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Lokale Lockdowns möglich So entspannt geht Schweden in den Winter

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Die meisten Schweden vertrauen ihrer Regierung und halten sich freiwillig an Corona-Regeln.

(Foto: imago images/Petra Schneider)

Während Deutschland schärfere Maßnahmen diskutiert, geht Schweden relativ gelassen in die kalte Jahreszeit. Zwar warnen auch dort Politik und Wissenschaft vor steigenden Zahlen, strengere Regeln plant das Land aber vorerst nicht. Im Gegenteil: Das härteste Verbot wird aufgehoben.

Obwohl die Bundesrepublik im Vergleich zu anderen Ländern aktuell noch recht gut mit der Corona-Pandemie klarkommt, werden in Deutschland bereits wieder verschärfte Maßnahmen diskutiert, um einen zu starken Anstieg der Zahlen in den kommenden kalten Monaten zu verhindern. Wenn nicht "brachial durchgegriffen" werde, drohten zu Weihnachten 19.200 Neuinfektionen pro Tag, soll Kanzlerin Merkel gesagt haben. Schweden steht derzeit praktisch genauso da wie Deutschland, bleibt aber weiter entspannt. Schärfere Regeln soll es höchstens bei lokalen Ausbrüchen geben. Und das Besuchsverbot in Altenheimen, das für viele Schweden so schmerzhaft ist, soll jetzt trotz steigender Zahlen fallen. Wie geht das?

Auch in Schweden steigen die Zahlen

Was die nackten Zahlen betrifft, hätte Schweden eigentlich ebenfalls Grund, unruhig zu sein. Nachdem die täglichen Neuinfektionen nach Höchstständen im Juni im Juli stark gesunken sind, blieben sie lange Zeit stabil auf niedrigem Niveau. In den vergangenen Wochen gab es aber mehrere starke Ausschläge nach oben und insgesamt nehmen die Covid-19-Fälle wieder zu.

Allerdings sehen die Zahlen wie in Deutschland durch eine stark gestiegene Anzahl an Tests dramatischer aus als sie es tatsächlich sind. Schweden hat im September mit durchschnittlich etwa 136.000 Abstrichen pro Woche fast doppelt so viel getestet als im August. Dadurch wurden unter anderem viele leichte oder symptomlose Erkrankungen entdeckt, die sonst nicht registriert worden wären.

Trotzdem gibt es auch in Schweden einen absoluten Anstieg der Neuinfektionen, was aus der von 1,2 auf 1,5 Prozent gestiegenen Rate von positiven Tests zu schließen ist. Auch hier ähnelt die Entwicklung der in Deutschland, wo die Rate von unter 1 auf zuletzt rund 1,2 geklettert ist.

Risikogruppen werden wieder zum Problem

Wie in der Bundesrepublik stecken sich auch in Schweden derzeit vor allem jüngere Menschen an. Das ist für Jonas Björk der Grund, warum die gestiegene Zahl der Neuinfektionen sich noch nicht in mehr Toten oder mehr Intensiv-Patienten ausgewirkt hat. Trotzdem hält der Epidemiologie-Professor an der Universität Lund den Trend für besorgniserregend. Wenn der Anstieg der Fälle anhalte, werde es schwieriger Risikogruppen zu schützen, sagte er der schwedischen Ausgabe von "The Local".

Für die Epidemiologin Emma Frans kommt der Anstieg nicht überraschend. Im Sommer seien die Menschen nicht zur Arbeit gependelt und hätten keine Kollegen getroffen, sagte sie "The Local". Jetzt zeigten Mobilfunk-Daten, dass die Leute wieder eher ins Büro gingen als noch im Frühjahr, und auch die Studenten besuchten wieder Vorlesungen.

Regierung warnt, aber lockert

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Schwedens Staatsepidemiologe Anders Tegnell bleibt seiner Linie treu, ist aber auch bereit, sie etwas anzupassen.

(Foto: imago images/TT)

Eigentlich sollte das nicht so sein. Denn auch wenn Schweden dies nicht vorschreibt, empfiehlt die Regierung allen Bürgern in Absprache mit ihren Arbeitgebern zu Hause zu arbeiten, wenn dies möglich ist. So äußerte sich kürzlich auch Schwedens Staatsepidemiologe Anders Tegnell besorgt über den jüngsten Anstieg der Infektionszahlen. "Wir gehen langsam aber sicher in die falsche Richtung", sagte er auf einer Pressekonferenz.

Und auch Premierminister Stefan Löfvens warnte vergangenen Donnerstag seine Landsleute. Die Krise sei noch lange nicht vorbei, sagte er laut "The Local". Das, was man jetzt tue, habe später Folgen. "Für das, was wir in dieser Phase falsch machen, werden wir später leiden müssen." Löfvens drängte die Schweden erneut, zu Hause zu arbeiten, bat Arbeitgeber, dies zu ermöglichen. Er riet auch dringend davon ab, zu Hause Partys mit vielen Leuten zu feiern, forderte sich die Hände zu waschen und Freunde nicht zu umarmen. Aber das war's dann auch schon.

Ansonsten bleiben die Schweden ihrer Linie treu. Es gibt in dem Land vorerst keine neuen Beschränkungen, keine Regeln werden verschärft. Im Gegenteil: Ab dem 1. Oktober dürfen in dem Land Altenheime wieder besucht werden. Weil es dort im Frühjahr einen Großteil der Corona-Toten gab, blieben sie bis jetzt isoliert, was für viele Bewohner und Angehörige sehr hart war. Die Regierung mahnt aber zur Vorsicht, rät von Gruppenbesuchen ab und empfiehlt, auf Besuche im Altenheim zu verzichten, wenn man viel unterwegs war oder viele soziale Kontakte hatte.

Bei Versammlungen strenger als Deutschland

Außerdem kann es ab dem 8. Oktober Ausnahmen von der Regel geben, dass sich öffentlich nicht mehr als 50 Menschen versammeln dürfen, berichtet "Reuters". Dies gilt beispielsweise für Restaurants, wenn Gäste so platziert werden, dass sie das Virus nicht weitergeben können. Fußballspiele oder Konzerte dürfen vielleicht ab dem 15. Oktober mit bis zu 500 Zuschauern stattfinden. Hier steht eine offizielle Entscheidung aber noch aus.

Die grundsätzliche Beschränkung auf 50 Teilnehmer mag einige Befürworter des schwedischen Weges überraschen. Schließlich gibt es das Missverständnis, in dem Land gäbe es keine Einschränkungen, sondern nur Empfehlungen. Tatsächlich ist Schweden hier aber wesentlich strenger als einige deutsche Bundesländer. Und Fußballspiele mit tausenden Menschen auf den Rängen bleiben dort undenkbar.

Das ergibt Sinn und was das betrifft, sind wahrscheinlich auch Skeptiker der Auffassung, Schweden könnte in diesem Fall ein Beispiel sein. Denn praktisch alle führenden Virologen oder Epidemiologen plädieren dafür, sich auf eine Cluster-Bekämpfung zu konzentrieren, also größere Ausbrüche im Keim zu ersticken. Je besser besucht eine Veranstaltung ist, desto schwerer ist das - vor allem, wenn sich Menschen nicht an die Regeln halten.

Darauf setzt Schweden aber nach wie vor fast alles: Regierung und Behörden vertrauen darauf, dass die Bürger freiwillig das Richtige tun und nur gelegentlich dazu ermahnt werden müssen. Im Grunde setzt das Land dabei auf die gleichen Maßnahmen wie Deutschland und andere Länder, nur dass es sich bei den Hygiene- oder Verhaltensregeln um Empfehlungen und nicht um Anordnungen oder gar Gesetze handelt.

Masken sind kein Tabu mehr

Die größten Unterschiede bleiben die in Schweden von Anfang an offen gelassenen Schulen und die sehr zurückhaltende Einstellung zu Gesichtsmasken. Hier gibt es keine generelle Richtlinie, auf der Krisen-Informationsseite wird lediglich auf die Empfehlungen des Gesundheitsministeriums verwiesen. Aktuell empfehle man Masken nicht, da es noch keinen klaren wissenschaftlichen Beweis für ihre Wirksamkeit gäbe, heißt es dort. Trotzdem könne es Situationen geben, wo ihr Einsatz sinnvoll sei.

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Noch weiter geht laut CNN inzwischen Anders Tegnell. Er habe eingeräumt, dass Behörden angesichts steigender Zahlen empfehlen könnten, Masken an öffentlichen Orten zu tragen, beispielsweise in Geschäften. Das ist ebenso pragmatisch gedacht von ihm, wie die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, bei lokalen Ausbrüchen lokale Lockdowns anzuordnen. Zwei bis drei Wochen hält Tegnell "Dagens Nyheter" nach für ausreichend. Der Wissenschaftler weiß, dass man eine Strategie immer an veränderte Gegebenheiten anpassen muss.

Ansonsten ändert Tegnell nicht viel und bleibt von seiner Linie überzeugt. Auf die Frage einer Journalistin, was Schweden denn besser als andere mache, antwortete er laut "Zeit" kürzlich: "Wir haben unsere Corona-Regeln einfach beibehalten." Den Anstieg der Zahlen in anderen Ländern führt er auf einen Nachholeffekt nach einem Lockdown zurück. Das kann man so sehen, muss man aber nicht. Auf jeden Fall aber lohnt es sich, immer mal wieder nach Schweden zu blicken, wie man dort mit der Pandemie umgeht. Denn dass es für die Bewältigung der Krise essenziell ist, dass die Bevölkerung mitzieht, wissen Politik und Wissenschaft auch in Deutschland.

Quelle: ntv.de

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