Fusionsreaktor im "Klima-Labor" Energie wie die Sonne? "Verdammt nah dran"
10.12.2021, 14:33 Uhr
"Klein geht das nicht", sagt Thomas Klinger über die Kernfusion. Der Forschungsreaktor ITER belegt es.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Im Zentrum der Sonne verschmelzen unaufhörlich Kerne von Wasserstoffatomen und setzen enorm viel Energie frei. Dieser Fusionsprozess ist für das Leuchten von Sternen verantwortlich. Seit Jahrzehnten träumt die Wissenschaft davon, ihn auch auf der Erde einsetzen zu können. Im Kampf gegen den Klimawandel wäre er eine große Hilfe. Mit einem Kilo Wasserstoff könne man genauso viel Energie erzeugen wie ein Kohlekraftwerk mit 10.000 Tonnen Kohle, erklärt Thomas Klinger im "Klima-Labor" von ntv. Der Plasmaphysiker sagt, "wir sind verdammt nah dran", die neue Energiequelle zu erschließen. "Es ist die neue Energiequelle, die die Menschheit noch nicht nutzt", erklärt er. Ein sehr gut verschlossenes Fass. "Aber an dem Deckel zerren wir schon herum."
ntv.de: Sie versuchen eine Art kleine Sonne auf der Erde zu erschaffen. Worum geht es da?
Thomas Klinger: Das ist das Oberthema der gesamten Fusionsforschung. Das ist verbunden mit der Plasmaphysik, die sich mit diesem Materiezustand auseinandersetzt: Man braucht diesen Materiezustand, um den Prozess der Fusion auf der Erde zu erzeugen. Der findet in jedem Stern statt, auch in der Sonne. Die ist ja auch nur ein ganz stinknormaler Durchschnittsstern.
Und da entsteht Energie?

Thomas Klinger leitet am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik den Bereich Stellarator-Dynamik und -Transport.
(Foto: picture alliance/dpa)
Ja, damit wird die Sonne betrieben, deshalb scheint sie, simpel gesprochen. Das Sonnenlicht ist letztlich das Ergebnis dieses Fusionsprozesses. Das kann man nicht so einfach auf die Erde bringen, weil die Verhältnisse im Zentrum der Sonne schon außerordentlich ungemütlich sind. Uns eine kleine Sonne hinstellen? Das führt in die Irre. Was wir auf der Erde nachbilden können, ist dieser Prozess, der im Zentrum der Sonne stattfindet.
Den müssen Sie einmal ganz langsam erklären.
Der heißt Fusion. Das Wort impliziert ja schon, dass etwas verschmilzt - wie bei einer Fusion von zwei Konzernen. Bloß, dass man hier nicht von Unternehmen redet, sondern von ganz kleinen Teilchen, von Elementarteilchen, den Kernen der Atome. Dabei nimmt man wie die Sonne das allereinfachste Atom, das Wasserstoffatom. Dessen Kerne werden zum Verschmelzen gebracht. Das ist Fusion.
Wie viel Energie wird dabei freigesetzt?
Am Ende, wenn wir alles zusammengetragen und sozusagen ein Kraftwerk aus diesem Prozess gebaut haben, ist das ein Gigawatt-Kraftwerk. Also, wie ein richtig großes Braunkohlekraftwerk. Der Witz ist bloß, dass diese bulligen Dinger mit ihren Riesenschloten etwa 10.000 Tonnen Kohle pro Tag brauchen. Das sind zehn Güterzüge oder drei, vier große Schleppkähne, um die zu füttern. Für ein Fusionskraftwerk braucht man dagegen ein Kilo Wasserstoff. Ein Kilo Wasserstoff verglichen mit 10.000 Tonnen Kohle ist ganz gut, oder?
Das klingt auf jeden Fall nicht schlecht, aber wieso gibt es Fusionskraftwerke dann noch nicht überall?
Das Schwierige ist tatsächlich mein Fachgebiet, die Plasmaphysik. Dieser eigenartige Materiezustand Plasma ist ein dünnes, heißes Gas. Wenn wir ein Gas unter ganz hohen Druck setzen, ist es relativ dicht. Wenn wir es unter ganz niedrigen Druck setzen, ist es sehr dünn. Das kann man mit einem Ventil, mit so einem kleinen Hahn, regulieren. Das heißt, erstmal pumpt man einen Kessel, der 1000 Kubikmeter Volumen hat, völlig leer, da ist gar nichts drin. Dann lässt man bei unserer Anlage 0,01 Gramm Wasserstoff rein, und dann ist ein dünnes Gas drin bei einem sehr niedrigen Druck. Und dieses Gas wird dann sehr heiß gemacht.
Wie heiß?
Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Kunstfleisch? Das Grauen 4.0. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. LNG? Teuer.
Das Klima-Labor - jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Sehr heiß! So ein dünnes Gas ist etwa 100.000 Mal dünner als die Luft, die wir atmen. Das kann man wirklich erstaunlich heiß machen. Es ist gar nicht so schwierig, das auf 100 Millionen Grad Celsius aufzuheizen. Das ist für uns kein Materiezustand, kein Phänomen, das uns täglich über den Weg läuft, Sie sehen kein Plasma, begegnen keinem Plasma. Aber die Nordlichter sind ein guter Vergleich: Bei den Polarlichtern gehen Sie in der Atmosphäre sehr hoch, wo die Luft sehr, sehr dünn wird. Und die sehr dünne Luft wird dort von dem Sonnenwind auf sehr hohe Temperaturen aufgeheizt. Die liegen bei 1 bis 5 Million Grad Celsius, und dann leuchtet das ganz fröhlich. Das ist bereits ein natürlicher Plasmazustand.
Und wie gewinnen wir jetzt Energie aus diesem sehr, sehr heißen Gas?
Diese hohen Temperaturen sind die Voraussetzung dafür, dass es zur Fusion der Wasserstoffkerne kommt. Sie können sich das wie Feuer vorstellen: Sie brauchen ein Streichholz, damit es anfängt zu brennen. Und wenn es dann brennt, erzeugt es so viel Energie, dass es weiter brennt. Dann können Sie das Streichholz auspusten oder beiseitelegen. Es ist eh abgebrannt.
Das Klima-Labor finden Sie bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Diesen Plasmazustand müssen Sie einmal mit zig Megawatt erzeugen, also richtig viel Energie. Dann haben Sie es so heiß bekommen, dass die Wasserstoffkerne anfangen, zu fusionieren. Und weil bei dem Fusionsprozess Energie freigesetzt wird, heizt diese Energie dieses Plasma wieder weiter auf, erhält die Hitze, und dann "brennt" es vor sich hin.
Aber die Idee ist ja eigentlich, dass wir saubere Energie herstellen. Das klingt nicht gerade sauber, was Sie beschreiben. Wir brauchen Reaktoren, müssen 50 Megawatt Energie reinstecken - ist das wirklich eine umweltfreundliche Energiequelle?
Sie ist umweltfreundlich in dem Sinne, dass Sie kein CO2 erzeugen. Das ist ja gerade ein sehr aktuelles Thema. Wir haben natürlich als naheliegenden Vergleichsmaßstab auch die Kernspaltung, die radioaktive Produkte erzeugt. Brennstäbe, die 50.000 Jahre lang gelagert werden müssen. Die haben wir auch nicht bei der Fusion. Wenn man Wasserstoffkerne miteinander verschmilzt, entsteht Helium. Ein Edelgas, was man in Luftballons rein tut oder von dem man quietschende Stimmen bekommt. Das ist ein lächerliches Gas, was niemandem etwas tut. Und man bekommt ein Elementarteilchen namens Neutron. Dieses Neutron ist ein kleines, ungeladenes Teilchen. Das wird dann von einer das Plasma umgebenden Wand abgebremst und sorgt für die Energieumwandlung, damit die Bewegungsenergie wirklich in Wärme umgewandelt wird.
Das heißt, der einzige richtige Müll ist Helium?
In dem Sinne, ja. Aber wie immer gibt es in der Natur einen Haken. Eins dürfen wir nicht vergessen, es ist eine nukleare Technik. Und diese Elementarteilchen, diese Neutronen, die führen dazu, dass die Wand, die das Plasma zwingend umgeben muss, auf Dauer radioaktiv wird. Da sagt man gleich wieder: Ui, pfui, da haben wir den Salat! Aber so ist es nicht, es gibt nämlich radioaktiv und radioaktiv. Radioaktiv ist dann blöd, wenn es hoch radioaktiv ist.
Wie Uran und Plutonium?
Ja, das ist hoch radioaktiv, das muss man in Castor-Behältern transportieren, und dann muss man 50.000 Jahre warten, bis es nicht mehr gefährlich ist. Das wiederum trifft auf die Radioaktivität, von der ich bei der Fusion spreche, nicht zu. Wenn so ein Kraftwerk seine Laufzeit erreicht hat, müssen Sie sich Gedanken machen, wohin mit dem radioaktiven Stahl. Das hört sich unangenehm an, weil es einige zigtausend Tonnen sind, aber es ist so gestaltet, dass die Radioaktivität ziemlich schnell abklingt: Nach etwa 100 Jahren können Sie daraus wieder Blechdosen machen.
Im Prinzip kann man sagen: Ich betreibe ein Kraftwerk 30, 40, 50 Jahre, dann muss es stillgelegt werden, weil es alt geworden ist. Dann kann man, wenn man burschikos ist, sagen: Da ist eh ein Zaun außen herum, den schließen wir jetzt einfach ab und bewachen das für 100 Jahre, danach kann man die Anlage auseinander schweißen und wiederverwenden.
Wir gehen jetzt mal mit Ihnen mit und akzeptieren die 100 Jahre, die wir die Kraftwerke bewachen müssen. Ab wann kann ich denn bei meinem Stromanbieter Fusionsstrom beziehen?
Leider ist das ein schwieriges Geschäft, an dem schon 70 Jahre geforscht wird. Nicht vergebens, es konnten viele Fortschritte gemacht werden. Man nähert sich dem Prototypen des Kraftwerks an.
Im Internet kursiert ein Running Gag über die Fusionstechnologie: ...
Ja, ...
... "Es sind immer noch 30 Jahre bis zum Durchbruch."

Ein Blick auf den Forschungsreaktor "Wendelstein 7-X" im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik.
(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)
... das ist der älteste Fusionswitz der Welt. Den höre ich immer wieder. Das ist ein Moving-Target-Vorwurf und Sie erwarten jetzt natürlich, dass ich den verwerfe. Aber es ist schon so, dass man anfangs zu optimistisch war in den 50er und 60er Jahren. Da hat man gedacht, das kriegen wir schnell hin. Dann musste man an einigen Stellen realisieren: Verdammt, das wird schwieriger als gedacht. Man hat sich tüchtig verschätzt. Und dann kam noch hinzu, dass man realisiert hat: Die Anlagen, die man bauen muss, um daraus ein Fusionskraftwerk zu machen, sind sehr große Anlagen. Klein geht das nicht.
Von welcher Größe reden wir da?
Wir reden von 1000 Kubikmeter Plasma-Volumen. Das bedeutet, dass die Maschinen, die Sie rund herum aufbauen müssen, 10.000 bis 20.000 Tonnen Gewicht haben. Das sind monstergroße Anlagen wie ein Kohlekraftwerk oder ein großes Wasserkraftwerk. Nun sind so große Forschungsanlagen aber sehr teuer, das hat die Sache nicht gerade beschleunigt. Die Entscheidung, jeweils den nächsten Schritt einer solchen Versuchsanlage zu bauen, hat sich ewig hingezogen. Es wird dann gerne mal 20 Jahre im Kreis diskutiert, bis man sagt: Jetzt machen wir das! Das ist halt so, wenn viel Geld, Steuergeld, investiert werden muss. Das ist auch gut so.
Aber jetzt haben wir es geschafft?
Wir sind verdammt nah dran, aber es müssen noch große Versuchsanlagen gebaut werden. Die befinden sich an verschiedensten Stellen im Bau. In Europa gibt es da eine Großanlage, die heißt ITER (Latein “der Weg”; International Thermonuclear Experimental Reactor, d. Red.), die jetzt im Bau ist und 2025 in Betrieb gehen soll. Wenn die ihren Betrieb aufnimmt, muss man damit auch erst einmal Erfahrungen sammeln. Das dauert alles und lässt sich auch nicht richtig beschleunigen. Am Ende landen wir in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts.
Also, in 30 Jahren ungefähr?
Das kann man jetzt zuspitzen und sagen: Höhö, der Witz hat funktioniert! Aber das geht am Ziel vorbei. Fusion ist in dem Sinne keine Mohrrübe, der man die ganze Zeit hinterherläuft, aber nie erreicht. Sie wurde einfach schrittweise auf realistische Füße gestellt und dadurch haben sich die Zeitskalen verändert.
Sie haben diese Anlage in Cadarache, in Südfrankreich, angesprochen. Das ist das teuerste wissenschaftliche Experiment aller Zeiten, ITER kostet ungefähr 20 Milliarden Euro.
Wenn man sich Energie anschaut, kommt man schnell in hohe Summen. Fragen Sie mal bei Royal Dutch Shell oder in Saudi-Arabien nach, da geht es schnell um Milliarden. Aber es ist natürlich eine sehr teure Forschungsanlage. Sie ist auch deshalb so teuer, weil an ITER sieben Partner bauen und später auch forschen: die Europäische Union, die Vereinigten Staaten, Russland, China, Japan und Südkorea.
Eine spannende Zusammenarbeit.
Vor allem ist es die halbe Menschheit, die als Bevölkerungszahl dahinter steht. Das ist sehr aufregend. Aber bei ITER wurde sich darauf geeinigt, dass jeder dieser Partner einen Beitrag in Bauteilen leistet und am Ende verrechnet wird. Das ist allerdings nicht wirklich die effizienteste Art und Weise, eine Großanlage zu bauen. Stellen Sie sich vor, Sie wollen mit ihren Nachbarn ein Auto bauen und jeder bringt etwas mit ... Diese Umständlichkeit und Komplexität schlägt sich in den Gesamtkosten natürlich nieder. Außerdem handelt es sich eben um eine Forschungsanlage. Die sind viel teurer als am Ende das Serienprodukt, denn Sie müssen unheimlich viel Flexibilität und Beobachtungsmöglichkeiten einbauen. Sie wissen auch noch gar nicht ganz genau, wie sie es bauen müssen. Das macht es alles teurer als ein Kraftwerk am Ende ist.
Haben wir denn alle Bauteile oder fehlt noch das Lenkrad?
Die Bauteile trudeln gerade ein. Jetzt kommen die ersten Räder angerollt und werden nacheinander zusammengesetzt. Die Montage der ganzen Anlage befindet sich im Volldampf-Modus und soll bis 2025 abgeschlossen sein. Vielleicht dauert es noch ein bisschen länger, aber nicht wesentlich länger. Dann wird es die erste Fusionsanlage sein, die demonstriert, dass man zehnmal mehr Energie rausholen kann als man reinsteckt.
Andere Technologien können wir also ad acta legen?
Nein, ich finde man muss alles machen, was vernünftig ist. Wir haben eine Doppel-Herausforderung: Wir müssen bei der Energieversorgung vom CO2 runterkommen und den steigenden Energiehunger decken. Der gesamte Welt-Energiebedarf wird bis Ende des Jahrhunderts noch mindestens um den Faktor 2 bis Faktor 4 steigen. Diese Herausforderung bewältigt man nicht, indem man "Entweder, oder" sagt. Wir haben keine Wahl, wir müssen alle Register ziehen. Ein Register ist die Fusion. Und die ist interessant, weil es das einzige Register ist, was noch nie gezogen werden konnte.
Und jetzt ist man kurz davor?
"Ganz kurz" noch nicht, aber wir wittern Morgenluft. Man hat wirklich das Gefühl, jetzt könnte es klappen. Und das ist die einzige neue Energiequelle, die die Menschheit noch nicht nutzt. Alle anderen sind in Benutzung, da reden wir von Effizienz, technischer Umsetzung, Preis und so weiter. Wir haben nur noch ein Fass, was ungeöffnet ist. An dem Deckel dieses Fasses zerren wir, aber es ist leider sehr gut verschlossen.
Mit Thomas Klinger sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
Quelle: ntv.de