
Aufgrund der Corona-Krise gehen die Schadstoff-Emissionen in vielen Teilen der Welt teils deutlich zurück.
(Foto: imago images / Future Image)
Die Corona-Krise hat vor allem negative Auswirkungen. Weltweit leiden Menschen unter dem Virus, die Wirtschaft liegt am Boden. Aber wo die Einschränkungen besonders stark sind, wird auch die Luft besser. Hat die Corona-Krise einen positiven und vor allem nachhaltigen Effekt auf unser Klima?
Wenn wie aktuell die Wirtschaft stillsteht und wir uns kaum noch draußen bewegen dürfen, ist das für uns alle ziemlich hart. Doch für die Natur hat der Stillstand auch positive Seiten. In Regionen, die besonders von der Corona-Krise betroffen sind, hat sich die Luftqualität während des Lockdowns verbessert.
Zum Beispiel in China: In der Corona-Ausbruchs-Region rund um Wuhan ist vor allem die Belastung mit Stickstoffdioxid (NO2) im Zuge der Krise deutlich zurückgegangen. Rund 25 Prozent weniger NO2 als noch im Vorjahr wurden in der Provinz Hubei gemessen, nachdem die chinesische Regierung die gesamte Gegend mit einer Ausgangssperre belegt hatte. Zu beobachten war der Effekt auf Luftbildern aus dem All, etwa von der Nasa, aber auch in den Daten, die Messstationen am Boden sammelten.
Keine Überraschung
Für Klimaforscher ist der Rückgang keine Überraschung, denn das giftige NO2 entsteht vor allem bei Verbrennungsprozessen in Motoren, Industrieanlagen oder Kraftwerken, und die stehen aufgrund der Corona-Krise derzeit oft still. Einen ähnlichen Rückgang von Schadstoffen in der Luft zeigen Satellitenbilder und Messstationen am Boden auch in Europa, etwa in den italienischen Metropolen Mailand und Rom oder in Paris. Auch in Spanien gingen die Werte deutlich zurück, an manchen Orten um bis zu 50 Prozent, hat die Europäische Umweltagentur (EEA) ermittelt. Das Umweltbundesamt (UBA) hält sich mit einer Einschätzung des Corona-Effekts in Deutschland noch zurück, der Erhebungszeitraum sei noch zu kurz für genaue Aussagen.
Wie sich die Feinstaub- und Stickoxid-Konzentration in der Luft von Woche zu Woche verändert, zeigt die EEA mit einer interaktiven Karte. Dort heißt es, dass vor allem aufgrund von weniger Verkehr die Belastung mit NO2 in den vom Lockdown besonders betroffenen Regionen erkennbar zurückgegangen sei. Auch die Feinstaub-Werte seien in manchen Regionen niedriger. Ein einheitliches Bild lasse sich hier aber nicht erkennen, weil die Entstehung von Feinstaub durch viele Faktoren beeinflusst wird, vom Heizen von Gebäuden über das Düngen von Feldern bis hin zur lokalen Wetterlage. Kurz: Weniger Schadstoff-Emissionen bedeutet nicht gleich weniger Feinstaub in der Luft. Darauf weist auch das UBA in seiner Einschätzung der Lage hin.
Blick in emissionsarme Zukunft
Aus Forscherperspektive ist die Zeit des Lockdown interessant, weil sie einen Blick in eine emissionsärmere Zukunft erlaubt, erklärt Guy Brasseur vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Der Klimaexperte hat mit seinen Kollegen die Schadstoffwerte in China untersucht und für die Phase des Lockdowns auch einen deutlichen Rückgang von Schwefeldioxid (SO2), das vor allem von Kohlekraftwerken ausgestoßen wird, beobachtet: "Diese Episode zeigt uns, wie die Luftqualität wäre, wenn wir in Zukunft weniger NO2 und SO2 ausstoßen würden", erklärt er im Gespräch mit ntv.de. "Der Effekt ist sofort sichtbar: viel weniger Feinstaub in der Luft. Und das ist natürlich eine sehr gute Nachricht."
Wenn es ums Klima geht, denken viele aber nicht nur an Feinstaub und Stickoxide, sondern zuerst an das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2). Die Emissionen des "Klimakillers" sind in den letzten Wochen bei uns zwar auch deutlich zurückgegangen. Das hat aber nicht nur mit den Corona-Maßnahmen zu tun, sondern auch damit, dass aufgrund des milden Winters weniger geheizt wurde. Auch die günstige Wetterlage mit Wind und Sonne hat ihren Teil dazu beigetragen, denn so konnte viel Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen werden statt aus fossilen Brennstoffen.
Einen direkten und nachhaltigen Einfluss auf unser Klima hat das aber kaum, erklärt Guy Brasseur: "Wenn Sie ein paar Tage keine Stickoxide in die Atmosphäre pusten, ist das NO2 in der Luft kaum noch messbar. Beim CO2 ist das anders: Das akkumuliert sich und bleibt lange in der Atmosphäre. Selbst wenn wir von heute auf morgen aufhören würden, CO2 auszustoßen, bliebe es noch Jahrhunderte oder Jahrtausende in der Atmosphäre."
Klimaziel 2020 erreichbar
Die Weltorganisation für Meteorologie glaubt ebenfalls nicht, dass der "Corona-Effekt" sich langfristig aufs Klima auswirkt. Und auch eine vermeintlich gute Nachricht wie die Berechnung der Denkfabrik "Agora Energiewende" bietet bei genauerem Hinsehen nur wenig Grund zur Freude: Die Corona-Krise helfe Deutschland zwar dabei, sein Klimaziel für 2020 zu erreichen, haben die Experten ausgerechnet. Der Stillstand von Industrie und Verkehr führe dieses Jahr zu einer Einsparung von 30 bis 100 Millionen Tonnen CO2. Damit könnten wir es schaffen, wie geplant 40 Prozent weniger Treibhausgase auszustoßen als 1990. Freuen können wir uns darüber aber kaum. Denn wenn wir es nur mithilfe einer existenziellen Krise schaffen, unsere selbstgesteckten Ziele zu erreichen, ist etwas faul. Und der Preis, den wir als Gesellschaft für die bessere Luft zahlen, ist selbst den leidenschaftlichsten Klimaschützern viel zu hoch.
Sorge bereitet Beobachtern auch der drohende "Aufholeffekt" nach der Krise. Wenn die Wirtschaft wieder hochfährt und wir wieder konsumieren und uns frei bewegen dürfen, schnellen dann auch die Emissionen in die Höhe? Werden wir das Versäumte nachholen und extra viel konsumieren, um unsere Entbehrungen zu kompensieren, wie manche befürchten? Martin Cames vom Öko-Institut glaubt, dass zumindest auf Konsumentenseite der Effekt eher gering sein wird: "Die Frage ist, ob wir überhaupt die Zeit dafür haben, alles aufzuholen", sagt er im Gespräch mit ntv.de. "Das Geld, das wir jetzt nicht ausgeben oder die Urlaubsreise, die wir jetzt nicht antreten. Das können wir nicht alles einfach so nachholen."
Konjunkturprogramm mit Klimaschutz
Ungewiss ist für Martin Cames, welche Rolle Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen nach der Krise für Wirtschaft und Industrie spielen. Irgendwie müssen wir unsere Wirtschaft wieder in Gang bringen, und das kostet Geld. Geld, das unter Umständen dann fehlt, um etwa in neue klimaschonende Technologien zu investieren. Und weil die Bekämpfung der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise oberste Priorität hat, kümmert sich derzeit niemand mehr ums Klima. Auf der EU-Ebene könnte zum Beispiel der kürzlich erst beschlossene "Green Deal" in den Hintergrund rücken, Forderungen nach einer Aussetzung der CO2-Aufschläge etwa für Heizöl und Benzin oder strengerer Dünge-Verordnungen werden laut. Unter diesen Umständen könnte die Corona-Krise mittelfristig sogar schlecht fürs Klima sein.
"Die große Frage ist: Wie können wir die Wirtschaft wieder ankurbeln und dabei zugleich entsprechende Strukturen schaffen, um auch langfristig weniger Treibhausgase auszustoßen?", sagt Martin Cames. "Wenn wir das Geld jetzt mit der Gießkanne ausgeben und einfach jede Art von Produktion stimulieren, hat das im Extremfall einen negativen Effekt aufs Klima, weil dann eben auch besonders treibhausgasintensive Aktivitäten befördert werden."
Ein Konjunkturprogramm müsse deshalb zwingend auch den Klima- und Umweltschutz voranbringen. Das sehen nicht nur Martin Cames oder Umweltministerin Svenja Schulze so. Auch eine Mehrheit der Deutschen ist dafür, Maßnahmen zum Klimaschutz trotz der Corona-Krise aufrechtzuhalten und Vorgaben nicht zu lockern. Und das UBA schlägt vor, "Konjunktur-/Investitionspakete, die nach der Krise die Wirtschaft wieder in Gang bringen sollen, zu verbinden mit Nachhaltigkeitszielen wie Klimaschutz, Ressourcenschonung, Emissionsminderungen und einer nachhaltigen Digitalisierung."
Quelle: ntv.de