CDU-Chef bei Maischberger Merz will Atomkraft noch nicht abschreiben
19.04.2023, 03:50 Uhr Artikel anhören
Im Fernsehstudio hat Klingbeil das Publikum auf seiner Seite.
(Foto: WDR/Oliver Ziebe)
Der SPD-Parteichef Klingbeil trifft bei Maischberger auf den CDU-Vorsitzenden Merz. Der hält den nun vollzogenen Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie weiter für einen schweren Fehler und will Optionen für eine Reaktivierung der vorhandenen AKW offenhalten. Die Diskussion endet mit einem klaren Unentschieden.
Es ist Dienstagabend, kurz nach 23 Uhr. Bei Sandra Maischberger in der ARD trifft SPD-Parteichef Lars Klingbeil auf seinen CDU-Kollegen Friedrich Merz. Wer einen heftigen Streit erwartet, wird enttäuscht. Ruhig tauschen die beiden Politiker ihre Argumente aus. Die Diskussion ist dennoch spannend. Sie beginnt mit einer Kritik an der Ampelkoalition, die von Klingbeil kommt: "Der letzte Koalitionsausschuss hat drei Tage gedauert. Das war mir zu lang. Es gab wichtige Ergebnisse, die das Land über Jahre positiv prägen werden. Aber es ist dann nicht gut, wenn es 24 Stunden später weitergeht mit öffentlichem Streit. Das ist nicht angemessen für die großen Ziele, die wir erreichen müssen in dieser Koalition."
Merz reagiert dagegen fast schon verständnisvoll. "Die Koalition ist in einem schwierigen Fahrwasser", sagt der CDU-Vorsitzende. Er habe sich gewünscht, dass man nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine den Koalitionsvertrag beiseitegelegt hätte. Klingbeil reagiert: Die Entlastungspakete für die Bundesbürger, das Hundert-Milliarden-Euro-Paket für die Bundeswehr, Gas- und Strompreisbremse und der Bau der LNG-Terminals seien Punkte gewesen, die so im Koalitionsvertrag nicht gestanden hätten. Die Regierung habe das Land gut durch den Winter gebracht. Die von Merz und seinen Parteifreunden prognostizierten Blackouts seien ausgeblieben.
Merz gegen schnellen Rückbau der stillgelegten AKW
Und damit ist man schon bei den Atomkraftwerken, die am Samstag abgeschaltet worden sind. Dass Merz diese Entscheidung falsch findet, ist bekannt. "Wir haben in den letzten sechs Monaten starke Schwankungen im Stromnetz gesehen, und wir nehmen jetzt ohne Not aus rein politischen und ideologischen Gründen drei sichere und CO2-freie Atomkraftwerke vom Netz. Auf der Welt sind zurzeit 400 AKWs im Betrieb, 60 neue werden gebaut. Die einzigen, die mitten in der größten Energiekrise seit den 1970er Jahren aussteigen, sind die Deutschen", sagt er. Durch den Winter sei man nur gekommen, weil die Bürger gespart und die Industriebetriebe ihre Produktion heruntergefahren hätten. Deutschland sei dieses Jahr erstmals mit einer zurückgehenden Industrieproduktion konfrontiert.
"Wenn die AKWs weiterlaufen würden, würde es der Industrie nicht besser gehen", kontert Klingbeil, der die aktuelle Diskussion "nicht redlich" findet. Die Industrie habe von der Ampel Planungssicherheit gefordert. Auch für die Unternehmen liege die Zukunft bei den erneuerbaren Energien. Er sei nicht glücklich darüber, dass Kohlekraftwerke zur Verstromung genutzt werden müssen. Aber Schuld daran sei der Krieg in der Ukraine. Jetzt müsse man an den Ausbau der erneuerbaren Energien gehen, dafür habe die Ampelkoalition die entsprechenden Grundlagen geschaffen. "Und wenn wir das endlich mal tun, bekommen wir am Ende den sichersten und günstigsten Strom." Der Weg dahin sei jedoch hart und unbequem.
Auch Merz spricht sich für den Ausbau erneuerbarer Energien aus, möchte aber neben Wind und Sonne auch den Strom aus Wasserkraft und die Biomasseverstromung fördern. Außerdem setzt er weiter auf die Atomenergie. Deswegen werde die Union diese Woche im Bundestag vorschlagen, die noch bestehenden Atomkraftwerke nicht sofort zurückzubauen, so wie das die Ampel wolle. Falls dann 2025 die Bundestagswahl gewonnen werde, wolle man möglicherweise die Wiederaufschaltung der noch vorhandenen AKWs prüfen. "Wir sind mit allen regenerativen Energieformen heute noch nicht in der Lage, eine grundlastfähige Stromversorgung der privaten Haushalte und der Wirtschaft zu garantieren", gibt Merz zu bedenken.
Den Vorschlag des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, die Kernenergie in die Hände der Länder zu legen, hält Merz für diskussionsfähig, so wie jeden anderen Vorschlag, der zur Erhöhung der Stromversorgung führen kann. Für umsetzbar hält er ihn jedoch nicht, weil dazu das Atomgesetz und möglicherweise sogar das Grundgesetz geändert werden müsse. Dazu fehle die Mehrheit.
"Der Vorschlag von Söder ist ein sehr populistischer Vorschlag, der dem Wahlkampf und der aktuellen Stimmung geschuldet ist. Aber die Zeit der Atomenergie ist vorbei", macht Klingbeil klar und fordert, die CSU solle in Bayern den Ausbau von Wind- und Solarenergie sowie von Photovoltaikanlagen fördern.
Merz kennt Gesetzesvorlage, Klingbeil nicht
Das Bundeskabinett will am heutigen Mittwoch das Gebäudeenergiegesetz auf den Weg bringen, in dem der Umstieg von Gas- und Ölheizungen auf schadstoffarme Heizungsanlagen ab 2024 geregelt wird. Dabei habe die SPD großen Wert darauf gelegt, dass der Wechsel sozial abgefedert werde. Allerdings kenne er die Vorlage nicht, da er kein Mitglied im Kabinett ist, sagt Klingbeil. "Ich kenne sie", sagt Merz. "Von sozialer Abfederung steht da nichts drin." Sie werde aber kommen, verspricht Klingbeil.
Bei den Zielen des umweltfreundlichen Heizens seien sich Union und Ampel einig, nicht aber über den Weg, erklärt Merz. Dem CDU-Chef geht das alles zu schnell. Er will, dass das entsprechende Gesetz wie ursprünglich geplant erst 2026 in Kraft tritt.
Einen echten Sieger gibt es am Ende nicht. Im Gegenteil: Man kann sich gut vorstellen, wie die beiden Politiker einmütig die Sendung verlassen, um sich danach gegenseitig zu Pumpernickel und Calenberger Pfannenschlag zu verabreden.
Quelle: ntv.de