"Bayern-Bonus" verärgert Hertha Ancelottis Mischwesen schlägt wieder zu
18.02.2017, 19:09 Uhr
Das Tor in der Nachspielzeit sorgte für heftige Diskussionen - auch auf dem Platz.
(Foto: imago/Matthias Koch)
Gegen einen uninspirierten FC Bayern liegt die Hertha 95 lange Minuten in Führung - und dann ist Robert Lewandowski zur Stelle. Berlins Trainer ist empört und spricht von Bevorteilung der Bayern durch den Schiedsrichter.
Carlo Ancelotti hatte vor der Partie genau erklärt, was der Unterschied zwischen der Fußball-Bundesliga und der Champions League ist. Warum seine Mannschaft nicht stets so oder ähnlich mitreißend wie beim furiosen Kantersieg gegen den FC Arsenal spiele, war der Trainer des FC Bayern gefragt worden. Seine Antwort war so schlicht wie ehrlich: "In der Bundesliga hat man 34 Spiele, gegen Arsenal nur zwei." Im letztlich doch ausverkauften Berliner Olympiastadion sahen die 74.667 Zuschauer nun an diesem Samstag eine Münchner Mannschaft, die in ihrem 21. Ligaspiel dieser Saison ihrem Ruf als Mischwesen gerecht wurde, das zwischen den Festtags-Bayern und den Alltags-Bayern changiert.
Obwohl die Hertha nach 21. Minuten durch Vedad Ibisevic in Führung gegangen war und die Gastgeber diesen Vorsprung bis zur sechsten Minute der Nachspielzeit erfolgreich verteidigten, rettete der nach einer guten Stunde eingewechselte Robert Lewandowski dem Branchenprimus mit seinem 16. Tor in dieser Spielzeit doch noch das Remis und bewahrte ihn vor der zweiten Saisonniederlage. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob das Glück war. Schließlich waren die Bayern bereits vor einer Woche in Ingolstadt zumindest dem Gegner mit zwei Last-Minute-Toren unangenehm aufgefallen. Einigen wir uns darauf: Die Herthaner hatten an diesem kalten Nachmittag verdammtes Pech. Bis sie sich über den Punkt und eine sehr ordentliche Leistung freuen können, dürfte noch einige Zeit vergehen.
"Das ist für uns sehr schwierig jetzt"
Ihr Trainer Pal Dardai jedenfalls konstatierte hinterher: "Das ist für uns sehr schwierig jetzt. Psychologisch ist das nicht einfach. Das tut schon weh. Uns hat diese eine Minute gefehlt." Er war sichtlich darum bemüht, dem Ganzen noch etwas Positives abzugewinnen. "Ich bin stolz auf die Jungs und auch auf das Publikum." In der Tat hatten die gegen die Alltags-Bayern viel richtig gemacht - aber eben nicht alles. Beim Ausgleich habe seine Mannschaft besser verteidigen müssen.
Darüber lamentieren, dass Schiedsrichter Patrick Ittrich so lange hatte nachspielen lassen, wollte er nicht: "Das ist die Regel, das muss man akzeptieren." Unmittelbar nach dem Abpfiff im Bezahlfernsehen hatte er sich noch ganz anders angehört: "Leider gab es sehr viel Nachspielzeit. Ich glaube, das ist Bayern-Bonus. Sorry, da kann jeder beleidigt sein, aber nach fünf Minuten muss das Spiel beendet sein. Das ist kein Pokalspiel, wir spielen keine 120 Minuten." Damit monierte er, dass die angezeigten fünf Minuten Nachspielzeit bei Lewandowskis Tor bereits abgelaufen waren. Aber hinterher sagte Dardai es ja selbst: Die Regel besagt, dass der Unparteiische das Spiel so lange laufen lassen kann, wie er es für angemessen hält.
Und Ancelotti? Nahm's stoisch zur Kenntnis, dass es seiner Mannschaft wieder einmal gelungen war, sich irgendwie und halbwegs schadlos ins Ziel zu retten. Es sei, sagte er, ein schwieriges Spiel für den FC Bayern gewesen. Aber das hätten sie vorher gewusst. Seine Einschätzung in Sachen Gerechtigkeit dürfte er allerdings weitgehend exklusiv haben: "Ich glaube, dass das 1:1 für beide Seiten hier verdient ist." Einen Hinweis darauf, wohin es geht, hatte Ancelotti mit seiner Aufstellung gegeben. Er hatte wie angekündigt ein wenig rotiert.
Der Unersetzliche sitzt erst einmal auf der Bank
Lewandowski, normalerweise mit dem Prädikat unersetzlich versehen, saß auf der Bank. "Er war noch ein wenig müde von Mittwoch." Statt seiner stürmte Thomas Müller, der gegen Arsenal erst kurz vor dem Abpfiff eingewechselt worden war und tatsächlich ein Tor erzielt hatte. Joshua Kimmich spielte für Xabi Alonso neben Arturo Vidal auf der Doppelsechs, David Alaba rückte in der Viererkette nach innen neben Mats Hummels, dafür verteidigte Juan Bernat auf der linken Seite. Und dann ging die Herthaner relativ früh in Führung. Marvin Plattenhardt schlug von der linken Seite einen Freistoß an den Fünfmeterraum, wo Mats Hummels und Thomas Müller Herthas Ibisevic nicht daran hinderten, den Ball aus zwei Metern in Tor zu schießen.
Es war sein neuntes Saisontor und sein erster Treffer nach bis dato 656 erfolglosen Minuten. Zuletzt hatte Ibisevic am zwölften Spieltag beim 2:1 gegen Mainz getroffen. Am jenem 27. November vergangenen Jahres hatte er seine bis dato letzten beiden Tor erzielt. Wenig überraschen passte den Berlinern die Führung gut ins Konzept, das darin bestand, den Münchnern mit einer laufintensiven Verteidigungsarbeit das Leben schwer zu machen. Was dann gegen einen uninspirierten und weitgehend ideenlosen FC Bayern auch hervorragend funktionierte. So hatten die Gäste in den ersten 45 Minuten keine einzige Torchance. Und dann kam jene 96. Minute.
Münchens Torwart Manuel Neuer war in den Berliner Strafraum geeilt, als Thiago Alcántara den Ball per Freistoß flach hineinspielte. Erst schoss Arjen Robben auf das von Rune Jarstein ganz hervorragend gehütete Tor, in diesem Fall aber klärte Maximilian Mittelstädt für ihn auf der Linie. Doch dann war Lewandowski zur Stelle und beförderte den Ball über die Linie. Wie hatte Ancelotti es vor der Partie gesagt? "Die Motivation ist ein bisschen anders, wenn du ein K.o.-Spiel spielst statt Bundesliga. Die Motivation ist der Antriebsmotor für die Energie." Daran hat es den Alltags-Bayern in Berlin die meiste Zeit gefehlt. Und doch reichte es zu einem Unentschieden - weil Ancelottis Mischwesen wieder zugeschlagen hat.
Quelle: ntv.de