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Fünf Lehren des SPD-Parteitags Lasst uns links und Ampel sein

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Gehen gestärkt aus dem Parteitag hervor: Saskia Esken, Olaf Scholz und Lars Klingbeil.

Gehen gestärkt aus dem Parteitag hervor: Saskia Esken, Olaf Scholz und Lars Klingbeil.

(Foto: picture alliance/dpa)

Am zweiten Adventssonntag endet der dreitägige SPD-Bundesparteitag im Berliner Messezentrum. Die Sozialdemokraten senden mit großen Mehrheiten für ihre Führungsspitze ein starkes Signal der Geschlossenheit. Zugleich verabschieden sie eine Reihe von Forderungen, die die Partei deutlich links der eigenen Regierung positionieren - von der Sozial- und Steuerpolitik über einen aktiv lenkenden Staat bis hin zu Fragen der Zuwanderungs- oder Klimapolitik. Kursänderungen im Bund sind ungeachtet desaströser Umfragewerte kein Thema. Auch Kritik am Bundeskanzler will jenseits des Parteinachwuchses kaum jemand hören.

1. Der Kanzler kann Wärme
Ausweislich der Umfragen ist das Ansehen des Bundeskanzlers an einem Tiefpunkt und um die SPD steht es nicht viel besser. Wer nun aber erwartet hat, Olaf Scholz würde im Berliner Messezentrum scharfe Kritik entgegenschlagen, wird eines Besseren belehrt. Noch bevor der Regierungschefs am Samstag ein Wort an die Delegierten richten kann, wird er mit stehenden Ovationen überschüttet und noch mehr, als seine einstündige Rede beendet hat. Im Kern hat Scholz nichts Neues gesagt. Weder zeigt er einen Weg auf zur Lösung der akuten Haushaltskrise noch reflektiert der Kanzler, wie er und die SPD die Bundesregierung künftig überzeugender anführen könnten.

Doch der einst von seiner Partei als Vorsitzender geschmähte Scholz liefert eine seiner besten Parteitagsreden, indem er den Zuhörern versichert, mit ganzer Kraft sozialdemokratische Vorstellungen zu verfolgen: von der Verteidigung des Sozialstaats gegen Sparvorschläge aus FDP und Union und dem Kampf für bessere Löhne über das Engagement für den Erhalt und die Ansiedlung neuer Industriearbeitsplätze bis hin zum her Klimapolitik. Den Menschen begründete "Zuversicht" zu geben, dass die zahlreichen und unvermeidlichen Veränderungen in eine gute Zukunft führen, sei das beste Mittel gegen Aufstieg der AfD. Derart versichert, dass der SPD-Kanzler aus eigener Überzeugung sozialdemokratische Ziele verfolge, zeigen die Delegierten sich regelrecht begeistert: Zumindest in der SPD herrscht nun wieder "Zuversicht".

2. Die Friedenspartei lebt den Parteifrieden
Während Scholz sich keiner Wahl stellen muss, werden die Vorsitzenden und der Vorstand neu gewählt. Ungeachtet der Umfragewerte im Bund und den vergangenen Landtagswahlniederlagen werden Lars Klingbeil und Saskia Esken mit Werten oberhalb von 80 Prozent wiedergewählt. Esken, einst von vielen innerhalb wie außerhalb der Partei als für zu leicht befunden für den Job, geht nun in ihre dritte Amtszeit. Generalsekretär Kevin Kühnert, der im Stil seiner Zeit als Juso-Vorsitzender teils leidenschaftlich zu den Delegierten sprach, erhielt mehr als 90 Prozent. Auch die Vize-Vorsitzenden mussten sich wegen ihrer Ergebnisse nicht grämen, schon gar nicht Hubertus Heil mit seinen fast 97 Prozent.

Ist es ein Burgfrieden angesichts der vielen Angriffe von außen? Eher nicht. Der SPD ist es unter den Chefs von Partei und Fraktion gelungen, sämtliche Konflikte und programmatischen Streits strikt intern zu klären. Das war die Basis des Wahlsiegs 2021 und die Sozialdemokraten haben es verinnerlicht: Nur geschlossen nach außen kann die SPD überhaupt erfolgreich sein. Dass ihr der Zusammenhalt weiterhin gelingt, erstaunt angesichts der mauen Umfragewerte. Aber vielleicht ist es ja eher so: Solange die Sozialdemokratie regiert, ist die Welt aus Sicht der Genossinnen und Genossen immer besser, als wenn jemand anderes den Kanzler stellte. Doch diese Haltung birgt Risiken: Warum die SPD nicht bei den Wählern verfängt, hat der Parteitag kaum diskutiert.

3. Die Jusos sind eine Macht - mit klaren Grenzen
Über die CDU hieß es schon nach wenigen Merkel-Jahren, sie sei ein Kanzlerwahlverein. So mögen sich auch die überproportional stark vertretenen Juso-Delegierten vorgekommen sein, als sie ihrer Unmut Luft machen. Nacheinander gingen Mitglieder des Parteinachwuchses auf die Bühne, um Olaf Scholz ihre Unzufriedenheit zu vermitteln. Juso-Chef Philipp Türmer, noch frisch im Amt, attestiert dem Kanzler Führungsschwäche und fehlende Empathie. Er erhält kaum Zustimmung, eine Rednerin wird gar ausgebuht. Die Mehrheit der Delegierten will sich nicht von Jungen erklären lassen, wie man den Job des Bundeskanzlers in einer komplizierten Koalition ausfüllt.

Dennoch setzen die Jungsozialisten auf dem Parteitag eine Duftmarke. Zusammen mit der Parteilinken erzwingen sie, dass die SPD nun eine einmalige Vermögensabgabe von Superreichen fordert. Sie können auch eine Änderung der SPD-Forderung nach einer Schuldenbremsen-Reform durchsetzen. Demnach soll es nun gar keine starre Oberbremse bei der Schuldenaufnahme mehr geben. Und auch bei der Migrationspolitik holen sie einen Teilerfolg. Für die Forderung nach einer Abschaffung der EU-Grenzschutzagentur Frontext und eine Ablehnung von Außengrenzverfahren, die die EU-Asylreform vorschlägt, gibt es zwar keine Mehrheit. Zahlreiche Mindestanforderungen ihrer Partei an die Außengrenzverfahren kann aber Bundesinnenministerin Nancy Faeser bei den weiteren Verhandlungen zur Gemeinsamen Europäischen Asylpolitik (GEAS) schwerlich übergehen.

4. Eine SPD weit links der Ampel
Die Partei werde eineinhalb Jahre vor der heißen Phase des nächsten Bundestagswahlkampfes wieder "lauter" werden, hatte der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil im ntv.de-Interview angekündigt. Der Leitantrag "Zusammen für ein starkes Deutschland" gibt die Richtung vor: eine Million neue Jobs in klimaneutralen Zukunftsbranchen, Entlastungen für 95 Prozent der Einkommensschichten, höhere Besteuerung von hohen Erbschaften, mehr Geld für die Bildung. Zudem will die SPD die Schuldenbremse deutlich lockern, sobald sie eine grundgesetzverändernde Mehrheit sieht.

Die SPD ist mit dieser Programmatik eine Partei, die so gar nichts mit der FDP gemein hat. Ein starker Staat, der aktiv die Wirtschaft steuert, Schlüsselindustrien gegebenenfalls subventioniert, sich für einen spürbar höheren Mindestlohn und höhere Tarifgehälter stark macht und trotz der demografischen Herausforderungen niemanden zu mehr als 45 Jahren Berufstätigkeit zwingt - bei entlang der Inflation steigenden Renten und gleichbleibenden Beitragssätzen: Mit den Vorstellungen der FDP passt das nicht zusammen. Das ist auch der eigentliche Konflikt hinter der weiter schwelenden Haushaltskrise. Die Parteitagsbeschlüsse der SPD weisen in die Zukunft, doch die widerstreitenden Vorstellungen der Koalitionäre lähmen das Regierungsbündnis jetzt - und damit auch das ganze Land.

5. Annäherung war gestern, Russland ist der Gegner
Es ist eine der Kernaufgaben Klingbeils in seinen ersten beiden Jahren als Parteivorsitzender gewesen, die SPD außenpolitisch neu einzuordnen. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat nicht weniger als einen Bruch der Partei mit ihrer bisherigen Ostpolitik nötig gemacht. Sicherheit könne es vorerst nur gegen Russland geben, nicht mit der atomaren Supermacht ganz Osten des europäischen Kontinents, stellt nun ein weiterer Leitantrag fest. Der bekennt sich klar zur Fehleinschätzung der Partei, durch immer engere wirtschaftliche Verflechtung und immer größere Gasimporte das Reich Wladimir Putins einhegen zu können. Dafür, dass die Partei Warnungen kleinerer Staaten im Osten Europas so lange ignoriert hat, hat sich Klingbeil nun zum Teil persönlich entschuldigt.

Fraktionschef Rolf Mützenich räumt auf dem Parteitag ein, er habe Putins imperiales Denken "komplett unterschätzt". Die SPD müsse sich zu "Fehlern" und "Missverständnissen" bekennen. Zugleich scheint bei Mützenich oder auch beim Außenpolitik Ralf Stegner durch, wie sehr die viele Kritik an der SPD-Russlandpolitik der Vergangenheit sie noch immer kränkt. Es sei eine "Schande", die frühere Entspannungspolitik "in eine Linie mit dem Angriffskrieg" auf die Ukraine zu stellen, sagt etwa Mützenich. Beide verwahren sich auch gegen spitz vorgetragene Forderungen an den Bundeskanzler Olaf Scholz, der Ukraine mehr Waffen zur Verfügung zu stellen. Mit dieser Haltung sind sie offenbar nicht allein: Der Vorsitzende des Europaausschusses, Michael Roth, hatte Scholz' Zurückhaltung wiederholt kritisiert - und fiel überraschend bei der Wahl für einen Platz im Parteipräsidium durch.

Quelle: ntv.de

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