Erreger mit anderen Influenzaviren vermischt, könnte das eine neue Pandemie auslösen - und diese gilt es jetzt zu verhindern.
Erst infizieren Wildtiere Kühe. Dann infizieren Kühe Menschen. Und schließlich infizieren Menschen Menschen. Ein Schreckensszenario, wie sich die nächste Pandemie entwickeln könnte - dieses Mal nicht durch Corona, sondern durch das Vogelgrippe-Virus H5N1. Besonders besorgniserregend ist dabei, dass wir aktuell bereits bei Schritt zwei angekommen sind: H5N1 breitet sich derzeit in Kuhherden in den USA aus, Hunderte Tiere sind betroffen. In der Milch wurden hohe Viruslasten nachgewiesen und mehrere Farmarbeiter sind bereits erkrankt. Steht also eine Vogelgrippe-Pandemie unmittelbar bevor?
Nein, sagt Leif Erik Sander, Infektiologe an der Berliner Charité, zumindest noch nicht. "Es geht momentan nicht darum, große Sorge vor einer unmittelbar bevorstehenden Pandemie zu verbreiten." Aber die Gefahr sei auch nicht von der Hand zu weisen. "Mit der Verbreitung von H5N1 unter Rindern haben wir jetzt eine Situation, in der man alle Vorkehrungen, die man treffen kann, auch treffen sollte." Denn einer der größten Sorgen von Expertinnen und Experten ist, dass sich das Vogelgrippe-Virus weiter anpasst, zum Beispiel durch eine Vermischung mit herkömmlichen Grippeviren, dadurch stärker Menschen infizieren und so auch von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. "Ein Szenario, das wir unbedingt verhindern müssen", mahnt Sander.
"Eine Veränderung des Virus, das wir seit Jahrzehnten in Asien beobachten, hat in recht kurzer Zeit dazu geführt, dass es sich über Wildvögel weltweit verbreitet hat", sagt Sander. Und dann diverse neue Tierarten infizierte, von Katzen über Alpakas bis hin Seelöwen - und jetzt auch Milchkühe in den USA. "Das bedeutet, dass Anpassungen auch relativ schnell passieren können."
Ein Blick in die Glaskugel
Wie schnell sich H5N1 an den Menschen anpassen könnte, ist laut dem Infektiologen zufolge jedoch ein Blick in die Glaskugel. "Das weiß niemand." Kritisch werde es aber vor allem, wenn sich das H5N1-Virus mit saisonalen Grippeviren vermischen würde. Denn noch verlaufen die wenigen Infektionsfälle bei Menschen in den USA eher mild, vergleichbar mit einer Bindehautentzündung. "Wenn sich das Virus aber weiter adaptiert, könnte es sich an die Zellen in unserem oberen Atemwegstrakt andocken", sagt Sander. Dann könnte es Mensch-zu-Mensch-Übertragungen und womöglich auch schwere Krankheitsbilder geben.
Daher fordert der Infektiologe, den Ausbruch bei den Milchkühen in den USA konsequent zu bekämpfen. Die gute Nachricht: Schutzlos wie zu Beginn der Corona-Pandemie steht die Menschheit nicht da. "Die Welt bereitet sich seit Langem auf eine mögliche Pandemie durch Influenzaviren (zu der auch das H5N1-Virus gehört - Anm. d. Redaktion) vor", sagt Sander. "Es gibt bereits Impfstoffe, die zugelassen sind und in dem Moment, in dem ein Virus eine Pandemie auslöst, sehr schnell angepasst werden könnten."
Als weltweit erstes Land impft Finnland seit Anfang des Monats gegen Vogelgrippe - obwohl dort bisher keine Infektionen bei Menschen festgestellt wurden. Das Land hatte jedoch bereits mehrere große Vogelgrippeausbrüche auf Geflügel- und Nerzfarmen. Erst im vergangenen Jahr mussten fast 500.000 Nerze aus Sorge vor einer Ausbreitung des Virus getötet werden.
"Deutschland hätte das schneller im Griff"
Für Deutschland sieht Sander jedoch keine Dringlichkeit. "Momentan gibt es noch keine Veranlassung, Menschen zu impfen." Es gebe hierzulande bisher keinen bestätigten Fall von H5N1 bei Nutztieren, nur vereinzelte Infektionen von Wildvögeln. Und auch die Gefahr, dass das Virus durch US-Importe nach Deutschland getragen wird, hält der Experte für gering. "Wir importieren sehr wenige Milchprodukte oder Rinder aus den USA." Zudem würden durch das Pasteurisieren der Milch die Viren zuverlässig inaktiviert. "Und der Verzehr von Rohmilch war auch schon vor dem H5N1-Ausbruch keine gute Idee." Rohmilch könne nicht nur Vogelgrippe, sondern auch andere gefährliche Erreger übertragen.
Für Rinder gibt es laut Sander bislang keinen zugelassenen Impfstoff. "Das liegt daran, dass man bisher Rinder noch gar nicht auf dem Radar hatte für Grippeviren." Zudem sei die Entwicklung einer H5N1-Vakzine für Rinder komplex und müsse unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen erfolgen. "Aber die Arbeiten dazu sind im Gange." Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass Impfungen eine wichtige Rolle dabei spielen könnten, nicht befallene Bestände prophylaktisch zu schützen.
Und sollte es zu einem Ausbruch in deutschen Viehbeständen kommen, kann der Infektiologe beruhigen: "Deutschland hätte das vermutlich sehr viel schneller im Griff als die USA." Es gibt demnach etablierte Protokolle zur Eindämmung von Ausbrüchen unter Rindern und diese würden im Ernstfall konsequenter umgesetzt - ein Vermächtnis von BSE.
Quelle: ntv.de