Aktien - die Aussichten für 2024 Geht die Rally weiter oder kommt die große Korrektur?
25.12.2023, 11:44 Uhr Artikel anhören
Auch eine Glaskugel hilft nicht. Oder doch?
(Foto: dpa-tmn)
Die Aktienmärkte sind dieses Jahr in Deutschland und den USA stark gestiegen. Vor allem die sinkenden Inflationsraten lieferten Unterstützung. ntv.de hat mit vier Finanzmarkt-Experten diskutiert, ob sich der Bullenmarkt 2024 fortsetzt.
ntv.de: Der DAX und der amerikanische S&P 500 haben in diesem Jahr ordentlich zugelegt. Für ein solches Plus brauchen die Aktienmärkte historisch betrachtet eigentlich zwei Jahre. Sind die Börsen nicht reif für eine Korrektur nach unten?

Reinhard Pfingsten arbeitet seit September 2023 als Chief Investment Officer bei der Deutschen Apotheker- und Ärztebank. Diese Funktion übte der studierte Mathematiker bereits zuvor bei der Bethmann Bank und Hauck & Aufhäuser Privatbankiers aus.
Reinhard Pfingsten: Die kräftigen Kursanstiege bisher sind als eine Gegenreaktion auf das schlechte Börsenjahr 2022 zu sehen. Kurzfristig ist sicherlich nach dem Lauf eine Korrektur möglich, zumal das Konjunktur- und Gewinnwachstum im vierten Quartal eher schwach gewesen sein dürfte. Aber insgesamt sollte sich der positive Trend fortsetzen.
Marco Herrmann: Konsolidierungsphasen gehören zur Natur der Aktienmärkte. Ein, zwei Monate mit höheren Inflationsraten könnte die Hoffnung auf schnelle Zinssenkungen nehmen und eine solche Phase einleiten. Der mittelfristige Aufwärtstrend sollte dadurch nicht gefährdet werden.
Michael Wittek: Schlagworte wie Ukraine-Krieg, Nahost-Konflikt und Sorge um die Konjunktur haben die Märkte die "wall of worry" hinaufklettern lassen. Korrekturen wird es geben. Denn sie sind völlig normal am Aktienmarkt.
Oliver Zastrow: Es gibt sicherlich Potenzial für eine Korrektur und weiterhin recht hohe Volatilität. Die Kurse sind stark datengetrieben. Das Spannungsfeld zwischen Inflation und Zinserwartungen bleibt erhalten. Außerdem ist der Markt bereits jetzt in manchen Bereichen technisch erheblich überkauft. Das Momentum bleibt aber positiv.
ntv.de: Der wesentliche Kurstreiber war die Erwartung der Anleger, dass die Notenbanken, also die amerikanische Fed und die EZB, ihre Leitzinsen nicht weiter erhöhen, sondern schon bald mit Zinssenkungen anfangen. Ist das nicht etwas verfrüht?
Zastrow: Die Hoffnung der Anleger liegt sicherlich darauf, dass die USA bis zur Jahresmitte erste Zinssenkungen anstreben und die EZB mit leichter Verzögerung folgt.

Marco Herrmann ist seit 1992 für renommierte Banken und Fondsgesellschaften tätig. Seit 2010 verantwortet er als Geschäftsführer die Anlagestrategie der FIDUKA Depotverwaltung.
Herrmann: Aus unserer Sicht ist die aktuelle Erwartung von bis zu fünf Zinssenkungen etwas zu optimistisch. Wir rechnen bei der EZB nur mit zwei und bei der amerikanischen Notenbank Fed mit drei Zinsschritten.
Pfingsten: In der Regel warten die Notenbanken nicht darauf, dass das Zwei-Prozent-Inflationsziel erreicht ist, bis sie die ersten Leitzins-Senkungen vornehmen. So wohl auch dieses Mal.
Wittek: Der wesentliche Kurstreiber waren meines Erachtens die höhere Bewertung von Aktien und das Auspreisen einer Rezession.
ntv.de: In Deutschland einigten sich Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände zum Teil auf prozentual zweistellige Lohnerhöhungen. In den USA steigen die Löhne in der Automobilindustrie sogar um 25 Prozent. Drohen da nicht eine Lohn-Preis-Spirale und wieder ein Ansteigen der Inflation?

Michael Wittek leitet das Portfoliomanagement bei Albrecht, Kitta & Co. und ist für die Anlagestrategie der Vermögensverwaltung verantwortlich.
Wittek: Die Gefahr sehe ich durchaus. Wenn sich die Konjunktur nicht abkühlt und als Gegenpol agiert: Ja, dann dürfte die Inflation wieder steigen.
Herrmann: Das sehe ich ähnlich, vor allem langfristig. Die Demografie entwickelt sich mehr und mehr zum Inflationstreiber. Fehlende Arbeitskräfte haben die Verhandlungsmacht zugunsten der Gewerkschaften verlagert.
Pfingsten: Ich bin da etwas entspannter. Auch wenn die Lohnanhebungen teilweise sehr deutlich ausgefallen sind und dies dazu führt, dass die Arbeitnehmer seit Längerem mal wieder reale Lohnsteigerungen erfahren haben, sehen wir nicht die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale. Aber der Gegenwind von dieser Seite wird dazu führen, dass sich der weiterhin rückläufige Inflationstrend 2024 verlangsamt.

Oliver Zastrow arbeitet als Geschäftsführer bei der Qcoon Gruppe in Hamburg. Davor war er bei der Hamburger Vermögensverwaltung Albrecht, Kitta & Co. und der UBS Europe SE tätig.
Zastrow: Derzeit kühlt sich der US-Arbeitsmarkt gerade ab, sodass künftige Abschlüsse wieder moderater ausfallen könnten. Die Gewerkschaften, insbesondere in Deutschland, verargumentieren die hohen Lohnforderungen mit der Kompensation für vergangene Preissteigerungen. Da auch hier die Inflation rückläufig ist, entfällt dieses Argument für künftige Runden.
ntv.de: Öl hat in diesem Jahr die Inflation tendenziell eher gedämpft als angetrieben. Könnte es 2024 in der anderen Richtung wirken?
Herrmann: Damit die Energiepreise wieder kräftiger anziehen, müsste entweder das globale Wachstum an Schwung gewinnen oder im Nahen Osten die Lage eskalieren. Beides kann ich derzeit nicht erkennen.
Pfingsten: Die Entwicklung des Ölpreises hängt unserer Meinung nach von zwei Faktoren ab. Zum einen, wie stark entwickelt sich die globale Konjunktur, und zum anderen, wie diszipliniert setzen die OPEC+-Staaten ihre Fördermengen-Vereinbarungen um. Beides ist schwer vorherzusagen und kann zu Ausschlägen in beide Richtungen führen. Eine Ausweitung der geopolitischen Konflikte insbesondere im Nahen Osten könnte jedoch einen Ölpreisanstieg nach sich ziehen.
Zastrow: Das ist kurzfristig betrachtet sicherlich so. Aber ein Preis von um die 80 Dollar je Fass (159 Liter) scheint aktuell im Sinne der OPEC+ zu sein. Die beschleunigte Energietransformation hin zu regenerativen Energien und Kernkraft spricht strukturell auf längere Sicht eher gegen einen erheblichen Anstieg.
Wittek: Unter 60 Dollar würden die USA ihre strategische Reserve wieder auffüllen und so für Nachfrage sorgen. Über 100 Dollar wird es sehr attraktiv für Angebotsausweitungen und das würde den Preisauftrieb verlangsamen. Daher wird der Einfluss auf die Inflation nicht zu groß sein.
ntv.de: Wie groß sind die Rezessionsrisiken in den USA und Europa einzuschätzen und sind diese in den Aktienmärkten auf irgendeine Weise eingepreist?
Pfingsten: Wir erwarten, dass die USA ihren Coup 2024 wiederholen und einer Rezession mit deutlichem Abstand entgehen. Entgegen der weit verbreiteten Erwartung wird sich das Wachstum der größten Volkswirtschaft der Welt unserer Einschätzung nach nicht nennenswert abschwächen, sondern bei mehr als zwei Prozent verfestigen. Da unser globales Wachstumsbild oberhalb der Markterwartungen liegt, sehen wir für die Aktienmärkte auch noch positives Überraschungspotenzial.
Herrmann: Da bin ich anderer Meinung. In den USA profitiert die Wirtschaft noch von hohen fiskalischen Stimuli, doch deuten die Frühindikatoren bereits auf eine spürbare Abkühlung hin. Der Indikator der Atlanta Fed zeigt aktuell nur noch 1,2 Prozent Wachstum an. Über weite Strecken des ersten Halbjahrs dürften uns die Konjunktursorgen begleiten, denn so lange werden die Bremseffekte der vorherigen Zinsanhebungen noch nachwirken. Eine Rezession sehen wir in den USA allerdings auch nicht.
ntv.de: In den USA haben vor allem die sogenannten Magnificent 7, also Alphabet, Amazon, Appel, Microsoft, Nvidia, Meta Platforms und Tesla, die Wall Street nach oben gezogen. Sind das auch die Favoriten für 2024 oder kommt es zu einem Wechsel?
Wittek: Auch 2024 werden diese Titel gefragt sein, weil die Unternehmen hohe Gewinne und hohe Cashflows generieren. Außerdem haben sie wenige bis keine Schulden. Aber die Wertsteigerungen so wie in diesem Jahr trauen wir ihnen in 2024 nicht noch einmal zu.
Zastrow: Die generell hohe Bewertung ist eines der wenigen Argumente gegen die großen Tech-Werte. Demgegenüber stehen viele positive Aspekte: das Momentum, die Preismacht, die hohen freien Cashflows, der im Vergleich relativ geringe Verschuldungsgrad sowie der jüngst aufgekommene KI-Boom. Die Tech-Konzerne müssen jedoch auch hohe Erwartungen erfüllen. Aber wie so häufig gilt: Wenn alle sich so sicher sind, könnte es auch ein Kontraindikator sein.
Pfingsten: Wir rechnen nicht damit, dass sich die Investoren vom Thema Künstliche Intelligenz abwenden. Und solange die von ihnen angesprochenen Unternehmen gewinnseitig nicht enttäuschen, werden die Aktienkurse auch weiter steigen. Die Kursanstiege werden aber geringer als im Jahr 2023 ausfallen.
ntv.de: Besonders nachhaltig ist das ja nicht, wenn nur ein paar ganz wenige Unternehmen die Börse steigen lässt, der breite Markt sich aber seitwärts entwickelt.
Pfingsten: Das ist völlig richtig. Diese Bewertungskluft besteht zudem nicht nur zwischen den US-Tech-Riesen und dem breiten US-Markt, sondern auch zwischen verschiedenen Regionen. So ist der europäische Aktienmarkt deutlich attraktiver als sein US-Pendant bewertet. Die Erfahrung zeigt, dass sich diese Trends im Zeitverlauf wieder umkehren. Wann diese Trendumkehr jedoch startet, ist mit Sicherheit nicht vorherzusagen.
Wittek: Das heißt aber nicht zwingend, dass die Mag 7 korrigieren müssen. Die anderen Werte können aufholen, indem sie steigen, während die Mag 7 seitwärts laufen.
ntv.de: Wie könnten sich die Unternehmensgewinne in den USA und Europa im kommenden Jahr entwickeln?
Zastrow: Vorsichtig optimistisch könnten bei einer sanften Landung die Gewinne moderat steigen. In den USA möglicherweise etwas deutlicher als in Europa, wo es strukturelle Probleme zu lösen gilt.
Herrmann: Wir blicken positiver auf die Gewinnperspektiven der Unternehmen als noch vor einem Jahr. Denn der Kostendruck lässt etwas nach, Energie- und Transportkosten sinken wieder, die Nachfrage sollte von einem niedrigen Niveau aus wieder anspringen, dem Konsumenten geht es besser als befürchtet. Zudem profitiert der Technologiesektor von Investitionen in die Digitalisierung der Wirtschaft.
Wittek: Wir sind weniger zuversichtlich und erwarten nur stabile bis leicht steigende Unternehmensergebnisse.
ntv.de: In welcher Spanne sollte sich der S&P 500 und der DAX im Laufe des kommenden Jahres bewegen?
Herrmann: Eine attraktive Bewertung, wieder steigende Unternehmensgewinne und die wahrscheinliche Wende bei der Geldpolitik eröffnen Aktien weiteres Kurspotenzial für 2024. Der DAX könnte nach einer möglichen temporären Korrektur im ersten Quartal im Laufe des Jahres auf 17.500 Punkte steigen. Für den S&P betrachten wir 5000 Punkte als realistisch.
Pfingsten: Grundsätzlich rechnen wir mit steigenden Indexständen, was aber nicht heißen soll, dass die Indizes zwischendurch auch mal unter die aktuellen Niveaus fallen können. Für den S&P 500-Index halten wir einen Anstieg bis auf 4800 Punkte für realistisch, beim DAX könnten wir uns ein Überschreiten der 18.000-Punkte-Marke vorstellen.
ntv.de: Wie lauten die Aktienfavoriten für 2024. Welche Regionen, Branchen oder auch Einzelwerte sind aussichtsreich?
Wittek: Wir setzen auf eine Mischung aus Mag 7 und Dividendentiteln mit dem Fokus auf Europa und die USA.
Zastrow: Ja, genau. Die USA und Europa sollten als Kerninvestment höher gewichtet werden. Hier sind vor allem Titel mit guter Bilanzqualität und geringer Verschuldung sowie Qualitätsaktien mit hoher Dividendenkontinuität aussichtsreich, außerdem Unternehmen mit disruptiven Technologien, insbesondere in den Bereichen KI und Cybersecurity.
Pfingsten: Wir positionieren uns etwas anders. Unter regionalen Gesichtspunkten starten wir das Jahr mit einer Übergewichtung des japanischen und europäischen Aktienmarktes. Aufgrund des hohen Bewertungsniveaus sowie der in den Prognosen bereits enthaltenen deutlichen Gewinnsteigerungen in den Vereinigten Staaten raten wir im Gegenzug zu einer Untergewichtung des US-Aktienmarkts.
Herrmann: In einem Umfeld mit niedrigem Wirtschaftswachstum schlagen sich defensive Qualitätsaktien meistens am besten. Neben dem Gesundheitssektor, der 2023 noch enttäuschte, und Produzenten von Konsumgütern des täglichen Bedarfs sollten im neuen Jahr auch wieder wachstumsstarke Technologie-Aktien die Nase vorn haben. Wir konzentrieren uns vor allem auf die Qualitäten und Geschäftsaussichten einzelner Unternehmen und weniger auf die regionale Zuordnung.
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Quelle: ntv.de