Vogelgrippe-Ausbruch in den USA "Die Kühe haben absurd hohe Viruslasten in der Milch"
04.07.2024, 07:47 Uhr Artikel anhören
Kontaminierte Milch in US-Supermärkten: Milchviehhaltung in den USA, hier auf einer Farm in Iowa.
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Das Vogelgrippe-Virus H5N1 breitet sich in den USA unter Milchkühen aus. "Es ist bedenklich, was sich da zusammenbraut", sagt Virologin Isabella Eckerle, Expertin für neuartige und pandemische Viren im Gespräch mit ntv.de. Akute Gefahr für Europa sieht sie bisher zwar nicht. Ohne Gegenmaßnahmen jedoch könnten zwischen Kühen, Menschen, Vögeln und Haustieren bald neue, gefährlichere Virusvarianten entstehen - und die Lage schnell außer Kontrolle geraten.
ntv.de: Im Frühjahr taucht der Vogelgrippe-Erreger H5N1 in Nordamerika erstmals bei Rindern auf. Bis Ende Juni entdecken die US-Behörden in mehr als 130 Ställen infizierte Milchkühe in zwölf Bundesstaaten von der kanadischen Grenze bis runter nach Texas. Mindestens drei Menschen haben sich angesteckt. Wie bewerten Sie das: Hat das Virus mit dem Ausbruch unter Nutztieren eine Schwelle übersprungen?
Isabella Eckerle: H5N1 ist kein neues, unbekanntes Virus. Wir kennen die aviären Influenza-A-Viren, also die Erreger der Vogelgrippe, schon seit Jahrzehnten vor allem aus Asien. Bei früheren Ausbrüchen kam es dort auch schon zu Infektionen beim Menschen, vor allem bei intensivem Kontakt zu infiziertem Geflügel oder zu verendeten Wildvögeln. Die Vogelgrippe ist also eine bekannte Zoonose, die allerdings bis heute nicht die Fähigkeit erlangt hat, sich effektiv von Mensch zu Mensch zu übertragen. Das Virus steht aber schon länger auf der Kandidatenliste potenziell pandemischer Viren.

Hält die Entwicklung neuartiger Viren im Blick: Isabella Eckerle leitet als Virologin das Zentrum für neuartige Viruserkrankungen der Universitätskliniken Genf
(Foto: Foto: © Oleksandr Petrenko)
Vogelgrippe-Ausbrüche unter Hühnern, wilden Gänsen oder Schwänen gab es auch schon in Deutschland. Was ist jetzt neu?
Vor etwa vier Jahren begann etwas sehr Ungewöhnliches: Der Influenza-A-Subtyp H5N1 breitete sich sehr stark unter Wildvögeln aus und im vergangenen Sommer erreichte das Virus plötzlich eine enorme geografische Ausweitung, auch nach Nordamerika und sogar bis in die Antarktis, wo es zu katastrophalen Auslöschungen von Vogelpopulationen kam. Der Erreger wurde zudem in Meeressäugern gefunden, man hat es in Füchsen entdeckt, und auch bei Hauskatzen gab es Fälle. Das allein wäre noch nicht ungewöhnlich: Durch lokale Epidemien unter Wildvögeln gibt es mehr geschwächte oder tote Tiere, die dann von Fleischfressern aufgenommen werden. Nicht richtig verstanden jedoch ist bis heute, warum dieses Virus plötzlich eine solche Dynamik entwickelt. Zudem gab es früh schon erste Hinweise, dass sich das Virus vielleicht nicht nur unter Vögeln, sondern auch zwischen Säugetieren übertragen könnte.
Aus den USA kamen damals Berichte über H5N1-Ausbrüche unter Seerobben und infizierte Eisbären. Ab wann sind Sie und Ihre Kollegen wirklich hellhörig geworden?
Der Alarm ging bei uns an, als vermehrt Belege für Ansteckungen zwischen Säugetieren auftauchten. Aber mit dem Nachweis des Vogelgrippe-Erregers H5N1 im Frühjahr 2024 in US-Milchkühen bekam die Situation plötzlich nochmal einen ganz anderen Charakter. Das war für uns eine große Überraschung, weil Rinder bisher überhaupt nicht zu den Tierarten gehörten, die wir bei diesem Virus auf dem Schirm hatten. Seitdem hat die Entwicklung enorm Fahrt aufgenommen. Das Virus scheint sich bei Kühen vor allem im Euter zu vermehren.
Wie hat es das auf Vögel spezialisierte Virus geschafft, sich ausgerechnet jetzt in den USA unter Milchkühen auszubreiten? Wie ist H5N1 der Sprung vom Vogel zur Kuh gelungen?
Anscheinend kam es über einen bisher unbekannten Mechanismus zu einem Eintrag in das Euter einer Milchkuh. Wie das genau passiert ist, wissen wir noch nicht. Eingetragen wurde eine Virus-Klade, die in den USA auch bei Vögeln gefunden wurde. Seitdem breitet sich dieses Virus in den Rinderherden aus, und das tut es entweder in rasanter Geschwindigkeit oder es hat sich schon seit längerer Zeit ausgebreitet und wurde bisher nur nicht detektiert. Das ist noch schwierig zu bewerten, weil ja seit Wochen mehr und mehr betroffene Farmen gemeldet werden. Die große räumliche Ausdehnung über mehrere Bundesstaaten hinweg deutet darauf hin, dass wir es mittlerweile wohl mit einer Kuh-zu-Kuh-Übertragung zu tun haben.
Wie stecken sich Kühe mit H5N1 an? Gibt es dazu schon Vermutungen?
Wir wissen aus früheren experimentellen Untersuchungen, dass sich Rinder eigentlich nicht mit der Vogelgrippe infizieren. Damals hat man am Friedrich-Loeffler-Institut im Labor versucht, Kühe über die Atemwege mit dem Erreger in Kontakt zu bringen und dabei gesehen, dass das nicht so einfach funktioniert. Die wahrscheinlichste Hypothese geht davon aus, dass die Ansteckungen in den USA über die Melk-Ausrüstungen stattfinden. Auffällig ist, dass die Amerikaner in der Milch infizierter Kühe wirklich absurd hohe Virusmengen messen. Das sind wirklich extrem hohe Werte: Die Viruslast in der Milch ist teilweise höher als das, was wir im Labor auf Zellkulturen züchten können. Die mit H5N1 befallenen Kühe geben also hochinfektiöse Milch ab. Das Virus hat im Euter anscheinend eine perfekte Umgebung gefunden, um sich zu vermehren.
Die Kühe stecken sich in den USA beim Melken an?
Es spricht vieles dafür: In den US-Farmen stehen oft Hunderte Kühe unter einem Dach. Und das Melken ist ein Prozess, bei dem natürlich auch Milch austritt. Die Milchkühe werden zum Beispiel angemolken, damit Oxytocin ausgeschüttet wird und damit der Milchfluss in Gang kommt. Dabei gehen Milchspritzer daneben oder tropfen auf den Boden. Es wird zwar viel gereinigt, unter anderem auch mit Hochdruckreinigern. Aber man kann sich das leicht vorstellen: Es herrscht eine sehr feuchte, warme Umgebung mit viel Umweltkontamination. Mit der extrem hochinfektiösen Milch ließe sich gut erklären, dass sich praktisch alle Kühe, die nach einer infizierten Kuh in den Melkstand kommen, relativ leicht anstecken. Noch ungeklärt ist jedoch, wie die Übertragung zwischen den Farmen abläuft. Möglicherweise gelangen infizierte Kühe einfach per Tiertransport von einem Betrieb in den nächsten. Zwischen den Milchvieh-Herden gibt es anscheinend viel Austausch.

Infektionsrisiko Rohmilch: "Das sind wirklich extrem hohe Werte."
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Wie gefährlich ist infizierte Kuhmilch für den Menschen?
Wer ohne Maske und Schutzbrille in einem Stall mit infizierten Milchkühen am Melkstand arbeitet, der ist dort offenbar sehr großen Virusmengen ausgesetzt. Wenn wir an die Milchspritzer beim Anmelken denken, an vielleicht fein vernebelte Aerosole und an Schmierinfektionen, über die Milchtröpfchen ins Auge gelangen, dann wirkt es plausibel, dass das Virus dort auch Zugang zum Mensch findet. Sicher belegt sind in den USA bisher nur drei menschliche Infektionen. Allerdings wird dort allgemein sehr wenig getestet. Zwar stehen einige Tausend Personen unter Beobachtung, aber laut US-Seuchenschutzbehörde CDC wurden nur etwa 350 davon bisher tatsächlich auch getestet. Wenn man aber bedenkt, dass auf einer einzelnen Farm zum Teil Tausende von Kühen gehalten werden, dann ist klar, dass allein schon die Anzahl an gefährdeten Farm-Arbeitern sehr viel höher liegen dürfte. Die gute Nachricht ist, dass die drei Infizierten, die man gefunden hat, nicht schwer erkrankten. Zwei hatten eine Augenentzündung, einer einen respiratorischen Infekt. Das klingt ebenfalls plausibel, da wir ja wissen, dass die Augen eine ganz gute Eintrittspforte für Influenza-Viren wie H5N1 sind.

Sachbuch über Zoonosen, Pandemien und die globale Gesundheit: Isabella Eckerle erforscht die Beziehung zwischen Viren, Wildtieren und Menschen.
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Welche Maßnahmen haben die US-Gesundheitsbehörden bisher ergriffen?
Die Situation in den USA ist meines Erachtens nicht unter Kontrolle, weil einfach zu wenig getestet wird. Für die betroffenen Rinderhalter gelten zudem kaum Einschränkungen, und es ist unklar, was mit den infizierten Tieren passiert. Verbleiben die im Betrieb? Eine Keulung wie etwa bei Geflügel kommt nicht infrage, weil die Kühe zu teuer sind. Dazu kommt, dass die infizierten Rinder, soweit man weiß, nicht schwer erkranken.
Wie äußert sich die Vogelgrippe denn bei Milchkühen?
Mit H5N1 infizierte Rinder zeigen Krankheitssymptome, aber sie sterben nicht unbedingt daran. Die Kühe entwickeln Fieber, sie leiden unter einer typischen Mastitis, also einer Euterentzündung, und ihre Milchleistung geht zurück. Aber die Tiere erholen sich anscheinend recht schnell wieder davon. Die im Fall von Tierseuchen üblichen Maßnahmen wie Isolation, Keulung und Kontrollen werden daher wohl auch nicht so konsequent umgesetzt.
Damit kann sich das Virus in den Rinderbeständen weiter ausbreiten. Warum greifen denn die US-Behörden nicht stärker ein?
Mit dem Ansatz, dem Virus weitgehend freien Lauf zu lassen, stehen die USA international in der Kritik. Die Idee, dass sich ein solcher Ausbruch von selbst "ausbrennen" könnte, überzeugt mich nicht - vor allem, weil ständig neue betroffene Farmen entdeckt werden und es dabei viele Kontakte mit anderen Tierarten gibt. Die Virusvariante aus den Kühen wurde bereits in Vögeln wiedergefunden, wobei wir noch nicht wissen, wie Vögel mit kontaminierter Milch in Kontakt kommen. Eine weitere Überraschung waren die mit H5N1 infizierten Mäuse, die im Umfeld der befallenen Rinderfarmen entdeckt wurden. Das ist tatsächlich erstaunlich, weil Nagetiere bisher eigentlich nicht besonders anfällig sind für dieses Virus.
Sie meinen, der Vogelgrippe-Ausbruch bei Kühen könnte sich über die befallenen US-Rinder auf weitere Tierarten ausweiten, die vielleicht noch näher am Menschen leben?
Es ist jedenfalls sehr bedenklich, was sich da zusammenbraut. Im Prinzip geht es um einfache Statistik: Je mehr Möglichkeiten das Virus bekommt, sich zu vermehren und in neue Wirte überzugehen, desto wahrscheinlicher wird es, dass eine Kombination von Mutationen auftritt, die effektiver in Säugetieren funktioniert. Besorgniserregend ist für mich vor allem, was passieren wird, wenn die H5N1-Ausbreitung in den USA ungebremst weiterläuft und es dann vielleicht zu Pingpong-Infektionen zwischen Kühen, Vögeln, Mäusen oder anderen Wildtieren kommt. Dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass früher oder später eine speziell angepasste Virusvariante entsteht, die sich in Säugetieren ausbreitet. Dann könnte der Erreger über infizierte Tiere oder Menschen schnell auch nach Europa gelangen.
Vogelgrippe-Ausbrüche gab es schon häufiger, auch in Europa. Warum haben sich bisher nur sehr wenige Menschen mit H5N1 angesteckt?
Dieses Virus ist eigentlich sehr stark an Vögel angepasst. Als Krankheitserreger beim Menschen hat es eigentlich kein besonders hohes zoonotisches Potenzial. Viren entwickeln nicht von einem Moment auf den anderen ein neues pandemisches Risiko, sondern es sind immer mehrere Stufen, die ein Erreger in seiner Anpassung an einen neuen Wirt nehmen muss, bevor es auf der Anpassungstreppe oben ankommt und sich in einer neuen Population ausbreiten kann. Für H5N1 gibt es da mit Blick auf den Menschen noch ziemlich viele Hürden.
"Vogelgrippe" ist der umgangssprachliche Name der "aviären Influenza", eine Erkrankung durch Influenza-A-Viren bei Vögeln. Tiermediziner unterteilen diese Influenzaviren in sogenannte niedrigpathogene (wenig krankmachende) und hochpathogene (sehr stark krankmachende) Influenzaviren (HPAI) - wobei sich "hoch-" und "niedrig-pathogen" auf das Risiko für Geflügel bezieht. Hochpathogene Varianten ("Geflügelpest") sind für Tiere sehr gefährlich und können in kurzer Zeit ganze Bestände auslöschen.
Aviäre Influenza-A-Viren können bei intensivem Kontakt auch Erkrankungen bei Menschen hervorrufen. Die Übertragung vom Tier auf den Menschen ist aber bisher nicht sehr effektiv, das heißt, es braucht hohe Viruslasten, die die tiefen Atemwege erreichen, um eine Infektion auszulösen. Wenn eine solche Infektion stattfindet, kann die Vogelgrippe jedoch auch beim Menschen zu schweren Erkrankungen führen.
In den USA kursiert derzeit der Vogelgrippe-Erreger H5N1, ein Influenza-A-Subtyp. Die in der menschlichen Bevölkerung zirkulierenden saisonalen Influenzaviren gehören entweder zum Influenza-A-Subtyp H3N2 und H1N1 oder es sind Influenza B-Viren, die nur beim Menschen vorkommen.unter Milchkühen. Mehr dazu hier
Was schützt uns denn bisher vor der Vogelgrippe?
Das Virus müsste erst besser in Säugetierzellen zurechtkommen, sich an menschliche Rezeptoren anpassen und dann auch noch die Immunabwehr im Menschen überwinden. Das sind noch sehr viele Schritte, und man könnte sagen, H5N1 steht noch nicht oben auf der Treppe. Aber man weiß eben auch: Je mehr Infektionsketten es gibt und je länger das Virus in Säugetieren zirkuliert, desto wahrscheinlicher ist es, dass es Schritt für Schritt eine Treppenstufe nach der anderen nimmt und dann doch irgendwann oben ankommt. Daneben gibt es aber noch ein zweites Problem: Das Virus hat sich im Rind etabliert. Damit gibt es jetzt auch noch eine weitere Tierseuche, die Veterinärmediziner im Auge behalten müssen, und die auch wirtschaftlich eine Rolle spielt. Vor allem aber ist das Virus in einer Tierart angekommen, die in engem Kontakt zum Menschen steht. Da sind Spill-Over-Infektionen vorprogrammiert.
Gibt es Erkenntnisse darüber, wie groß das Risiko ist, dass das Virus aus US-Rindern in europäische Milchviehbestände eingetragen wird?
Im Handel mit lebenden Kühen scheint es zwischen den USA und Europa keinen Austausch zu geben. Selbst bei einer Einfuhr von Fleisch oder Milchprodukten wäre eine Übertragung recht unwahrscheinlich, zumal die Kühe offenbar in Kontakt mit unbehandelter Rohmilch kommen müssten. Zu Beginn des US-Ausbruchs gab es Berichte, dass in betroffenen Farmen Hühnerabfälle an Rinder verfüttert worden sein könnten. Über diesen Weg könnten die Milchkühe in Kontakt mit kontaminierten Hühnerkot gekommen sein. In Deutschland und der EU ist das Verfüttern von Hühnerabfällen zum Glück verboten.
Wie hoch ist das Infektionsrisiko für Verbraucher, zum Beispiel im Umgang mit Kuhmilch?
Rohmilch und Rohmilchprodukte stellen ein Risiko dar, einfach weil die Viruslast in der Milch infizierter Kühe so extrem hoch ist. Bei pasteurisierter Milch sieht das anders aus, vor allem, wenn es sich um Tankmilch handelt, also durchmischte Milch von einer großen Zahl an Kühen. Da dürfte es einen gewissen Verdünnungseffekt geben. Und in den Handel kommt üblicherweise ohnehin nur pasteurisierte Milch. Durch die kurze Erhitzung, das ist durch experimentelle Daten belegt, wird die Viruslast deutlich reduziert. Bei Milch im Supermarkt lässt sich H5N1 in den USA in Stichproben zwar per PCR-Test noch nachweisen. Dabei handelt es sich aber nicht mehr um infektiöse Mengen. Bei pasteurisierten Milchprodukten ist die Virusbelastung wahrscheinlich vernachlässigbar. Trotzdem sollte Milch von infizierten Kühen natürlich nicht in den Handelsketten auftauchen, wie das in den USA der Fall zu sein scheint.
Isabelle Eckerle leitet das Zentrum für Neuartige Viruserkrankungen der Universitätskliniken Genf und hat sich bereits vor der Corona-Pandemie intensiv mit Viruserkrankungen tierischen Ursprungs befasst. Die deutsche Virologin ist als international gefragte Expertin beratend auch für das Robert-Koch-Institut (RKI) und die Weltgesundheitsorganisation WHO tätig.
Bei Droemer Knaur erschien ihr Buch "Von Viren, Fledermäusen und Menschen", in dem sie an Beispielen wie Tollwut, Ebola, Marburg-Fieber, Affenpocken, Vogelgrippe und dem Covid-19-Erreger SARS-CoV-2 die "Beziehungsgeschichte" zwischen Menschen und zoonotischen Viren beleuchtet.
Wie groß ist die Gefahr, dass sich der Vogelgrippe-Ausbruch in den USA zu einer Pandemie ausweitet?
Wir haben hier eine echte Schwarz-Weiß-Situation: Noch wirkt das Risiko überschaubar, es gibt keine Mensch-zu-Mensch-Übertragung. Sollte es aber zu solchen Infektionen kommen - also zu fortgesetzten Ansteckungen mit H5N1 in der Bevölkerung -, dann wären wir sofort in einer kritischen Lage. Und genau das bereitet mir Bauchschmerzen: Wenn wir eine Übertragung des Vogelgrippe-Virus zwischen Menschen beobachten, wäre es für Maßnahmen zur Eindämmung wahrscheinlich bereits zu spät. Das Fenster zur Eindämmung ist jetzt noch geöffnet: Idealerweise müssen wir zoonotische Viren erkennen und Maßnahmen ergreifen, solange sie noch im Tier-Reservoir kursieren.
Wie gut ist Deutschland auf mögliche H5N1-Fälle vorbereitet? Wird hierzulande mehr getestet als in den USA?
Das Friedrich-Löffler-Institut hat zur aviären Influenza erst kürzlich eine überarbeitete Risikoeinschätzung veröffentlicht. Demnach gibt es in Deutschland und der gesamten EU bislang keine H5N1-Fälle bei Rindern oder Menschen. Insofern gibt es im Moment keinen Anlass, Mitarbeiter in europäischen Milchviehbetrieben zu testen. Und selbst wenn es zu einem Ausbruch unter Milchkühen käme, würde das hier anders laufen als in den USA. Die Gesetzeslage ist hier grundsätzlich anders: Die europäischen Behörden haben sehr viel mehr Handlungsspielraum und können für den Seuchenschutz im Zweifel auch Entscheidungen anordnen.
Würde ein mutiertes Vogelgrippe-Virus in der Routinediagnostik auffallen?
Prinzipiell ja, aber es gibt da sicher Unterschiede zwischen den Laboren, sodass ich da nur schwer eine allgemeingültige Aussage treffen kann. Die Influenza-Diagnostik funktioniert in unserem Zentrum so, dass wir auch neue Erreger erkennen, und darüber hinaus haben wir hier auch das Schweizer Referenzlabor für humane Influenzaviren. Die meisten PCR-Tests zum Nachweis von Influenza-A-Viren sollten auch auf Influenza A/H5N1 ansprechen, und viele Teste zeigen auch direkt die Subtypisierung mit an. Wir erfahren also schnell, ob es sich um H1N1 oder H3N2 handelt. Sollte ein PCR-Ergebnis positiv auf Influenza-A ausfallen, aber nicht auf einen dieser beiden saisonalen Subtypen zurückgehen, dann wäre das für uns ein Alarmsignal und wir würden sofort auch nach ungewöhnlichen Influenza-Typen und den zoonotischen Viren schauen. Die Überwachung an der Schnittstelle Mensch/Tier ist aber auch bei uns noch nicht optimal.

Probleme in der Massentierhaltung: Ohne Gegenmaßnahmen können neue, besser an den Menschen angepasste Virusvarianten entstehen.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Was wäre denn aus Ihrer Sicht jetzt zu tun?
In den USA müssten sofort strenge Maßnahmen ergriffen werden, um die Ausbreitung dieses Virus zu stoppen und den Erreger aus der Rinderpopulation wieder zu eliminieren. Außerdem sollten auch andere Tierarten auf diesen Farmen, inklusive Wildtieren, und natürlich alle Menschen in Kontakt mit infizierten Rindern eng überwacht werden - nicht nur per Virusnachweis, sondern auch durch Antikörper-Studien. Gleichzeitig sollten die diagnostische Kapazität aufgebaut werden, vor allem in den USA. Jedes Labor sollte in der Lage sein, solche Fälle schnell nachzuweisen oder auszuschließen. Auch wenn ich aktuell nicht davon ausgehe, dass wir schon in nächster Zeit vermehrt Fälle im Menschen sehen werden: Man sollte darüber nachdenken, wie unsere Impfstoff-Verfügbarkeit aussieht, aber auch die Verfügbarkeit von Medikamenten zur Behandlung von Influenza, und die Verfügbarkeit von Antibiotika zur Behandlung von bakteriellen Sekundärkrankheiten, die häufig nach Influenza-Infektionen auftreten - sollte das Virus doch eines Tages den Sprung in den Menschen schaffen.
Wir müssten außerdem dringend besser verstehen, wie der Übergang zum Rind in den USA genau passiert ist - damit das nicht noch einmal passiert. Bei den Amerikanern ist das bisher leider noch sehr intransparent. Dabei liegt genau hier der eigentliche Knackpunkt. Wir wissen noch nicht, wie der Vogelgrippe-Erreger vom Vogel ins Euter gekommen ist. Das ist schon bizarr: Klar, das könnten natürlich Umweltkontaminationen gewesen sein, etwa ein toter Vogel auf einer Weide. Allerdings gibt es dieses Virus bei Vögeln schon lange. Und auch wir in Europa haben ja schon lange H5N1 in Wildvögeln und es ist hier trotzdem noch nie in den Kuh-Euter gelangt. Diesen bisher unbekannten Übertragungsmechanismus müssen wir finden.
Stehen wir am Beginn einer neuen Pandemie?
H5N1 ist bisher kein Virus mit hohem pandemischem Potenzial. Davon sind wir noch weit entfernt. An der Viruslinie können wir erkennen, dass der Übergang vom Vogel zum Rind bisher nicht häufiger vorgekommen ist, es war eine einzige Eintragung. Und in den Virussequenzen sehen wir, dass im Moment zum Glück noch nicht viel Anpassung an Säugetiere passiert ist. Die Frage aber ist: Was passiert in einem halben Jahr, in einem Jahr oder in fünf Jahren, wenn wir das Virus bis dahin ungehindert weiter in Nutztierbeständen zirkulieren lassen?
Insgesamt könnte man auch in Deutschland den sogenannten One-Health-Ansatz stärker verfolgen, und nicht nur beim Milchvieh, sondern auch in Geflügelbetrieben oder bei der Schweinehaltung. Dort gibt es ja auch Influenza-Stämme. Wenn zum Beispiel eine Infektion bei einem Nutztier nachgewiesen wird, dann sollten in dem betroffenen Betrieb sofort auch Auflagen für alle Arbeitskräfte in Kraft treten, inklusive einer medizinischen Betreuung. Das sind auch bei uns noch immer getrennte Bereiche: Veterinärmedizin auf der einen Seite und Humanmedizin auf der anderen. Dabei gehören Tiergesundheit, Lebensmittelsicherheit und öffentliche Gesundheit immer zusammen.
Mit Isabella Eckerle sprach Martin Morcinek.
Quelle: ntv.de