Sechs Lehren des 22. Spieltags Pizarro grenzenlos, FCB wackelt gen Anfield
18.02.2019, 12:13 Uhr
In der 96. Minute des 22. Spieltags kürt sich Claudio Pizarro zum ältesten Torschützen der Bundesliga-Historie.
(Foto: imago/Camera 4)
In der oberen Tabellenhälfte der Fußball-Bundesliga geht es am 22. Spieltag animalisch zu - außer in München, wo der FC Bayern vor dem Topspiel in Liverpool auf Wahnsinn setzt. Irre ist auch der neue Rekord eines Werder-Seniors.
1. FC Bayern jagt BVB mit "wahnsinniger" Wackelabwehr
Da fährt der FC Bayern München beim 3:2 gegen den FC Augsburg den neunten Sieg aus den vergangenen zehn Spielen in der Fußball-Bundesliga ein, wanzt sich bis auf zwei Zähler an den Spitzenreiter Borussia Dortmund heran - und dann sagt Trainer Niko Kovac: "Alles muss besser werden!" Klingt zunächst absurd. Wer aber das Auftaktspiel des 22. Spieltags am vergangenen Freitag (und vorangegangene Bayern-Partien) gesehen hat, weiß: Der deutsche Rekordmeister spielt defensiv momentan wenig meisterlich.
In den bisher fünf Ligaspielen dieses Jahres hat das Kovac-Team noch nicht einmal zu null gespielt. Tiefpunkt der derzeit wackeligen Abwehrperformanz war das Eigentor von Stürmer Leon Goretzka gegen für den FCA nach 13 Sekunden - Rekord in der 56-jährigen Bundesliga-Geschichte. "Die Gegentore waren natürlich der Wahnsinn. Wir wollten gut verteidigen, das haben wir nicht geschafft", räumte Torwart Manuel Neuer ernüchtert ein.
Immerhin: Trotz der Wackeldefensive ist es den Münchenern gelungen, zweimal einen Rückstand aufzuholen und so schließlich bei der Jagd auf den erst heute in Nürnberg spielenden BVB (ab 20.30 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) nicht nachzulassen. Doch wer denkt an der Säbener Straße überhaupt noch an Dortmund? Der Fokus liegt längst auf dem morgigen Achtelfinal-Hinspiel beim FC Liverpool in der Champions League (ab 21 Uhr ebenfalls im Liveticker bei n-tv.de). Beim englischen Titelanwärter von der Anfield Road, da ist sich Sportdirektor Hasan Salihamidzic sicher, muss sich der FC Bayern "um ein paar Hundert Prozent steigern". Kapitän Neuer sieht's ähnlich: "Wir müssen eine ganz andere Einstellung an den Tag bringen, vor allem defensiv." Klingt, als habe sein Trainer mit seiner eingangs vorgestellten Forderung doch recht. In der Liga bleibt die bajuwarische Kombination aus Wackelabwehr und energischen Gegenangriffen allerdings ein Erfolgsrezept. Noch.
2. Eichhörnchen reißen Fohlen aus Meisterrennen
Wochenlang tänzeln die Fohlen in der Tabelle um den FC Bayern München herum. Mal ist die Borussia aus Mönchengladbach Zweiter, mal trennt die Klubs nur die - an der Säbener Straße ja ohnehin für unerheblich erklärte - Tordifferenz. Und da den FC Bayern auch bei sattem Rückstand niemand so recht abschreiben wollte, durften sich Dieter Hecking und seine Mannen ebenfalls als Titelanwärter fühlen. So ein Ausrutscher gegen Hertha BSC kommt ja auch in den besten Familien mal vor - auch den hatte sich schließlich der Tabellennachbar geleistet (0:2 am 6. Spieltag). Wenn im direkten Anschluss aber beim 1:1 in Frankfurt ebenfalls Punkte liegenbleiben, dann sieht die neue Fohlenrealität wohl endgültig so aus: Borussia Mönchengladbach hat sich aus dem Meisterschaftsrennen verabschiedet. Mit nun fünf, respektive sieben bis zehn Punkten Vorsprung auf Platz drei spielen der FC Bayern und die schwarz-gelbe Borussia den Titel unter sich aus.
Folgerichtig findet das verlorene Meisterschaftsduell bei den Niederrheinern nicht mal mehr Erwähnung. Der Fokus für die restliche Saison liegt nun endgültig auf dem Erreichen der Champions League. "Wir nehmen den Punkt gerne mit, auch weil wir den Abstand zu den Frankfurtern gehalten haben", konstatiert Gladbach-Coach Dieter Hecking mit Blick auf die weiterhin sanft polsternden neun Punkte Vorsprung vor den siebtplatzierten Main-Metropolisten. Die fuhren ihrerseits das vierte Liga-Remis in Folge ein und treten mit ihren Europa-Ambitionen auf der Stelle. "Wir sind momentan in Eichhörnchen-Form unterwegs," nagt es an Eintracht-Coach Adi Hütter. "Ich gewinne lieber zwei Spiele und verliere zwei Spiele. Dann hat man zumindest zwei Punkte mehr." Richtig gerechnet. Und mit denen wäre man gegenwärtig sogar Fünfter. Ist man aber nicht.
3. Die Werksteams drängen nach Europa
Stell dir vor, dein Team marschiert gen Europapokal und kaum jemanden juckt's. Für den VfL Wolfsburg ist dieses Szenario bittere Realität, nur 20.334 Fans schauten sich den 3:0-Heimsieg der Wölfe gegen den 1. FSV Mainz 05 an - Saison-Minusrekord am Mittellandkanal. Dabei spielen die Kicker aus der Autostadt momentan groß auf. "Das ist ein ganz anderes Gefühl von Fußballspielen als in den vergangenen beiden Jahren", schwärmte Maximilian Arnold nach dem Spiel: "Wenn du im Abstiegskampf steckst, dann hat das nichts mehr mit Fußball zu tun." Nun, davon sind die Wolfsburger vorerst weit entfernt. Mit 35 Punkten hat die Mannschaft von Trainer Bruno Labbadia bereits zwei Zähler mehr erspielt als in der gesamten vergangenen Saison. In der Tabelle reiht sich der aufstrebende VfL damit auf Rang sechs ein - einen Platz hinter Bayer Leverkusen, das mit der Verpflichtung von Peter Bosz als Nachfolger von Ex-Trainer Heiko Herrlich zumindest mit Blick auf die Bundesliga offenbar alles richtig gemacht hat. Nach dem souveränen 2:0-Heimsieg gegen Fortuna Düsseldorf vor immerhin 27.727 Zuschauern befand Nationalspieler Kai Havertz: "Wir werden von Spiel zu Spiel stärker." Und so beträgt der Rückstand auf den Tabellenvierten RB Leipzig nur noch fünf Punkte. Bei den Werksteams der Liga lebt der Traum vom Europapokal - und der geht bei dem einen oder anderen Spieler sicherlich über das Ziel Europa League hinaus.
4. Für Claudio Pizarro gibt's keine Limits
Was ist das bloß für ein verrückter Kerl. Ein alter verrückter Kerl. Seit seinem 1:1-Ausgleichstreffer bei der Berliner Hertha am Samstagabend ist Werder Bremens Claudio Pizarro der älteste Torschütze in der Geschichte der Fußball-Bundesliga. Exakt 40 Jahre und 136 Tage alt war der Peruaner, als er einen Freistoß aus 17 Metern ins Tor der Alten Dame drosch. "Das habe ich mit meiner Erfahrung und meiner Schlitzohrigkeit gemacht", erklärte er nach dem Glanzstück "Pizza"-esk.
Das historische Ereignis trug sich in der 96. Spielminute zu. Womit doppelt und abermals bewiesen sein sollte, dass es für Pizarro keine Limits gibt. Und dass Werder ein gutes Pflaster für Torjäger-Opis ist. Der bisherige Rekordhalter Mirko Votava war nämlich ebenfalls ein Bremer und erklärte dem Portal deichstube.de nun nach seiner Ablösung: "Pizarro ist ein würdiger Nachfolger." Der dritte im Bunde der ältesten Bundesliga-Torschützen ist der Ex-Werderaner Manfred Burgsmüller. Wie seinen neuesten Rekord kann Pizarro auch noch seine historische Bilanz als bester ausländischer Torjäger weiter aufhübschen: 195 Tore in 463 Spielen hat der rüstige Angreifer bislang erzielt - und wer weiß, wie oft er in den verbleibenden zwölf Ligaspielen noch jubeln wird.
5. In Stuttgart bleibt der "Hitz"-Effekt aus
"Das ist so", sagte Stuttgarts neuer Sportvorstand, Thomas Hitzlsperger, auf die Frage, ob Markus Weinzierl im Spiel gegen Werder Bremen auf der Trainerbank des VfB Stuttgart sitzen wird. Gehen wir mal davon aus, dass Hitzlsperger seine Aussagen wahrhaftiger meint als sein Vorgänger Michael Reschke. Sie erinnern sich? Der hatte Ex-Trainer Tayfun Korkut im Oktober 2018 nach dem 1:3 gegen Hannover 96 den Rücken gestärkt - und am nächsten Morgen beurlaubt. "Ein bisschen Flunkern gehört dazu. Es geht grundsätzlich immer nur darum, was das Beste für den Klub ist", hatte Reschke danach der "Sport Bild" erklärt. Für Hitzlsperger gilt das augenscheinlich (Gottseidank) nicht, denn - Stand Montagmittag - ist Weinzierl Trainer des VfB Stuttgart. Eine klare Ansage vom Sportvorstand also - und damit ist Ruhe im und um den Klub? Mitnichten. Die 1:3-Pleite gegen RB Leipzig veranlasst einfach nicht dazu. Auch wenn sich die Schwaben im Gegensatz zur desaströsen 0:3-Klatsche bei Fortuna Düsseldorf verbessert zeigten. Verbessert aber heißt längst nicht gut. Die Niederlage gegen den Champions-League-Kandidaten aus Leipzig war verdient.
In Stuttgart sahen das Verantwortliche und Team freilich etwas anders. "Das Ergebnis ist das einzige, was nicht so wünschenswert war. Alles andere, wie wir aufgetreten sind, wie wir in den letzten Tagen gearbeitet haben, das stimmt mich sehr positiv", sagte Hitzlsperger. "Die Mannschaft hat sich gut präsentiert", sagte Torwart Ron-Robert Zieler.
Das steht im Kontrast zur Aussage von RB-Trainer Ralf Rangnick, der das Spiel seiner Mannschaft in der ersten Halbzeit als "Larifari-Gekicke" bezeichnete. Da konnte der VfB Stuttgart noch mithalten. Aber "Larifari" kann nicht der Anspruch sein. Und so muss man nach dem ersten Spiel mit Hitzlsperger auf der Bank ("Mitgefiebert, als würde ich selbst kurz vor der Einwechslung stehen") konstatieren: Auch unter dem 36-Jährigen muss Stuttgart um den Bundesliga-Verbleib bangen - die jüngste Heimpleite war die elfte Niederlage im 15. Bundesliga-Spiel unter Trainer Weinzierl.
6. Die Liga wird den Fluch der Handspiel-Debatte nicht los
Wann ist ein Handspiel ein Handspiel? Und was ist, wenn die fragliche Szene sich auch noch im Strafraum abspielt? So richtig vermögen das selbst die Schiedsrichter nicht zu beurteilen - auch nach mehrmaliger Revision von Zeitlupen und Echtzeitaufnahmen. Die fehlende einheitliche Linie zu dem Dauer-Reizthema wurde am vergangenen Spieltag gleich drei Mal mehr als deutlich: in Stuttgart, Gelsenkirchen und Wolfsburg. Der Freiburger Trainer Christian Streich, ohnehin selten um klare Kante verlegen, hält von dem Videobeweis-Larifari offenbar wenig. "Wir leben im Technologie-Zeitalter, aber ich bin altmodisch und hab' das Spiel lieber, wie's vorher war", sagte er, nachdem ein Handelfmeter für sein Team durch den Videoschiedsrichter zurückgenommen worden war. Ob altmodisch oder modern: Die Diskussionen um die Auslegung der Handspiel-Regel werden die Fußballwelt noch länger beschäftigen - und somit auch unseren Kolumnisten Alex Feuerherdt. Er hat sich auch heute des leidigen Themas angenommen und die strittigen Szenen des 22. Spieltags analysiert. Seine Einschätzungen lesen Sie hier.
Quelle: ntv.de