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Wattenmeer verliert StabilitätDeutschlands Nordseeküste ist gefährdeter als gedacht

24.11.2025, 18:03 Uhr
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Von den 24 untersuchten Tidebecken in der Deutschen Bucht weisen laut Studie 20 inzwischen Erosion auf. (Foto: picture alliance / Jochen Tack)

Eine neue Studie zeigt: Das Wattenmeer verliert massiv an Sediment. Dadurch steigt das Risiko für Sturmfluten und Überflutungen an der deutschen Nordseeküste. Forschende warnen vor weitreichenden Folgen für Mensch und Natur.

Deutschlands wichtigste natürliche Schutzbarriere gegen das Wasser der Nordsee verliert an Höhe. Das Wattenmeer kann den steigenden Meeresspiegel vielerorts nicht mehr ausgleichen. Der Grund: In den vergangenen Jahrzehnten hat sich deutlich weniger Sediment abgelagert, als Messdaten lange vermuten ließen. Das zeigt eine neue Analyse des Hereon-Instituts für Küstensysteme in Geesthacht.

Das Wattenmeer ist ein natürlicher Wellenbrecher an der Nordseeküste. Die großflächigen, flachen Becken bremsen Sturmfluten aus und schaffen bei Ebbe zeitweise Verbindungen zwischen den vorgelagerten Inseln und Halligen und dem Festland. Bislang gingen Forschende davon aus, dass sich im Watt ständig genug Sediment ablagert, um dem Meeresspiegelanstieg standzuhalten. Doch die neue Datenauswertung, die das Forschungsteam im Fachjournal "Communications Earth & Environment" veröffentlicht hat, zeichnet nun ein anderes Bild.

Von den 24 untersuchten Tidebecken in der Deutschen Bucht weisen 20 inzwischen Erosion auf - also einen Abtrag des wichtigen Sediments statt eines Aufbaus. Für den Küstenschutz bedeutet das laut Studie: Wattflächen verlieren ihre Pufferwirkung, Sturmfluten könnten ungebremster auf Deiche zulaufen und Überflutungsrisiken steigen.

Fehler in früheren Messungen

Für ihre Studie analysierten die Forschenden um Bo Miao Datensätze aus den Jahren 1998 bis 2022. Diese Höhendaten für die Tidebecken des deutschen Wattenmeeres beruhen auf teils unterschiedlichen Messverfahren, deren Ergebnisse Miao und sein Team nun vereinheitlicht haben.

Dabei zeigten sich deutliche Unterschiede: "Wir haben eine Diskrepanz zwischen den früheren Jahren von 1998 bis 2009 und den späteren von 2010 bis 2022 bei den kleinräumigen topografischen Strukturen gefunden", berichtet das Team. Es zeigte sich, dass kleinräumige Strukturen wie Priele oder Rinnen teilweise unzureichend erfasst und falsch gemessen worden waren. "Das führte in früheren Untersuchungen immer wieder zu Verzerrungen", sagt Seniorautor Wenyan Zhang laut Mitteilung.

Die korrigierten Daten zeigen nun, dass sich in den meisten Tidebecken zwar noch Sedimente ablagern - allerdings viel weniger als nötig, um mit dem Meeresspiegel mitzuwachsen. Den Forschenden zufolge verzeichneten in den vergangenen 25 Jahren nur neun von 24 Tidebecken einen leichten Höhenzuwachs. "Zwar lagert sich noch Sediment ab, die Raten sind aber deutlich niedriger als zuvor angenommen", berichten die Forschenden. In meisten Becken dominieren demnach Erosionsprozesse.

Das alarmierende Fazit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Der Meeresspiegelanstieg überholt längst das Wattwachstum.

"Besorgniserregenderes Bild als bisher"

Warum die Wattflächen heute weniger Sedimentnachschub bekommen als früher, ist noch unklar. Laut Zhang könnten verschiedene Faktoren eine Rolle spielen, wie etwa der beschleunigte Anstieg des Meeresspiegels, Störungen der Ökosysteme, verringerte Sedimentzufuhr aus den Flüssen oder menschliche Einflüsse wie der Hafenbau.

Sicher ist: "Die Sedimentation reicht nicht mehr aus, um den steigenden Wasserständen entgegenzuwirken", sagt Zhang. "Das ergibt ein deutlich besorgniserregenderes Bild als bisher." Denn wenn Wattflächen absinken, verlieren sie ihre Fähigkeit, Sturmfluten abzubremsen. Das trifft nicht nur die Küstenlinien Niedersachsens und Schleswig-Holsteins, sondern auch Inseln und Halligen, die stark auf diese natürlichen Schutzräume angewiesen sind.

Die Forschenden fordern daher, Klimaanpassung und Küstenschutz "deutlich umfassender und ambitionierter" zu gestalten. So müssten etwa Deiche und technische Schutzanlagen künftig verstärkt werden.

Quelle: ntv.de, hny

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