Göring-Eckardt zu Klima-Rebellen "Ein netter Satz zu Volker Wissing muss sein"
29.04.2023, 08:12 Uhr
"Wir brauchen Atomkraftwerke nicht", sagt Katrin Göring-Eckardt.
(Foto: picture alliance / photothek)
Atomausstieg, Verbrenner-Aus, Wärmewende - egal, welche Entscheidung es betrifft, Streit, Diskussionen und Widerstand sind in Klima- und Energiefragen vorprogrammiert. Obwohl Klimaschutz geltendes Recht ist, gibt es wenig Verständnis für unbequeme Entscheidungen. Einzig günstige Strom- und Heizkosten zählen. Sind Demokratien dazu verdammt, an der Klimakrise zu zerbrechen? Nein, sagt Katrin Göring-Eckardt am Tag der Klimademokratie. Die Vizepräsidentin des Bundestags ist überzeugt, dass Autokratien wie China die Energiewende nicht besser stemmen werden als Deutschland. Im "Klima-Labor" von ntv nimmt sie Verkehrsminister und Klimanachzügler Volker Wissing sogar für einen Moment in Schutz. Sie schaut auch gespannt auf den Versuch von CDU-Chef Friedrich Merz, eine Mehrheit für seine Atom-Wiedereinstiegspläne zu finden. Die Atompläne von CSU-Chef Markus Söder bereiten ihr allerdings Sorgen.
ntv.de: In den vergangenen Monaten wurde bei jeder wichtigen Klima-Entscheidung - Verbrenner-Aus, E-Fuels, Heizpläne, der Atomausstieg - heftigst gestritten. Manchmal entsteht der Eindruck, Klimaschutz würde eher in einer Diktatur als in einer Demokratie funktionieren ...
Katrin Göring-Eckardt: Nein, das ist nicht einfacher. Das sieht man auch, wenn man sich Diktaturen wie China anschaut. Nehmen wir die Corona-Pandemie, das war ja auch eine große Krise. Anfangs dachte man, China bekommt das viel besser hin. Am Schluss hat man festgestellt: Nein, kriegen sie nicht. Im Gegenteil: In China sind am Ende viele Leute auf die Straße gegangen, weil sie sich die extrem restriktiven Maßnahmen nicht mehr gefallen lassen wollten. Das gilt für die Klimakrise noch ein bisschen mehr. Wir werden sie nur bewältigen können, wenn wir dafür sorgen, dass alle Menschen mitmachen und mithelfen können - natürlich im Rahmen bestimmter Vorgaben.
Setzt das nicht voraus, dass tatsächlich alle mitmachen wollen? Es gibt doch einen riesigen Widerstand gegen den Austausch von Öl- und Gasheizungen, obwohl wir ganz genau wissen: Eigentlich dürften wir schon heute nicht mehr mit fossilen Brennstoffen heizen.
Ich will nicht sagen, dass wir in der Diskussion alles richtig gemacht haben, aber ich habe mich sehr über politische Mitbewerber und bestimmte Medien geärgert, die mit Falschmeldungen die Leute bewusst in Sorge versetzt haben. Es ging nie darum, funktionierende Heizungen von heute auf morgen auszutauschen. Aber wenn eine neue Heizung ansteht, muss sie möglichst nachhaltig sein. Mit staatlicher Förderung sorgen wir dafür, dass niemand hängen gelassen wird. Der Umstieg wird sich auch finanziell lohnen, denn der Betrieb von fossilen Heizungen wird schon in wenigen Jahren für viele Menschen unbezahlbar sein, weil Öl und Gas immer teurer werden. Das liegt am Emissionshandel. Und dass Wind, Sonne, Erdwärme oder die Luft bei der Wärmepumpe uns keine Rechnung nach Hause schicken, liegt auch auf der Hand.
Aber es wird wieder viele Ausnahmen geben, die wir uns eigentlich auch nicht leisten können. Am Ende wird jede einzelne Entscheidung aufgeweicht.
Nicht jede Ausnahme erklärt sich von selbst, aber das ist trotzdem der richtige Weg. Die Hilfen und Förderinstrumente müssen so gestrickt sein, dass der Wechsel für alle bezahlbar bleibt. Wir sind inzwischen auch an einem Punkt angekommen, an dem wir keine Wahl mehr haben. In den letzten Jahren ist bei Gebäuden, Verkehr und Energie viel zu wenig passiert. Wenn wir unsere Klimaziele noch erreichen wollen, müssen wir jetzt sehr schnell vorankommen und vieles gleichzeitig machen. Für lange Diskussionen, ob man die Ziele besser mit Biogas, Fernwärme, Wärmepumpe oder doch einem Hackschnitzel erreicht, bleibt keine Zeit mehr. Wobei man eigentlich von Verpflichtungen statt Zielen sprechen sollte, denn die sind ja Gesetz. Das haben sich die Grünen nicht ausgedacht, sondern Deutschland ist diese Verpflichtungen europäisch und global eingegangen. Unsere Verfassung gibt uns auf, die Lebensgrundlagen künftiger Generationen zu schützen. Und zur Demokratie gehört, dass wir unsere Gesetze einhalten.
Haben Sie das mal Volker Wissing gesagt?
Ja, aber das muss man ihm auch gar nicht sagen, das weiß er schon.
Also ignoriert er die deutschen Gesetze einfach so?
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Ein netter Satz zu Volker Wissing muss sein: Er hat ein schweres Erbe angetreten. Vor ihm gab es nur Verkehrsminister, die eigentlich nichts anderes wollten, als in jeder Hinsicht fossil unterwegs zu sein. Die haben sich nicht um Emissionen gekümmert. Das muss er jetzt im Rahmen der Gesetze bewältigen. Ich erinnere ihn und die FDP immer gerne daran, dass ein Tempolimit eine gute Idee wäre.
FDP-Chef Christian Lindner hat Volker Wissing sinngemäß mit dem interessanten Satz verteidigt, dass ja nicht der Verkehrsminister CO2 ausstößt, sondern die Menschen, die Auto fahren wollen.
Wenn die Menschen so gerne Auto fahren, muss man auch fragen: Welche Alternativen haben sie denn? Ich bin total happy, dass es jetzt das 49-Euro-Ticket gibt, weil sich die Leute damit langfristig umstellen können. Für den Großteil des ländlichen Raumes wird das aber nicht reichen. Die Leute werden es nicht kaufen. Aber nicht, weil sie es nicht kaufen wollen, sondern weil kein Bus fährt, in den man einsteigen könnte. Das ließe sich in enger Taktung auch kaum realisieren. Auf dem Land kommt es vor allem darauf an, längere Pendelstrecken mit dem Zug bewältigen zu können. Für die kurzen Strecken auf dem Land und Zubringerwege brauchen wir die Antriebswende. Man kann also nicht einfach sagen, die Leute wollen Verbrenner fahren. Wir sehen ja auch in China, dass die deutschen Autobauer damit gerade keine Chance mehr haben, weil die meisten lieber elektrisch fahren.
Aber dann sind wir doch wieder beim ersten Punkt: Die chinesischen Autobauer müssen Produktionsquoten erfüllen.
Die Vorgaben sind das eine, aber unsere Autobauer sind auch immer davon ausgegangen, dass es mit dem Verbrenner einfach immer weitergehen würde, weil aus der Politik keine eindeutigen Signale kamen.
Fänden Sie es denn sinnvoll, wenn im Strafgesetzbuch nachgebessert würde? Ob man die Letzte Generation mag oder nicht, sieht es im Moment doch so aus: Wer sich für das Klima einsetzt, kommt ins Gefängnis. Wer deutsche Klimagesetze missachtet, kann einfach so weitermachen wie bisher.
Es gibt ja Sanktionen, wenn Ministerien oder Unternehmen Gesetze missachten, nur nicht für einzelne Personen. Dieses Haftungsprinzip hat mit der Demokratie zu tun. Das ist auch gut so. Bei der Letzten Generation ist es so, dass sie Strafen bewusst in Kauf nimmt. Wenn dann die volle Härte des Gesetzes gefordert wird, muss man daran erinnern, dass auch die volle Härte verhältnismäßig sein muss.
Einige Menschen würden sich bestimmt freuen, wenn die Weigerung von Volker Wissing ebenfalls persönliche Konsequenzen hätte.
In der Politik treten die persönlichen Konsequenzen spätestens bei der nächsten Wahl ein. Manchmal auch schon vorher, wenn klar wird: Das kannst du nicht durchgehen lassen. Dann muss die Person zurücktreten oder wird nicht mehr Ministerin oder Minister. Und wenn Sie sagen, "einige würden sich freuen", muss man dann nicht fragen, wieso eine Mehrheit es offensichtlich anders sieht?
Wie beim Atomausstieg? Denn den kann eine Mehrheit zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht nachvollziehen.
Die Reaktionen sind schon sehr interessant. An der Stelle sollte man nochmal erklären, was eigentlich die Probleme der Atomkraft sind. Das erste ist die Sicherheit. Es sagen ja immer alle, dass wir die sichersten Atomkraftwerke überhaupt haben. Das mag sein. Aber wir haben in Fukushima gesehen, was eine Naturkatastrophe anrichten kann. In der Ukraine spielt Wladimir Putin in Saporischschja mit dem Feuer. Das ist nicht weit von uns entfernt.
Das zweite ist: Wenn die Dinger weiterlaufen sollen, müsste man neue Brennstäbe kaufen. Dafür braucht man Uran. Wo würde das herkommen? Russland und seine engen Partner haben einen gewichtigen Anteil an der weltweiten Uranförderung. Bei den Brennstoffen, die es zum Betrieb der Atommeiler braucht, sind wir größtenteils von Russland abhängig. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Mit dem Ende der Atomkraft in Deutschland machen wir uns ein weiteres Stück unabhängiger.
Und das dritte ist: Wir haben jetzt endlich die Chance, dass durch unsere Netze erneuerbarer Strom fließt. Nicht Atomstrom, der mit seiner Grundlast dafür sorgt, dass Windräder abgeschaltet werden müssen, weil man Kernkraftwerke nicht hoch- und runterfahren kann. Über die Endlagerfrage, was das kosten würde, wie lange das Zeug strahlt und, und, und haben wir noch gar nicht geredet.
Die Probleme sind nachvollziehbar, und trotzdem sitzt CDU-Chef Friedrich Merz nur wenige Tage nach dem Atomausstieg im Fernsehen und plant den deutschen Wiedereinstieg. Und unabhängig von der Frage, ob er das überhaupt schafft, liegt er vermutlich auch wegen genau dieser Position aktuell in allen Wahlumfragen vorne.
Es gehört zu unserer Demokratie, dass Friedrich Merz solche Überlegungen anstellen kann. Ich bin allerdings überzeugt, dass es am Ende nicht dazu kommt. Auch Rückversicherer sagen zu Recht: Das ist uns viel zu teuer. Deshalb: Volle Kraft jetzt für die Erneuerbaren. Die sind da. Mit denen kennen wir uns aus. Wir brauchen Atomkraftwerke nicht. Trotzdem verunsichern solche Aussagen wie die von Friedrich Merz die Leute oder wecken falsche Hoffnungen.
Aber warum verfangen denn die Aussagen von Friedrich Merz im Fernsehen und nicht Studien, die ausnahmslos belegen, dass Windkraft und Solarenergie günstiger und sicherer sind?
Weil nicht ausreichend gut aufgeklärt wurde, von Politik wie von Medien. Die noch krasseren Aussagen von Markus Söder bereiten mir Unbehagen. Denn die Vorstellung, dass jemand, der noch vor ein paar Jahren zurücktreten wollte, wenn wir nicht auf jeden Fall 2022 aus der Atomkraft aussteigen, Kernkraftwerke jetzt allein in bayerischer Verantwortung weiterbetreiben will. Das ist Wankelmut pur und keine verlässliche Politik. Aber gut, zur bayerischen Verantwortung würde dann auch ein Endlager gehören. Dann hätten wir wenigstens eins.
Mit Katrin Göring-Eckardt sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Kunstfleisch? Das Grauen 4.0. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. LNG? Teuer.
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Quelle: ntv.de