Turbo für Corona-Pandemie "Jeder kann zum 'Superspreader' werden"
20.03.2020, 16:28 Uhr
Passanten dicht an dicht in der Freiburger Innenstadt - mittlerweile sind dort alle öffentlichen Plätze für Publikum gesperrt.
(Foto: imago images/Winfried Rothermel)
Im Schnitt steckt ein Covid-19-Infizierter zwei bis drei weitere Menschen an. Doch es gibt auch sogenannte "Superspreader" - Menschen, die überdurchschnittlich viele Infektionen auslösen. Im Gespräch mit ntv.de erklärt der Arzt und Medizinjournalist Dr. Christoph Specht, wie es dazu kommen kann.
ntv.de: Herr Dr. Specht, die Corona-Pandemie breitet sich mit rasender Geschwindigkeit aus. Wie viele Menschen steckt ein Covid-19-Patient im Schnitt eigentlich an?
Dr. Specht: Bei Covid-19 steckt ein Patient statistisch gesehen zwei bis drei andere Menschen an. Das nennt man Basisreproduktionszahl, bei Covid-19 liegt diese also bei 2,5. Es gibt aber auch andere hochinfektiöse Erkrankungen wie Masern, dort liegt die Basisreproduktionszahl noch viel höher, nämlich bei 12 bis 18 und ist damit eine der höchsten, die man so kennt.
Zuletzt liest und hört man öfter von sogenannten "Superspreadern", die das Coronavirus verbreiten - worum handelt es sich dabei genau?
Ein "Superspreader" ist ein Mensch, von dem das Virus auf viele andere übertragen wird. Bei Infektionskrankheiten gibt es immer wieder einzelne Individuen, die mehr Menschen anstecken als eigentlich statistisch erwartbar wäre. Bei Covid-19 also nicht die durchschnittlichen 2,5, sondern 5 oder 10. Diese Menschen nennt man dann "Superspreader", also "Extremverbreiter" dieser Erkrankung.
Warum stecken "Superspreader" im Schnitt mehr Menschen an als andere?
Hier kommt es darauf an, welche von zwei existierenden Interpretationsmöglichkeiten man für den Begriff nimmt. Die einen sehen das mehr als biologisches Phänomen an, also, dass ein Mensch deshalb sehr viele andere ansteckt, weil er eine hohe Viruslast hat. Das könnten zum Beispiel Kinder sein, die tatsächlich viele Viren in sich tragen und deswegen mehr anstecken. Das ist aber ziemlich umstritten.
Vermutlich ist es eher so, und das ist die zweite Art der Interpretation, dass das Verhalten der jeweiligen Menschen den Ausschlag gibt. In dem Fall zum Beispiel auch jenes der Kinder, die einfach mehr enge Kontakte haben. So könnte aber auch ein Arzt, der selbst über seine eigene Infektion gar nichts weiß, aber mit vielen Patienten recht nah zusammenkommt und deswegen viele andere ansteckt, ein "Superspreader" sein.
Welche Rolle spielen diese "Superspreader" bei Epidemien oder Pandemien wie der jetzigen?
"Superspreader" spielen deswegen eine große Rolle, weil sie die Verbreitung des Virus oder eines Erregers generell stark beschleunigen, mehr als statistisch erwartbar wäre. Man hat bei vielen Epidemien solche "Superspreader" gefunden. Auch bei der Sars-Epidemie 2003/2004 gab es ein "Superspreader"-Ereignis. Damals war es ein Mann, der infiziert war, davon aber nichts wusste, und der in einem Hotel in Hongkong viele andere Menschen angesteckt hatte.
Man kann also selbst ein "Superspreader" sein, ohne es zu merken?
Bei Covid-19 kann man inzwischen als gesichert davon ausgehen, dass man die Erkrankung, sprich das Virus, übertragen kann, auch wenn man selbst keine oder nur wenig Symptome hat. Das dürfte vor allem bei Kindern zutreffen, die im Schnitt nicht stark erkranken, aber das Virus weitergeben können. Wenn man dann auch noch ein entsprechendes Sozialverhalten an den Tag legt, sprich, die körperliche Distanz nicht einhält und viel mit verschiedenen Menschen zusammen ist, könnte man zum "Superspreader" werden. Genau deshalb ist es so wichtig, dass sich alle an die jetzt notwendigen körperlichen Abstandsregeln und die soziale Isolierung halten, damit eben genau diese Ereignisse nicht eintreten. Sonst kriegen wir das Ganze nicht in den Griff.
Mit Dr. Christoph Specht sprach Kai Stoppel
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Quelle: ntv.de