
In Berlin müsse "etwas passieren", soll die Kanzlerin jüngst gesagt haben. Die Hauptstadt hat bereits ein Ampelsystem.
(Foto: picture alliance / dpa)
Ein bundesweites Frühwarnsystem hat viele Befürworter - dennoch spielt die Corona-Ampel beim Bund-Länder-Treffen voraussichtlich keine Rolle mehr. Allein der Blick nach Österreich offenbart die Schwächen des Systems. Und der Kanzlerin nähme es Handlungsspielraum.
Vor dem Bund-Länder-Gipfel wurde Bayerns Ministerpräsident Markus Söder nicht müde, für eine bundesweite Corona-Ampel zu werben - ein Frühwarnsystem, das bei steigenden Infektionszahlen einheitliche Maßnahmen für die gesamte Bundesrepublik vorsieht. Das Konzept hat viele Befürworter. Sowohl die Länderchefs von Nordrhein-Westfalen und dem Saarland, Armin Laschet und Tobias Hans, als auch der Deutsche Städtetag plädierten bereits für die Einführung eines solchen Ampelsystems. In der Beschlussvorlage, die vor der Videokonferenz zwischen Bundeskanzleramt und den Staatskanzleien der Länder durchgesickert ist, spielt der Vorschlag allerdings keine Rolle mehr.
Stattdessen schlägt der Bund konkrete Teilnehmergrenzen für private Feiern vor und will diejenigen, die sich nicht an die Regeln zur Kontaktnachverfolgung halten, mit Bußgeldern sanktionieren. Ein bundesweites Frühwarnsystem scheint damit vom Tisch. Und dafür gibt es gute Gründe:
- SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält vor allem die Farbsymbolik für fatal. Wer in einer Region lebe, die im grünen Bereich liegt, so seine Argumentation, werde dazu verleitet, "zu leben, als wenn alles normal wäre". Das ist vor allem deshalb gefährlich, weil mangelnde Vorsicht in Kombination mit einem Superspreader-Event innerhalb kürzester Zeit zu einem rasanten Anstieg der Fallzahlen führen kann.
- Die bundesweite Corona-Ampel würde die Länderchefs außerdem in zahlreichen Fragen zur Einigkeit zwingen - und das ist recht schwierig zu erreichen. Denn was die Umsetzung des Systems angeht, liegen selbst Söder und Laschet nicht auf gleicher Linie. Während der eine dafür plädiert, bei der Bewertung der Infektionslage ausschließlich die 7-Tage-Inzidenz im Verhältnis zur Bevölkerungszahl zu berücksichtigen, will der andere ein mehrdimensionales Modell mit weiteren Kriterien durchsetzen. Dabei haben beide Modelle deutliche Schwächen.
- Söders Vorschlag, möglichst wenige Bewertungskriterien einfließen zu lassen, hat zwar den Vorteil, dass er von den Kreisen recht einfach und unbürokratisch umzusetzen wäre, er lässt aber auch wichtige Fragen unberücksichtigt: Muss eine Region bei hoher Fallzahl in den Lockdown, obwohl Arztpraxen und Kliniken gut mit dem erhöhten Patientenaufkommen umgehen können? Oder umgekehrt: Ist eine bestimmte Infektionszahl verantwortbar in einer Region, deren gesundheitliche Infrastruktur schon zu Normalzeiten ausgelastet ist?
- Unter anderem auf diese Frage will Laschet mit einem mehrdimensionalen System eine Antwort geben. Neben der Klinikkapazität muss aus seiner Sicht auch die Zahl der Intensivpatienten in die Lagebewertung einfließen. Österreich gilt für ihn als Vorbild.
- Doch gerade in Österreich offenbart sich die Schwäche des Ampelsystems: Sofort nach Einführung sprang die Ampel in den großen Städten Wien, Linz und Graz auf Gelb. Für die Einwohner soll das konkrete Folgen haben - etwa die Beschränkung der Zuschauerzahlen bei Events und eine Erweiterung der Maskenpflicht. So sieht es zumindest eine Maßnahmenliste vor. Doch Linz weigerte sich, die Empfehlungen umzusetzen - weil Bürgermeister Klaus Lugner die Einstufung angesichts weniger Neuinfektionen für nicht nachvollziehbar hielt. Zwar aktualisiert die Ampel weiterhin wöchentlich die Bewertung, doch die Maßnahmenliste für die einzelnen Ampelfarben ist verschwunden.
- Was das Beispiel Österreich außerdem zeigt: Die Ampel verbietet es der Bundesregierung im Falle ihrer Einführung eigentlich, noch einmal gesonderte Maßnahmen für die gesamte Bundesrepublik zu beschließen. Denn dann müsste sie erklären, warum "grüne" Regionen plötzlich Verschärfungen hinnehmen müssen, obwohl die Ampel etwas anderes empfiehlt. Das Frühwarnsystem würde damit unterlaufen. Genau das ist in Österreich passiert. Inzwischen wird dort schon wieder laut über eine "Ampelpause" nachgedacht.
So banal es klingt: Ein Ampelsystem kann nur dann zur Eindämmung des Infektionsgeschehens beitragen, wenn sich alle Kreise und kreisfreien Städte auch an deren Empfehlungen halten. Und das ist keineswegs ausgemacht - das zeigt der Blick zum Nachbarn: Um eine gewisse Autorität zu erzeugen, setzte Österreich für die Ampel sogar eine 19-köpfige Expertenkommission aus Medizin, Politik und Gesundheitsbehörden ein. Gebracht hat es wenig. Einzelne Bundesländer und vor allem die Stadt Wien verfolgen weiterhin eigenständige Corona-Strategien. Es deutet einiges darauf hin, dass es in Deutschland ähnlich laufen würde - zumal es Negativbeispiele auch innerhalb der Bundesrepublik schon jetzt gibt. Beispiel: Berlin.
In der Hauptstadt gibt es bereits ein Ampelsystem, allerdings ist es deutlich zahnloser als die österreichische Variante. Entschieden wird ebenfalls anhand von drei Indikatoren - darunter sind neben der 7-Tage-Inzidenz auch der sogenannte R-Wert, also die Anzahl an Menschen, die ein Infizierter im Schnitt ansteckt, sowie die Kapazität an Intensivbetten in den Krankenhäusern. Überschreiten mindestens zwei dieser Faktoren einen kritischen Wert, springt die Ampel auf Gelb. Das bedeutet für den Senat aber noch keinen Handlungs-, sondern erst einmal nur Gesprächsbedarf. Erst wenn die Ampel auf Rot steht, werden verschärfte Maßnahmen beschlossen. Nach Ansicht von Kritikern ist es dann aber im Zweifel zu spät. Selbst die Kanzlerin soll mit Blick auf Berlin gesagt haben, es müsse "etwas passieren".
Schon am Morgen beriet der Senat nun über das weitere Vorgehen, beschlossen werden soll aber nichts, bevor nicht die Ergebnisse des Bund-Länder-Gipfels aus dem Kanzleramt vorliegen. Möglich ist also immer noch, dass Berlin mit Verweis auf Berlin gar nichts unternimmt. Zwar will der Bund eine Entscheidung darüber, ob in einzelnen Bundesländern eine Corona-Ampel eingeführt wird, weiterhin den Länderchefs überlassen. Doch regionale Sonderwege - vorgeschlagen wurde inzwischen sogar eine Gaststätten-Ampel - und parallel geltende bundesweite Regelungen führen im Zweifel kaum zu mehr Bürgernähe, sondern schlimmstenfalls zu einem Regelwirrwarr, das kaum noch jemand durchschaut.
Quelle: ntv.de, mit dpa