Virologe im Interview "Das Coronavirus verunsichert, weil es neu ist"
30.01.2020, 08:02 Uhr
Vorsichtsmaßnahme: Am Flughafen der chinesischen Millionen-Metropole Changsha wird die Temperatur eines Passagiers gemessen.
(Foto: REUTERS)
Das neue Coronavirus verunsichert die Menschen. Das liege daran, dass es neu ist, sagt Virologe Armin Ensser im Interview mit ntv.de. Doch der Experte vom Universitätsklinikum in Erlangen spricht auch über die Schwierigkeit, solch einen Virus zu erkennen, den langen Weg zum Impfstoff und findet lobende Worte für China.
ntv.de: Können Sie inzwischen einschätzen, wie gefährlich das neue Coronavirus ist?
Armin Ensser: Abschließend kann man das immer noch nicht beurteilen. Man hört nur die Meldungen aus China, wo es die größten Fallzahlen gibt. Von den 6000 Infizierten dort, die gemeldet und wahrscheinlich in einem Krankenhaus behandelt werden, sind 132 Menschen gestorben. Aber man kann annehmen, dass es noch eine relativ große Zahl an Fällen mit geringen Symptomen gibt, die vielleicht gar nicht im Krankenhaus behandelt werden. Das würde das Ganze dann wieder relativieren. Auch die Gefährdungseinschätzung wäre dann eine andere.
Halten Sie die Zahlen aus China für realistisch?

Prof. Dr. med. Armin Ensser ist Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie am Virologischen Institut des Universitätsklinikums Erlangen.
(Foto: Luise Laufer/Uni-Klinikum Erlangen)
Da das Virus von Mensch zu Mensch übertragbar ist und es Patienten mit geringen Symptomen gibt, gibt es sicherlich eine Dunkelziffer an Infizierten. Deren Höhe ist aber reine Spekulation. Die Ausbreitungsrate wird ja auch unterschiedlich beschrieben. Manche Forscher meinen, dass ein infizierter Patient im Schnitt nur zwei Menschen ansteckt, andere gehen von fünf Ansteckungen aus, wenn man keine Gegenmaßnahmen trifft. Dann kommt man natürlich auf ganz andere Zahlen.
Laut Bundesgesundheitsministerium ist das Krankheitsbild des neuen Virus nicht so schlimm wie bei einer Grippe.
5000 bis 10.000 Menschen sterben in einem normalen Jahr in Deutschland vorzeitig an einer Grippe. In einem Jahr mit einer sehr starken Influenza-Epidemie, wie zum Beispiel vor zwei Jahren, sind es wahrscheinlich noch deutlich mehr. Die Menschen machen sich deswegen aber anscheinend deutlich weniger Sorgen, obwohl bei uns das Grippevirus in normalen Jahren das bösartigste Virus im Umlauf ist.
Löst das Coronavirus also vor allem Sorgen aus, weil es neu ist?
Die Grippe ist bekannt, deshalb ist die Risikowahrnehmung nicht so groß. Das Virus verunsichert die Menschen, weil es neu in Erscheinung getreten ist. Und natürlich berichten deshalb auch die Medien mehr.
Das neue Virus ist nur eines aus der Familie der Coronaviren. Wie gefährlich sind diese insgesamt?
Wir kennen inzwischen inklusive 2019-nCoV sieben Coronaviren, die häufiger bei Menschen gefunden werden. Zwei davon lösen die schweren Erkrankungen Mers und Sars aus, mit einer relativ hohen Sterblichkeit. Allerdings ist Mers nicht besonders effizient auf und zwischen den Menschen übertragbar und Sars wurde nach 2003 nicht mehr bei Menschen gefunden. Vier Coronaviren gibt es seit Jahren bei Menschen. Sie verursachen eher normale Atemwegsinfektionen. Bei uns sind das jährlich vielleicht 50 bis 70 Patienten, die wir positiv auf eines dieser vier Viren testen. Bei dem neuen Virus muss man nun abwarten, wie es sich ausbreitet.
China reagiert inzwischen mit strikten Maßnahmen: abgesperrte Städte, geschlossene Grenzen, gestrichene Flüge. Ist das übertrieben?
Die Frage ist: Welche Bedrohungssituation rechtfertigt welche Maßnahmen? Das ist eine politische Entscheidung. Bei einer Grippewelle könnten ja auch alle Flüge gestrichen und Flughäfen geschlossen werden. Das macht aber keiner, denn es ist etwas, was man kennt.
Hat sich der Umgang mit solch einem Virusausbruch seit Sars geändert, wurde dazugelernt?
Ich glaube, China hat aus der damaligen Sars-Epidemie ganz gut gelernt. Die Kommunikationsstrategien und auch die Eindämmungsmaßnahmen sind anscheinend deutlich schneller und effizienter geworden. Natürlich wurden auch die Testverfahren verbessert, um solche neue Viren zu finden. Die sind zugänglicher geworden. Das heißt, bei einem Patienten kann man heutzutage schneller herausfinden, an welchem unbekannten Virus er leiden könnte. Entsprechend ist man dann schneller bei der Eindämmung. Bei Sars wurde zunächst versucht, das unter Verschluss zu halten. Derzeit wird deutlich offener kommuniziert. Ob die eingeleiteten Maßnahmen das noch eindämmen können, ist eine andere Frage.
Die Schwierigkeit ist dann, ein neues Virus möglichst schnell zu bemerken?
Wenn es eine Erkrankung ist, die jeden krank macht, wird das schnell bemerkt. Wenn es aber eine Erkrankung ist, die nur jeden Zwanzigsten so krank macht, dass es auffällt, dann braucht es erst einmal ein paar Infektionsrunden, ehe das neue Virus überhaupt bemerkt wird. Dazu fehlen aber die Daten. Wenn es bei dem neuen Coronavirus wirklich viele milde Verläufe gäbe, dann kann es sein, dass das Virus nicht erst seit Dezember auf dem Fischmarkt in Wuhan kursiert ist, sondern schon länger.
Australische Wissenschaftler sagen, dass sie das Virus angezüchtet haben. Wie geht das?
Das heißt, man nimmt Material von einem Patienten und gibt es auf geeignete Zellkulturen. Da vermehren sich dann die Viren und man kann mit ihnen im Labor unter Sicherheitsbedingungen arbeiten.
Ist das ein wichtiger Schritt hin zu einem Impfstoff?
Es wäre schön, wenn es gegen so eine Erkrankung im Menschen eine Impfung gäbe. Aber die klinische Entwicklung eines solchen Impfstoffs geht nicht innerhalb von drei Wochen. Es gibt Versuche mit dem Mers-Coronavirus, da wird seit ein paar Jahren dran gearbeitet, und auch Hinweise, dass dieser Impfstoff in ersten klinischen Erprobungen im Menschen die Bildung von Antikörpern anregt. Das ist sicherlich ein gutes Modell, aber bis dann ein Impfstoff gegen das neue Virus kommt, vergeht noch einige Zeit. Man muss ja sicherstellen, dass solch ein Impfstoff funktioniert und gut verträglich ist.
Mit Armin Ensser sprach Markus Lippold
Quelle: ntv.de