Aussichten fürs vierte Quartal Wall Street, Dax & Co.: Jahresendrally oder Korrektur?
26.09.2025, 07:51 Uhr Artikel anhören
Auch eine Glaskugel hilft nicht. Oder doch?
(Foto: dpa-tmn)
Während sich die Wall Street wieder auf Rekordkurs befindet, bewegt sich der Dax seit rund vier Monaten seitwärts. Ist die Outperfomance der europäischen Aktienmärkte schon wieder beendet? Und was kann die Goldrally stoppen? ntv.de hat vier Experten gefragt
ntv.de: Erleben die Anleger wieder das, was sich schon seit Jahren zeigt: Die US-Aktienmärkte sind das Maß aller Dinge und hängen die europäischen Handelsplätze wieder ab?
Reinhard Pfingsten: Der KI-Trend hilft sicherlich dem US-Aktienmarkt, aber nicht auf breiter Front. Zudem werden für einen Euro-Investor die Gewinne auf der Aktienseite durch den schwächelnden US-Dollar fast auf null zurückgeführt. Da wir mit einer Wachstumsbelebung im Euroraum und einem sich weiter abschwächenden US-Dollar rechnen, sind wir weiterhin positiv für den europäischen Aktienmarkt.

Michael Wittek leitet das Portfoliomanagement bei Albrecht, Kitta & Co. und ist für die Anlagestrategie der Vermögensverwaltung verantwortlich.
Michael Wittek: In der Tat hat sich die zwischenzeitliche Outperformance der europäischen Märkte wieder erledigt. Wobei die US-Märkte quasi ausschließlich von der Entwicklung der MegaCaps, also von großen Tech-Konzernen, abhängig sind.
Marco Rumpf: Ja, die US-Märkte zeigen einmal mehr ihre Dominanz. Besonders in Künstlicher Intelligenz, Robotik und Cloud-Infrastruktur verfügen amerikanische Unternehmen über skalierbare Geschäftsmodelle mit tiefen ökonomischen Burggräben. Diese Innovationsführerschaft erklärt auch die Bewertungsprämien gegenüber europäischen Märkten.
Marco Kretschmann: Das sehe ich ähnlich. Der amerikanische Markt profitiert von starken Technologie-Werten, hoher Innovationskraft und seiner Rolle als Leitmarkt. Europa hingegen bleibt mit seiner stärker zyklischen Branchenstruktur meist zurück. Damit setzt sich ein bekanntes Muster fort: Die Wall Street hängt die europäischen Börsen ab.
Die amerikanischen Aktienmärkte sind irre hoch bewertet. Dazu kommt, dass nur wenige große Tech-Konzerne für die Rally sorgen und sich der breite Markt bei Weitem nicht so gut entwickelt. Wäre da nicht eine Korrektur zu erwarten oder glauben Sie in den USA an eine Jahresendrally?

Marco Rumpf ist seit 1998 als geschäftsführender Gesellschafter bei der DRH Vermögensverwaltung GmbH tätig.
Rumpf: Eine hohe Bewertung ist stets relativ. Im S&P 500 waren in den vergangenen zwölf Monaten rund zwei Drittel der Kursgewinne ertragsgetrieben. Beim Nasdaq stammen seit 2009 sogar rund 74 Prozent der Kurszuwächse aus Gewinnwachstum. US-Märkte erscheinen historisch häufig hoch bewertet, doch die zugrunde liegenden Geschäftsmodelle haben sich langfristig bewährt. Vor diesem Hintergrund sehen wir auch aktuell gute Chancen für eine Jahresendrally.
Kretschmann: Ich bin nicht ganz so positiv für die Wall Street. Die US-Börsen sind derzeit sehr ambitioniert bewertet, und die Rally stützt sich stark auf wenige große Tech-Konzerne. Das macht den Markt anfällig für Rückschläge und spricht durchaus für die Möglichkeit einer Korrektur. Andererseits könnten nachlassende Inflationsdaten, eine vorsichtigere Fed und solide Unternehmensgewinne eine Jahresendrally begünstigen.

Reinhard Pfingsten arbeitet seit September 2023 als Chief Investment Officer bei der Deutschen Apotheker- und Ärztebank. Diese Funktion übte der studierte Mathematiker bereits zuvor bei der Bethmann Bank und Hauck & Aufhäuser Privatbankiers aus.
Pfingsten: Für eine Korrektur braucht es einen Anlass. Da wir für die US-Wirtschaft keine Rezession erwarten, die US-Inflation nur moderat ansteigen und die US-Notenbank die Leitzinsen weiter senken wird, bräuchte es einen anderen Auslöser, der auch von der politischen Seite kommen könnte. Eine Jahresendrally könnte durch stärker als erwartete Zinssenkungen der Fed ausgelöst werden, die zudem von den Marktteilnehmern nicht als Reaktion auf eine US-Wirtschaftsschwäche interpretiert werden. Da es für beide Wege derzeit keine Anhaltspunkte gibt, rechnen wir im vierten Quartal 2025 auch nicht mit einer starken Reaktion am US-Aktienmarkt, egal in welche Richtung. Ein Euro-Investor sollte aber in seinen Überlegungen einen sich weiter abschwächenden US-Dollar mitberücksichtigen.
Bislang sind die negativen Auswirkungen der US-Einfuhrzölle, also vor allem steigende Preise, weitgehend ausgeblieben. Ist die Wirtschaftspolitik von US-Präsident Donald Trump doch erfolgreicher als viele gedacht haben?
Wittek: Hier sind wir noch relativ weit am Anfang. Ähnlich wie die Veränderung von Notenbankzinsen wirken sich Zölle viel später auf die Wirtschaft aus. Wir werden daher erst in einigen Monaten wissen, wie stark Unternehmen und Verbraucher betroffen sind.
Rumpf: Trumps erste Amtszeit war faktisch das größte Konjunkturprogramm seit der Nachkriegszeit. Steuerliche Impulse und protektionistische Maßnahmen haben die Binnenkonjunktur spürbar gestützt. In seiner zweiten Amtszeit spielt er diese Dominanz noch konsequenter aus - bislang ohne die befürchteten negativen Effekte höherer Einfuhrzölle.
Kretschmann: Bislang sind die direkten Folgen der US-Einfuhrzölle tatsächlich geringer ausgefallen, als viele befürchtet hatten. Das liegt daran, dass Unternehmen einen Teil der Kosten geschluckt oder Lieferketten umgestellt haben und die US-Konjunktur insgesamt robust blieb. Ob man das als "Erfolg" werten kann, ist jedoch umstritten: Langfristige Belastungen wie höhere Produktionskosten, Unsicherheit im Welthandel und mögliche Nachteile für Verbraucher und Exporteure sind nicht vom Tisch. Trumps Wirtschaftspolitik wirkt kurzfristig stabilisierend, birgt aber weiterhin erhebliche Risiken.
Die Konjunktur verliert in den USA an Dynamik. Es werden kaum noch neue Stellen geschaffen. Gleichzeitig kommt die Inflation nicht zurück. Droht den USA eine Stagflation, also kein Wirtschaftswachstum bei steigenden Preisen?
Wittek: Eine Stagflation kommt grundsätzlich sehr selten vor. Gleichzeitig hat sich meines Erachtens die Wahrscheinlichkeit im Vergleich der vergangenen 20 Jahre deutlich erhöht.
Rumpf: Da bin ich anderer Meinung. Von einer klassischen Stagflation sind die USA meiner Einschätzung nach weit entfernt. Das Wirtschaftswachstum lag im zweiten Quartal mit 3,3 Prozent klar über den Erwartungen, auch wenn sich die Arbeitsmarktdaten zuletzt eintrübten.
Pfingsten: Mit einem stagnierenden Wirtschaftswachstum rechnen auch wir nicht. Aber das Thema Inflation wird noch länger auf der Agenda stehen.
Anleger aus dem Euroraum haben von der Rally in den USA in diesem Jahr nichts gehabt, da der Dollar so stark gefallen ist, wie der S&P 500 gestiegen ist. Ist der Tiefpunkt des Dollars langsam erreicht?
Kretschmann: Ob der Tiefpunkt erreicht ist, hängt vor allem von der Geldpolitik ab. Senkt die Fed früher als die EZB die Zinsen, könnte der Dollar weiter unter Druck geraten.
Pfingsten: Wir gehen nicht davon aus, dass die Talfahrt des US-Dollars schon zu Ende ist. Unsere 12-Monats-Prognose liegt bei 1,25 US-Dollar pro Euro. Neben den Zinssenkungen der Fed ist auch ein zunehmender Vertrauensverlust in die US-Institutionen hierfür verantwortlich.
Wittek: So sehr der US-Dollar noch in den zurückliegenden Jahren gefragt war, wird er nun wie die berühmte heiße Kartoffel fallen gelassen. In der Tat denken wir über erste antizyklische Investments nach. Der US-Dollar wird auch in den nächsten Jahren die Leitwährung bleiben.
Kommen wir nach Europa. Ein schwaches Wirtschaftswachstum, der feste Euro und auch hier hohe Bewertungen - der Stoxx Europe 600 entwickelte sich zuletzt nur noch seitwärts. Haben die europäischen Aktienmärkte in diesem Jahr schon ihre besten Tage gesehen?
Pfingsten: Richtig, die Bewertungen sind auch für den europäischen Aktienmarkt zuletzt leicht gestiegen. Aber aus unserer Sicht ist das Bewertungsniveau trotzdem noch attraktiver als für den US-Aktienmarkt. Des Weiteren verschieben sich die Wachstumsperspektiven für die beiden Wirtschaftsräume derzeit zu Gunsten Europas. Im Vergleich der beiden Regionen halten wir an unserem Übergewicht von Europa somit fest.
Kretschmann: Sie haben in ihrer Frage die entscheidenden Punkte genannt. Vieles deutet darauf hin, dass die europäischen Aktienmärkte ihren Höhepunkt in diesem Jahr bereits überschritten haben.
Rumpf: Kurzfristig wirken Momentum und Geldmengenwachstum stützend für die europäischen Aktienmärkte. Mittel- bis langfristig bleiben die Perspektiven jedoch begrenzt: Während Innovation in den USA und China massiv vorangetrieben wird, hemmen in Europa der mangelnde Reformwille der Mitgliedstaaten und eine nach wie vor überbordende Bürokratie das Wachstumspotenzial. Entsprechend könnte die Seitwärtsbewegung im Stoxx Europe 600 ein Vorbote struktureller Schwächen sein.
Der Goldpreis in US-Dollar ist allein in diesem Jahr um circa 40 Prozent gestiegen. Ist hier die Rally nicht langsam heißgelaufen?
Rumpf: Die außergewöhnliche Dynamik beim Goldpreis hat kurzfristig das Risiko von Rücksetzern erhöht. Auf Sicht von mehreren Jahren sehen wir jedoch ein konstruktives Umfeld: Strukturell höhere Inflationsraten stärken die Nachfrage nach Sachwerten, und Gold bleibt hier ein zentraler Baustein.
Pfingsten: Wir halten an unseren Goldpositionen im Rahmen der Vermögensverwaltung weiterhin fest. Wir glauben, dass von Seiten verschiedener Notenbanken die Suche nach Alternativen zum US-Dollar für die Anlage ihrer Währungsreserven anhalten wird. Das gelbe Edelmetall bietet hierfür ideale Voraussetzungen. Das begrenzte Angebot und die steigende Nachfrage werden sich somit unseres Erachtens auch in den kommenden Monaten noch in steigenden Notierungen widerspiegeln.
Wittek: Ich höre schon seit zwei Jahren, dass der Anstieg zu steil verlief. Und immer wieder konnte der Goldpreis auf neue Hochs laufen.
Kretschmann: Kurzfristig wirkt der Markt überhitzt, zumal Gewinnmitnahmen jederzeit einsetzen könnten. Andererseits bleibt Gold in einem Umfeld geopolitischer Unsicherheit und anhaltender Inflationssorgen gefragt. Eine Korrektur ist möglich, doch der grundsätzliche Aufwärtstrend dürfte damit nicht automatisch beendet sein.
Der Bitcoin ist in diesem Jahr "nur" annähernd halb so stark gestiegen wie Gold. Ist die Digitalwährung der bessere, weil günstiger bewertete Wertspeicher?
Kretschmann: Gold gilt seit Jahrhunderten als stabiler Wertspeicher, während Bitcoin weiterhin sehr volatil ist und stark von Spekulation getrieben wird. Als alternativer Wertspeicher kann die Digitalwährung interessant sein, trägt jedoch ein höheres Risiko.
Wittek: Weder Gold noch Bitcoin können wirklich bewertet werden. Daher kann der Bitcoin weder teurer noch billiger als Gold sein.
Rumpf: Der Bitcoin überzeugt langfristig als klar kalkulierbarer Wertspeicher: Die Verwahrung ist einfacher, und das Angebot ist durch die harte Begrenzung strikt limitiert. Bei Gold steigt mit dem Preis stets auch der Anreiz für die Minengesellschaften, mehr zu fördern, sodass das Angebot ausgeweitet werden kann.
Pfingsten: Wir berücksichtigen im Rahmen der Kapitalanlage für unsere Kunden generell keine Kryptowährungen. Dazu fehlt es der Anlageklasse schlichtweg an Wertstabilität. Wer Spaß am Spekulieren hat, kann sicherlich ein bisschen Geld einsetzen - als Wertspeicher eignet sich die Anlageklasse aus unserer Sicht aber nicht.
Aktien, Gold und Bitcoin - alles ist hoch bewertet. Stellen Anleihen in diesem Umfeld die bessere Alternative dar? Amerikanische Bonds werfen spürbar höhere Zinsen ab als deutsche.
Wittek: Wer Anfang Januar in US-Anleihen investiert hat, liegt damit deutlich auf der Nase. Soll heißen: In Fremdwährungen zu investieren, macht nur dann Sinn, wenn man von der Währung überzeugt ist. Anleger sollten die höhere Rendite nicht als einzigen Maßstab nehmen.
Kretschmann: Für sicherheitsorientierte Anleger können US-Treasuries eine veritable Alternative zu hoch bewerteten Aktien, Gold und Kryptowährungen darstellen. Gleichwohl ist das Zinsumfeld volatil, sodass auch bei Anleihen mit Kursrisiken zu rechnen ist.
Pfingsten: Anleihen haben infolge der Zinsanstiege und Inflationsrückgänge ihren strukturellen Nachteil gegenüber Aktien wieder wettmachen können und bilden somit beim Aufbau eines Portfolios einen ernstzunehmenden Bestandteil. Welche Quote zu berücksichtigen ist, hängt natürlich von der Risikoneigung eines Investors ab. Da wir auf der Anleihenseite im Normalfall die währungsgesicherte Variante bevorzugen, fällt der Renditevorteil der auf den US-Markt fokussierten Produkte zwar geringer aus, als man auf den ersten Blick vermuten würde, aber sie gehören trotz unserer US-Dollar-Prognose dazu.
Kurze Frage zum Schluss. Wie sollten sich Anleger in diesem Umfeld positionieren?
Kretschmann: Eine ausgewogene Mischung aus Aktien, Anleihen und ausgewählten Sachwerten wie Gold reduziert Risiken. Es sei angemerkt, dass hier keine Anlageberatung erfolgt.
Wittek: Da kann ich nur zustimmen. Wie immer ist die breite Streuung in unterschiedliche Anlageklassen der Schlüssel zum langfristigen Börsenerfolg.
Pfingsten: In einem gemischten Portfolio sind wir derzeit auf der Aktienseite leicht untergewichtet, was sich insbesondere durch ein Untergewicht der US-Region ergibt. Den japanischen Aktienmarkt und die Schwellenländer bevorzugen wir aktuell. An unserem Gold-Investment halten wir nach wie vor fest und gewichten die Rentenseite leicht über.
Rumpf: Anleger sollten ihren kurzfristigen Liquiditätsbedarf in Zinsanlagen abdecken, also in Anleihen - wohlwissend, dass hier das Risiko eines realen Geldwertverlustes bleibt. Für den mittel- bis langfristigen Horizont empfehlen sich fungible Sachwerte wie Aktien, Bitcoin oder Gold, mit breiter Diversifikation, um von Wachstumstrends und Inflationsschutz gleichermaßen zu profitieren.
Diese Publikation dient nur zu Informationszwecken und zur Nutzung durch den Empfänger. Sie stellt weder ein Angebot noch eine Aufforderung seitens oder im Auftrag der Albrecht, Kitta & Co. Vermögensverwaltung GmbH, der Deutsche Apotheker- und Ärztebank, der DRH Vermögensverwaltung GmbH und der Qcoon-Invest GmbH (Anlageberatung und Anlagevermittlung erfolgt unter Haftung und für Rechnung der NFS Netfonds Financial Service GmbH) zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren oder Investmentfonds dar. Die in der vorliegenden Publikation enthaltenen Informationen wurden aus Quellen zusammengetragen, die als zuverlässig gelten. Die Albrecht, Kitta & Co. Vermögensverwaltung GmbH, die Deutsche Apotheker- und Ärztebank, die DRH Vermögensverwaltung GmbH und die Qcoon GmbH geben jedoch keine Gewähr hinsichtlich deren Zuverlässigkeit und Vollständigkeit und lehnen jede Haftung für Verluste ab, die sich aus der Verwendung dieser Information ergeben.
Quelle: ntv.de